Frankfurt: „Hindemith und Strauss“ mit der Dresdner Staatskapelle unter Christian Thielemann

Am Abend des 14. September 2023 versammelten sich Musikliebhaber in der Alten Oper Frankfurt, um Zeuge eines denkwürdigen Gastspiels der renommierten Staatskapelle Dresden unter der Leitung ihres scheidenden Chefdirigenten, Christian Thielemann, zu werden. Das Programm versprach eine faszinierende musikalische Reise, die von Paul Hindemiths „Der Schwanendreher“ mit dem herausragenden Solisten Antoine Tamestit an der Bratsche eröffnet wurde und mit Richard Strauss‘ „Eine Alpensinfonie“ ihren Höhepunkt fand.

Hindemiths „Der Schwanendreher“, ein Konzert nach alten Volksliedern für Bratsche und kleines Orchester, wurde von Antoine Tamestit meisterhaft interpretiert. Hindemiths Verwendung mittelalterlicher deutscher Volkslieder in diesem Kontext kann als ironischer Kommentar betrachtet werden, da der Komponist während des „Dritten Reiches“ von Goebbels als atonaler Geräuschemacher verunglimpft wurde. Jeder Satz des Konzertes basierte auf einem altdeutschen Volkslied, und der Titel „Der Schwanendreher“ verwies auf das Lied des letzten Satzes, das einen wandernden mittelalterlichen Minnesänger darstellte. Antoine Tamestit zeigte von der ersten Solo-Passage an sein großartiges technisches Können und sein Einfühlungsvermögen für dieses Werk. Begleitet von einer ungewöhnlichen Instrumentierung, die auf Violinen und Bratschen verzichtete, konnte sein Solopart uneingeschränkt hervorstechen. Tamestit verlieh den Melodien, ob heiter oder melancholisch, eine bemerkenswerte Tiefe und Bandbreite, während er die tragische Botschaft des Werkes subtil in den Volksliedern versteckte. Tamestit und Thielemann enthüllten gemeinsam die subtilen Nuancen dieses Werkes und ließen die Melodien in all ihrer Pracht erstrahlen, einschließlich der leichten Dissonanzen im 3. Satz, die dem Werk eine besondere Note verliehen. Hindemith war selbst Bratscher und kannte die Tücken des Instrumentes genau. Und so wundert es nicht, dass Antoine Tamestit intensiv gefordert war, schwierige Läufe und diffizile Doppelgriffe zu realisieren. Es gelang ihm vortrefflich. Die reduziert besetzte Staatskapelle begleitete ihn mustergültig und das mit einer ungewöhnlichen Orchesterzusammenstellung, d.h. lediglich Celli, Bässe, Bläser, Harfe und Pauke. Das Publikum war begeistert von Tamestits virtuoser Hindemith Zugabe, bei der auch Christian Thielemann selbst sich auf den Platz des Konzertmeisters setzte, um zuzuhören und animiert zu applaudieren.

© Jörg Simanowski

Nach dieser eindrucksvollen Darbietung wandte sich das Programm Richard Strauss‘ „Eine Alpensinfonie“ zu, einem Werk, das eine lange Verbindung des Komponisten zur Dresdner Staatskapelle reflektiert. Thielemann, der die Dresdner Musiktradition in Ehren hält, dirigierte das Orchester mit einer akribischen Genauigkeit, die aus seiner tiefen Auseinandersetzung mit dem Werk resultierte.

Strauss hatte die Absicht, die Besteigung eines Alpengipfels und die Rückkehr ins Tal während eines Tages musikalisch erlebbar zu machen. Diese eindrucksvolle Aufgabe gelang vor allem durch die raffinierte Besetzung eines riesigen Orchesters, das neben den üblichen Instrumenten auch ungewöhnliche wie das Heckelphon, Orgel, Harfen, Windmaschine und Glockenspiel einschloss. Die Aufführung unter der Leitung von Christian Thielemann in der Alten Oper Frankfurt war zweifellos ein atemberaubendes klangliches Erlebnis, das die Zuhörer in eine majestätische und dramatische Welt der Alpen entführte.

