Zweite Premieren-Kritik vom 8. März 2019
Ein fröhliches Bühnenwerk mit tragischem Hintergrund
Der Librettist der Oper „Die verkaufte Braut“ Karel Sabina (1813-1877) war ein glühender Patriot und radikaldemokratischer Journalist. Wegen seiner exponierten Teilnahme an den 1848er Aufständen war er nach deren Scheitern zum Tode verurteilt und später zu lebenslangem Kerker begnadigt worden. Nach vorzeitiger Entlassung, ständig unter Polizeiaufsicht, hatte er in seiner bittersten finanziellen Not den Erpressungen der k.u.k.-Polizei nachgegeben und sich als Informant anwerben lassen.
Der Schriftsteller Max Brod (1884-1968) hat durch Aktenstudium nachgewiesen, dass Sabrina“ kein einziges wirklich belangreiches Faktum aus dem Schatze seines unbegrenzten Wissens um Personen und Handlungen der tschechischen Unabhängigkeitsbewegung preisgegeben hat“. Von Max Brod stammt auch die zunächst verblüffende, letztlich aber naheliegende Hypothese, Sabinas Selbstverteidigung seines Verrat sei im Libretto, das er 1864 für den Musikkritiker und Dirigenten Bedrich Smetana (1824-1884) geschrieben hat, bereits vorgezeichnet und gerechtfertigt gewesen: „Jenik verkauft seine Braut, aber liefert sie nicht“
„Denk nur nach, o Mařenka, denk genau“ wendet sich „Jenik-Sabina“ in Brods Version durch das Libretto an die Nation, „wie kann man glauben, dass ich dich verkauft hab, o Geliebte“ an das Publikum. Damit gibt er einen deutlichen Hinweis, wie seine nutzlosen Berichte an den Prager Polizeirat Javurek-Kezal zu verstehen seien. Selbst Hinweise auf Sabrinas ständige Geldnot finden sich im Libretto, denn Jenik trachtet mit seiner Finte, den Brauteltern aus den Schulden zu helfen. Letztlich zahlte ihm Smetana ganze 20 Gulden für das Opernlibretto. Für eine Arbeit, die ein Welterfolg werden sollte.
Als 1872 Sabina enttarnt worden war, verhinderte die verschlüsselte Selbstverteidigung seine allgemeine Ächtung nicht, schadete aber keineswegs dem Erfolg der Oper, dass ihr Libretto von einem „Verräter“ stammte.
Folge ich den Gedanken des Max Brod, so erhält auch die Aversion der Mariame Clément gegen eine Fokussierung der Inszenierung der Oper auf das Folkloristische ihre Berechtigung. Den breiten Erfolg und seine Benennung als die „tschechische Nationaloper“ verdankt das Werk aber zweifelsfrei dem farbigen Chorgesang, den rasanten Volkstänzen und den einprägsamen Charakterisierungen des Bedrich Smetana. Als er die Oper komponierte, konnte er kaum von den Gewissensqualen seines Librettisten wissen. Selbst in der Gegenwart muss man noch graben, um auf den vermutlichen Ursprung des Sujets zu stoßen: dass sich hinter der Fröhlichkeit des Bühnengeschehens eine individuelle Tragödie verbirgt.
Die erste Fassung des Werkes von 1866, ein zweiaktiges Singspiel mit gesprochenen Dialogen hatte zunächst wenig Erfolg. 1871 auf drei Akte und mit Rezitativen erweitert, erlangte die Oper 1893 mit der Übersetzung von Max Kalbeck ihren internationalen Durchbruch in Berlin und Wien.
Dass die Vorstellungen in den deutschen Häusern abweichend von den sonstigen Üblichkeiten nicht in der Originalsprache gesungen werden, ist dem Sprachrhythmus des Tschechischen mit seiner starken Betonung der ersten Silben geschuldet. Erst Leos Janacek hat seinen Opern mit, von der griechischen Tragödie abgeleiteten Versformen, den natürlichen Sprachrhythmus der tschechischen Sprache verschafft.
Die Dresdner Inszenierung wird mit einer bühnenwirksamen Übersetzung des 1913 in Böhmen geborenen Musikwissenschaftlers Kurt Honolka dargeboten. Offensichtlich sind in diese Fassung auch Eingriffe des Felsenstein-Assistenten Carl Riha (1923-2012) und Winfried Höntsch eingeflossen, denn beide haben von den 1950er bis zu den 1980er Jahren den sächsischen Opernbetrieb wesentlich beeinflusst, wenn nicht sogar bestimmt.
Die Regisseurin Mariame Clément hatte die Handlung aus der Zeit um 1865 in die 1980er Jahre verschoben, eigentlich, um der starken Frauenfigur der Marie mehr Möglichkeiten ihrer Entfaltung zu bieten. Spürbar wurde das aber kaum. Die Personenführung der Protagonisten bewies das handwerkliche Können der Regie, selbst wenn einige für die Handlung wesentliche Szenen etwas zu beiläufig über die Rampe kamen. Vor allem die Sprachverständlichkeit der Sänger war richtig in Ordnung. Die vielleicht bedeutsamen Hintergrundaktivitäten und die Lichteffekte erreichten ihre Wirkung kaum. Trotzdem war die Inszenierung kein großer Wurf, eine vertane Chance das Anliegen der Frau Clément bühnenwirksam umzusetzen.
