Hannover: „Die Fledermaus“

Wiederaufnahme am 31. Dezember 2015

Hintergründig

Robert Künzli/Bewegungschor/Stefan Adam

Mit der Neuinszenierung ist es dem jungen Regisseur Martin G. Berger gelungen, herkömmliche Sichtweisen auf die „Fledermaus“ aufzubrechen und die dem Stoff innewohnende Doppelbödigkeit aufzuzeigen. Zu Recht ist er für diese hintergründige Inszenierung Anfang Dezember 2015 mit dem zum ersten Mal verliehenen Karan-Armstrong-Preis der Berliner Götz-Friedrich-Stiftung ausgezeichnet worden. Eigentlich erwartet man beim Anblick des typisch bürgerlichen Interieurs des Eisenstein-Hauses im 1.Akt (Bühne: Florian Parbs) den gewohnten Ablauf der bekannten Geschichte.

Aber schon vor Beginn der Ouvertüre, wenn Prinz Orlofsky auf der leeren Bühne sitzt und das Lachen übt, das ihm nicht so recht gelingen will, wird die besondere Sicht deutlich. Das setzt sich fort durch die vom Regisseur selbst vorgenommene Modernisierung des Textes und die Smartphone-Benutzung durch Adele und Alfred. Als Vorgeschmack darauf, dass „Prinz Orlofsky eine Party schmeißt“ (Originalton Adele am Handy), treten schon im 1.Akt Showgirls beiderlei Geschlechts auf. Dass es in der Sichtweise des Regisseurs auf die sexuelle Orientierung der handelnden Personen letztlich nicht ankommt, wird dadurch gezeigt, dass sich Gefängnisdirektor Frank und der Tenor Alfred erotisch zugetan sind. All das wird so flott und witzig dargestellt, dass irgendwelche Peinlichkeiten gar nicht erst aufkommen, sondern teilweise sogar urkomisch wirken. Im 2.Akt vergnügen sich in einem großen Saal mit Spiegel-Wänden Männer in Stöckelschuhen und Strapsen und Frauen mit angemalten Bärten und Smokinghosen lustvoll miteinander; für die fantasievollen Kostüme zeichnet

Susanne Hubrich verantwortlich. Das sehr muntere Treiben kulminiert in der Gründung eines „Champagner-Staates“ mit der Botschaft des Prinzen: „Seid nicht Mädchen oder Jungs, schwul oder hetero, schwarz oder weiß. Jeder soll sein, wie er tief drinnen wirklich ist“. In diesem „Traum-Staat“ sollen alle klassischen Geschlechterrollen negiert werden. Dann – in einem riesigen Champagnerglas stehend – entblößt sich der Prinz, so dass man Brüste und ein umgebundenes männliches Geschlechtsteil sieht. Gleichzeitig kommen Choristen in den Zuschauerraum und fordern das mehr oder auch weniger begeisterte Publikum zu „Brüderlein und Schwesterlein“ zum Mitschunkeln auf.

Der 3.Akt fällt gegenüber den vorangehenden Teilen ab: Man hätte ruhig im Gefängnis-Büro bleiben können – das hätte bestens zur Konzeption gepasst. Jetzt aber stiefelt Frosch (mit treffenden Witzchen über das Regietheater Steffen Scheumann) über den überbauten Orchestergraben, auf dem umgekippte Pulte und Stühle sowie Kleidungsstücke herumliegen. Im Hintergrund spielt ein sieben-köpfiges Ensemble unter Leitung des Dirigenten am Klavier. Wenn es dann dramatisch wird („Er selbst ist Eisenstein“) und am Schluss, wenn dem Champagner die Schuld an allem gegeben wird, ist das auf der Hinterbühne postierte Orchester schwach zu hören. Auch dass das Finale musikalisch fast völlig auseinander driftete, zeigt, dass diese Positionierung misslungen ist.

Insgesamt aber war die musikalische Verwirklichung gelungen, was sicher an der anfeuernden Leitung von Siegmund Weinmeister lag. Das Ensemble agierte mit viel Spielfreude und sang auf hohem Niveau: Eine ansehnliche Rosalinde war Dorothea Maria Marx, die erneut mit ihrem überaus kultiviert eingesetzten Sopran gefiel, auch wenn man sich den Csárdás noch schmissiger vorstellen kann. Der Heldentenor des Hauses Robert Künzli gab stimmkräftig den allen Frauen zugetanen Eisenstein. Die „klassische“ Soubrette Adele wurde von Athanasia Zöhrer überhaupt nicht soubrettig gesungen; ihr „Herr Marquis“ und „Spiel‘ ich die Unschuld…“ waren einfach Klasse. Der gelangweilte Prinz Orlofsky war bei Mareike Morr und ihrem charaktervollen, abgerundeten Mezzo sehr gut aufgehoben. Frank Schneiders war der bisexuelle Gefängnisdirektor Frank, während Stefan Adam mit teilweise geradezu balsamischen Bariton den Drahtzieher Dr. Falke gab. Der prägnante Tenor von Sung-Keun Park passte gut zur Rolle des Draufgängers Alfred. Sicher ergänzten Eunhye Choi als Ida und Edward Mout als Dr. Blind.

In der bewährten Einstudierung von Dan Ratiu entfaltete der Chor, der sich darstellerisch voll einsetzte, prächtigen Klang. Das Publikum in der gut besetzten Abonnementsvorstellung spendete allen Mitwirkenden lang anhaltenden, begeisterten Applaus.

Gerhard Eckels 9. Januar 2016

Bilder (c) Staatsoper

Weitere Vorstellungen: 15.,23.1.+5.2.+20.3.2016