Neuer Stern am Rossini-Himmel: der ukrainische Tenor Mykhailo Kushlyk brilliert in Essen in „La Cenerentola“
Der Schlussapplaus wollte erst enden, als draußen im Foyer eine wunderbare Combo aus Klavier, Kontrabass und Drums die fetzigen Rhythmen aus der soeben erlebten Oper so intonierten, dass sie in die Beine fuhren. Es gab zu Recht lebhaften Beifall für Rossinis Dramma Giocoso vom Aschenputtel in zwei Akten. Die auch bei der Premiere nicht ganz ausverkaufte Oper Essen bringt das Märchen nach dem Libretto von Jacopo Ferretti mit dem wunderbaren ukrainischen Tenor Myhailo Kushlyk als Don Ramiro und Liliana de Sousa als Angelina auf die minimalistisch gestaltete Bühne. „La Cenerentola“ von Rossini in der Inszenierung von Bruno Klimek garantiert Opernglück. Im Bühnenbild von Jens Kilian entfaltet das Ensemble mit einem Putzwagen und einem Haufen Müllsäcke als einzigen Requisiten mit Tommaso Turchetta am Pult der Essener Philharmoniker mit spritziger Italianità ein Feuerwerk an Einfällen.
Das allgemein bekannte Märchen vom Aschenputtel wird hier als Lehrstück vom „Triumph des Guten“ akzentuiert. Die Version des Märchens von Perrault stand Pate, aber in Rossinis Oper ist der Berater des Prinzen, Alidoro, ein aufgeklärter Philosoph und Humanist, der Lenker der Handlung. Keine Tauben, keine Kutsche, keine Fee! Das überfordert allerdings Besucher*innen, die das Werk nicht oder nur in der Version der Brüder Grimm oder von Walt Disney kennen.
Das minimalistische Bühnenbild von Jens Kilian mit einer mit Parkett belegten nach vorn geneigter schiefer Ebene, auf die sich im zweiten Akt ein bunter Blumenteppich legt, ermöglicht, dass man ohne Umbaupausen spielen kann. Der Ballsaal des Prinzen wird durch zwei pompöse herabgelassene Kronleuchter verdeutlicht, die sich von der roten Rückwand sehr gut abheben. Die Produktion ist eher vom Schauspiel hergedacht, in der Tradition der Commedia dell´arte.
Die fantasievollen Kostüme, die die Handlung kurz vor der Entstehungszeit ansiedeln, gestaltete Tanja Liebermann. Sie stattete die Schwestern mit üppigen Reifröcken aus, den Vater und den Prinzen mit Allongeperücken als Zeichen, dass die nicht arbeiten müssen. Angelina und der Kammerdiener Dandini sowie der Chor tragen zeitlose Arbeitskleidung, während die Personen von Stand sich mit Rokokokostümen herausputzen, sobald sie im Schloss zu tun haben. Auf die Weise kann man sehr gut nachvollziehen, was der Kleidertausch von Don Ramiro mit Dandini bedeutet.
Und alles wird gut. Rossini hatte sehr mit der Zensur zu kämpfen, und da kam ihm das Märchen vom Aschenputtel gerade recht. Er verlieh den Protagonisten Namen, und der niedere Adel, verkörpert durch Don Magnifico und seine eitlen Töchter, wurde mit beißendem Spott dargestellt, während der Prinz, Don Ramiro, seine Sehnsucht nach dem einfachen Leben auslebt, indem er mit seinem Kammerdiener die Rollen tauscht, was auch dem die Chance gibt, Unarten des Adels gehörig auf die Schippe zu nehmen.
Don Magnifico, der Vater der drei Töchter, wird sogar als Betrüger dargestellt. Er habe Angelinas Mitgift unterschlagen und behandelt sie mit Clorinda und Tisbe als Dienstbotin. Er bedroht Angelina und wird auch noch handgreiflich. Erzkomödiant Vincenzo Nizzardo, verleiht diesem „Dottore“ der Commedia dell´Arte augenzwinkernd Kontur. Clorinda (KS Christina Clark) und Tisbe (Nataliia Kukhar) stellen die Schwestern herrlich zickig, oberflächlich und egozentrisch dar.
Gut aufgelegt und einstudiert ist der Herrenchor unter der Leitung von Patrick Jaskolka.