War man durch das Bühnengeschehen doch etwas irritiert, so bestand mit der musikalischen Umsetzung die Gefahr, dass für einen großen Teil der Premierengäste das Gebotene zu einer Folge von Darbietungen eines Wunschkonzertes wurde. Reihte sich doch Ohrwurm und Bekanntes, nur von den Rezitativen unterbrochen, aneinander. Folglich wurde auch mehrfach der Handlungsfaden durch allerdings müden Szenenbeifall unterbrochen.
Für die musikalische Leitung der Premiere war Tomáš Netopil gewonnen worden. Der in Mähren geborene, damit mit der böhmischen Musik bestens vertraute, ist auch mit den Musikern der Staatskapelle seit langem verbunden. Noch mit der Ouvertüre begann den Abend mit einem ordentlichen Tempo ohne dabei die wunderbaren Details der Komposition zu unterschlagen. Die musikalische Gestaltung des szenischen gelang ihm ebenso „böhmisch“ im besten Sinne, ohne das folkloristische übertreiben. Schließlich befanden wir uns im Opernhaus und nicht auf einem Volksfest. Den Melodien verschafft er ausreichend Raum, nahm sich ausreichend Zeit und führte das Orchester Sänger-freundlich. Damit gingen aber im Verlaufe der Vorstellung die Frische, das Flotte der Melodien verloren. Irgendwie erkannten wir unsere Staatskapellen-Musiker nicht wieder.
Für die musikalische Umsetzung standen Tomáš Netopil für nahezu alle Rollen recht gute Sänger zur Verfügung:
Mit Spannung war das Rollendebüt der armenischen Ensemble-Sopranistin Hrachuhi Bassénz erwartet, die mit ihrem jugendlich-farbenreichen Gesang bezauberte. Das der Marie von der Regie verordnete Selbstbewusstsein konnte ihre Darstellung nicht vermitteln. Letzlich begrenzte sie ihre Emanzipation, indem sie den Blaumann mehrfach mit einer Kellnernerinnentracht wechselte und einen kaum wahrnehmbaren Schwangerschaftstest vornahm. Dabei gestaltete sie Maries große Arie, in der sie sich von ihrem Liebestraum verabschiedet, zu einem der emotionalen Höhepunkte des Abends.
Ihr zur Seite, der aufschneiderische Heiratsvermittler Kezal Tijl Faveyts, ein Hausdebütant. Mit seiner hervorragenden Bühnenpräsenz, dem markanten, gut fokussiertem Bass und seiner vorgetäuschten Freundlichkeit wurde er zum Schwergewicht der Aufführung.
Pavol Breslik als Hans, Tenor, gut aussehend und schlau bot eigentlich vom Beginn an den Traum-Schwiegersohn. Aber es dauerte bis zum dritten Akt, bevor das auch die etwas dümmlichen Brauteltern begreifen konnten. Breslik singt unangestrengt, leicht und verführerisch, aber nicht überragend.
Der stotternde Wenzel, berührend, mit schönem Tenor und engagiertem Spiel von Benjamin Bruns verkörpert, gehört zweifelsfrei zu den Pluspunkten der Aufführung.
Stimmlich und darstellerisch überzeugend gut besetzt waren die Brauteltern Sabine Brohm als Ludmila und Matthias Henneberg als Kruschina. Dazu das finanziell besser ausgestattete etwas arrogante „Elternpaar“ des künftigen Gatten, der körperlich und gesanglich auftrumpfende Tilmann Rönnebeck als Micha und seine gesanglich zurückhaltende Ehefrau Michal Doron als Hata.
Zu einem musikalischen Glanzpunkt hatte sich das konsequent verdichtete Sextett im dritten Akt gestaltet.
Etwas herausragend die Tänzerin Esmeralda der Tahnee Niboro und der komödiantische Chao Deng als Indianer. Ordentlich auch Barry Coleman vom „Jungen Ensemble“, der mit leichtem kultiviertem Tenor den Zirkusdirektor verkörperte.
Nicht zu vergessen, die in bester Volkstümlichkeit vom exzellenten Chor und dem hinreißenden Ballett abgerundeten Szenen. Hier hatten Mathieu Guilhaumon als Choreograf und Cornelius Volke mit dem Chor eine hervorragende Arbeit geleistet.
Das Bühnenbild und die Kostüme von Julia Hansen passten ordentlich zum Regiekonzept.
Es wurde freundlich Beifall gespendet und auch von mehreren Stellen kräftig, nicht unberechtigt, „Buh“ gerufen.
Thomas Thielemann 12.3.2019
Bilder © Daniel Koch