Die Klanggewalt und Spielkultur des Orchesters waren schlichtweg überwältigend. Schon in den ersten Momenten der Sinfonie konnte man die ganze Pracht und Fülle des Orchesters hören, wie es die aufsteigende Sonne über den Alpen musikalisch darstellte. Die Streicher legten einen dichten und sinnlichen Teppich aus, der die Zuhörer förmlich in die Naturschönheiten der Bergwelt eintauchen ließ.

Die Soloinstrumente im Orchester, allen voran die Horn- und Trompeten-Soli, entfalteten eine herausragende Brillanz. Sie wurden mit einer Klarheit und Wärme vorgetragen, die die Zuhörer unmittelbar berührte. Die Trompeten-Soli und die übrigen Blechbläser wiederum verliehen der Sinfonie eine heroische und festliche Dimension, die den Aufstieg auf die Gipfel der Alpen symbolisierte. Die Holzbläser, insbesondere Flöte und Oboe, trugen ebenfalls maßgeblich zur Brillanz der Aufführung bei. Ihre Passagen waren von einer lebendigen Lyrik und subtilen Nuancen geprägt. Sie vermittelten das Gefühl des Wanderns entlang eines Baches oder durch dichte Wälder in der Berglandschaft. Besonders eindrücklich ging es auf der „Alm“ zu. Selten sind die mit Flatterzunge zu spielenden Holzbläser derart genau zu vernehmen. Die vielfältige Instrumentierung des Orchesters, einschließlich der ungewöhnlichen Instrumente wie das Heckelphon, die Orgel, Harfen und die Windmaschine, wurden meisterhaft eingesetzt, um die verschiedenen Aspekte der Alpenwelt hervorzuheben. Eine Windmaschine und das Donnerblech erzeugten eindrucksvolle Klangeffekte, die das Gewitter in der Sinfonie realistisch darstellten.

© Jörg Simanowski

Christian Thielemann, der als Experte für das Werk von Richard Strauss gilt, zeigte eine überlegene Werkkenntnis und verstand es, alle diese klanglichen Elemente überzeugend zu orchestrieren. Er lenkte das Orchester mit Präzision und Leidenschaft, sodass jede Passage des Werkes in ihrer Tiefe und Bedeutung erstrahlte. Seine Interpretation war bestimmt von einem tiefen Verständnis für Strauss‘ Intentionen, und er vermittelte sie dem Orchester und dem Publikum auf fesselnde Weise. Mit sehr reduzierten und eher kleinen Gesten holte er aus dem formidabel aufspielenden Orchester viele Steigerungsmomente und gestaltete die Übergänge geschmackvoll. Zu erkennen war auch, dass Thielemanns das Werk hier eher als absolute Musik interpretierte. Die Nacht und der anschließende Sonnenaufgang wurden in einem übereilt wirkenden Tempo vorgetragen, mit der Folge, dass beide Abschnitte etwas zu viel Beiläufigkeit erfuhren. Der erste Sonnenstrahl im Glockenspiel war kaum zu vernehmen, wie insgesamt das Schlagzeug, bei zu kleiner Beckengröße, allzu sehr im Hintergrund verblieb. Kleine Schönheitsfehler, die mit Überraschungsmomenten aufgewogen wurden, da Thielemann durchaus die Staatskapelle auch immer wieder mal dynamisch von der Leine ließ, was gut und richtig war. Immer, wenn die viel geforderten Streicher aufspielten, war Thielemann ganz bei sich, was sich deutlich im Finale „Ausklang“ zeigte. Solo-Horn und Solo-Trompete übertrafen sich hier noch einmal mit perfekt intonierten Beiträgen, die aus dem Nichts, völlig ansatzlos, zu kommen schienen. Hinreißend. Nach dem finalen, sehr lang gehaltenen Schlussakkord, tiefe Ruhe im Saal. Es folgten stehende Ovationen, die sogar mit einer Zugabe bedankt wurden. Noch einmal Richard Strauss, die „Mondscheinmusik“ aus der Oper „Capriccio“ in berührender Ausführung und wunderbarem Solo-Horn.

Es war ein Abend, der die Schönheit und Kraft der klassischen Musik in ihrer ganzen Pracht zeigte und die Magie von Strauss‘ Meisterwerk in den Saal der Alten Oper Frankfurt brachte.

Dirk Schauß, 15. September 2023


Paul Hindemith: Der Schwanendreher
Richard Strauss: Eine Alpensinfonie

Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 14. September 2023

Antoine Tamestit, Bratsche
Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann, Leitung