Das genialste Kostüm überhaupt trägt Baurzhan Anderzhanov als Alidoro im ersten Akt. Aus dem Haufen Abfallsäcke, die in der Ecke liegen, erhebt sich der bärtige alte Bettler, der im Haus Don Magnificos um Essen bettelt, komplett mit Plastiksäcken behängt und bekleidet, die bei jeder Bewegung rascheln und schwingen. Der Tänzer Francesco Matejcek ist mit dieser Verkleidung der Wirbelwind, der bei der Gewittermusik im zweiten Akt über die Bühne wirbelt. Ein absolut genialer Einfall! Im weiteren Verlauf ist Alidoro ein soignierter Herr im rosa Rokokokostüm, aber ohne Perücke und goldglänzend. Er wirft jedes Mal Goldstaub in die Luft, wenn er Wunder wirkt.
Besondere Sorgfalt verwendete Regisseur Bruno Klimek auf die Lichtregie (Beleuchtung: Andreas Fuchs) und auf die Personenführung, die perfekt choreographiert wirkt. Der „Wirbelwind“ aus um den Tänzer Francesco Matejczek herumfliegenden bunten Abfallsäcken bei der Gewittermusik bekam zu Recht Szenenapplaus.
Die Essener Philharmoniker, bestens aufgelegt unter der musikalischen Leitung von Tommaso Turchetta, mit perfekter Italianità schlagen Funken aus der Partitur und bekam schon nach der quirligen Ouvertüre langanhaltenden Applaus.
Baurzhan Anderzhanov als Alidoro, der als Bettler verkleidet die drei Schwestern auf die Probe stellt, und als Vertreter der Staatsmacht mit dem Einwohner-Melderegister in der Hand darauf besteht, dass Don Magnifico seine Tochter Angelina präsentiert und am Ende den Triumph von Cenerentolas Güte verkündet, und Alec Avedissian als Dandini, der es trefflich versteht, als Kammerdiener, der den Prinzen spielt, die Attitüden des Adels zu persiflieren, sind mit den Anforderungen des Rossini-Gesangs vertraut.
Mit Mykhailo Kushlyk als Prinz Don Ramiro hat man einen offensichtlich auf Belcanto-Opern von Rossini und Donizetti spezialisierten Tenor aufgeboten, der die schwere mit Spitzentönen und halsbrecherischen Koloraturen gespickte Partie souverän bewältigte. Er stammt aus der Ukraine und ist seit 2023 Mitglied des Ensembles in Meiningen, wechselt aber zum Januar 2025 ins Ensemble nach Essen. Mykhailo Kushlyk studierte an der Nationalen Musikakademie in Lviv (Ukraine), wo er 2020 seinen Master-Abschluss machte. Seine große Arie im 2. Akt wurde mit lebhaftem Szenenapplaus bedacht.
Das letzte Wort hatte allerdings Liliana de Sousa, die ähnlichen technischen Anforderungen mit ihrem warm timbrierten Mezzosopran mit Bravour meisterte und am Ende auch noch als Cenerentola allen verzieh. Es war ein Triumph von Mykhailo Kushlyk und Liliana de Sousa in einer wundervoll homogenen Ensembleleistung.
Merle Fahrholz, Intendantin der Oper Essen, scheint die Philosophie zu vertreten, dass man das Bühnenbild durchaus minimalistisch gestalten kann, aber an den Kostümen und an der Personenführung erkennen soll, wie Librettist und Komponist das Stück gemeint haben. Das Konzept geht hier voll auf, zumal die überbordende Spiellaune des hervorragenden Ensembles für eine Bombenstimmung im Publikum sorgte. Rossini macht einfach gute Laune!
Das Aalto-Theater Essen zeichnet sich durch ein wirklich schönes, lichtdurchflutetes Gebäude mit guter Akustik aus, in dem auch die Pausengastronomie im Vergleich zu anderen Häusern der Region sehr gut aufgestellt ist. Besonders charmant fand ich die Jazz-Combo nach der Premiere, die das Warten auf die Künstler*innen verkürzte und noch einmal zeigte, was für schmissige Melodien Rossini hier geschrieben hat. Die Oper Essen erweist sich als gut geführtes Stadttheater mit einem erlesenen Ensemble. Ein Besuch von „La Cenerentola“ ist unbedingt empfehlenswert, auch mit Kindern ab zehn Jahren.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 18. Dezember 2024
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
La Cenerentola
Gioachino Rossini
Aalto Theater Essen
Premiere am 7. Dezember 2024
Inszenierung: Bruno Klimek
Musikalische Leitung: Tommaso Turchetta
Essener Philharmoniker