Frankfurt, Konzert: „Tschaikowsky und Strauss“, hr-Sinfonieorchester mit Hillary Hahn

Am 7. September 2023 hatte das hr-Sinfonieorchester das große Vergnügen, die weltberühmte Geigerin Hilary Hahn in einem Extra-Konzert im hr-Sendesaal begrüßen zu dürfen. Kaum zu glauben, seit nunmehr zwanzig Jahren ist die wunderbare Künstlerin immer wieder zu Gast beim hr-Sinfonieorchester. Die Erwartungen waren hoch, und das Konzert enttäuschte keineswegs. Unter der äußerst leidenschaftlichen Leitung des ehemaligen Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada präsentierte Hahn eines der schönsten und schwersten Violinkonzerte seiner Gattung: Tschaikowskys D-Dur Konzert. Der Abend begann böhmisch fulminant.

Schon von den ersten Takten der Ouvertüre zur „Verkauften Braut“ von Bedřich Smetana wurde die außergewöhnliche Virtuosität des hr-Sinfonieorchesters spürbar. Dieses äußerst anspruchsvolle Orchesterstück verlangte den Musikern eine Höchstleistung ab, und das Orchester meisterte die Herausforderung bravourös. Die beeindruckende Dynamik und Präzision in der Darbietung verdient uneingeschränktes Lob. Der temperamentvolle Dirigent Andrés Orozco-Estrada war hier ganz in seinem Element und gab mit viel Energie dem Orchester deutliche Impulse. Ein herrlicher Beginn!

(c) Ben Knabe

Das Highlight des Abends war zweifellos Tschaikowskys Violinkonzert. Dieses herausfordernde Stück besteht aus drei Sätzen, und Hilary Hahn meisterte jede Passage mit Bravour. Im ersten Satz zeigte sie eine bemerkenswerte Spielsicherheit mit kraftvollem und leidenschaftlichem Zugriff. Ihr Spiel war geprägt von einer tiefen Ausdruckskraft, die die Zuhörer in eine emotionale Achterbahnfahrt versetzte. Ihr volltönender Klang des Instrumentes war ein unendlicher Genuss. Die dynamische Bandbreite war enorm, sodass Hahn fortwährend neue Farbeffekte beisteuerte. Und es war ein äußerst spannender Moment, als der Dirigent die Solistin mit einem zügigen Accelerando in die große Kadenz katapultierte. Hier war Hahn ganz bei sich und ließ ihre Geige erzählen. Sehr eindrücklich.  Der langsame zweite Satz, die liebliche Canzonetta bot einen wunderbaren Kontrast zum ersten Satz. Hier zeigte Hilary Hahn ihre lyrische Sensibilität und zog die Zuhörer mit ungemein zarten und melancholischen Klängen in ihren Bann. Ihr Geigenspiel war von einer fast schmerzhaften Schönheit, die die Herzen der Zuhörer berührte. Zu loben sind hier auch die fabelhaften Soli von Horn und Klarinette. Der dritte Satz stellte die Solistin erneut vor eine enorme Herausforderung. Hier zeigte sich nochmals die besondere Schwierigkeit des Violinkonzertes von Tschaikowsky, da er höchste Virtuosität mit einer explosiven Energie und enormer Kraft verlangt. Hilary Hahn bewies erneut ihre meisterhafte Technik und brachte das Publikum mit ihren atemberaubenden Passagen regelrecht zum Staunen und in große Euphorie. Hoch aufmerksam in der Begleitung zeigte sich der hingebungsvolle Dirigent Andrés Orozco-Estrada, der mit dem präsenten hr-Sinfonieorchester seine Solistin auf Händen trug und es dabei nicht verabsäumte, die orchestralen Höhepunkte lustvoll auszuspielen. Die große Begeisterung wurde mit zwei Zugaben von Hilary Hahn belohnt, u.a. mit einer innigen Sarabande von Johann Sebastian Bach.

Nach der Pause folgte Richard Strauss‘ sinfonische Dichtung „Tod und Verklärung“. Diese Komposition beschreibt die Todesstunde eines Menschen, der nach höchsten idealen Zielen strebte und dann eine tröstende Erlösung findet. Das hr-Sinfonieorchester zeigte hier seine ganze souveräne und hoch engagierte Qualität. Die orchestrale Darbietung war gekennzeichnet von einer tiefen Emotionalität und einer meisterhaften Symphonie des Klangs. Die musikalische Reise von Tod bis zur Verklärung war äußerst bewegend und berührte die Herzen der Zuhörer. Andrés Orozco-Estrada zeigt erneut, wie gut ihm das Oevre von Richard Strauss liegt. Mit klugem Timing und Mut zur großen Gefühlsgeste gelang ihm eine Interpretation, die unter die Haut ging. Großartig fächerte er die polyfone Komposition auf und setzte überlegene Höhepunkte. Eine fabelhafte Leistung.

Zum Abschluss des Abends präsentierte das Orchester Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“. Diese Nachzeichnung der tragischen Liebesgeschichte von Shakespeares berühmtem Protagonisten-Paar war ein würdiger Schlusspunkt für dieses Konzert. Die Musiker des hr-Sinfonieorchesters verliehen der Musik Leben und Emotionen, und Orozco-Estrada führte das Orchester mit unermüdlicher Energie und drängender Leidenschaft. Das Orchester wuchs an diesem Abend über sich selbst hinaus und musizierte in allen Gruppen auf höchstem Niveau. Orzozco-Estrada ist ein sehr überzeugender Motivator, sodass es ihm gelang, emotionale Hitzegrade besonderer Intensität aus der Musik zu holen. Straff in den Akzenten, kämpferisch in den Attacken der Bläser und maximal kantabel in den üppigen Phrasierungen der Streicher, entstand ein überaus plastisches Hörbild der tragischen Geschichte. Euphorische Begeisterung belohnte die Ausführenden. Das Publikum zeigte ausdauernd, dass es etwas Besonderes erlebt hatte.

(c) OJ Slaughter

Insgesamt war dieses Konzert mit Hilary Hahn, dem hr-Sinfonieorchester und Dirigent Andrés Orozco-Estrada bereits ein erster Höhepunkt der neuen Konzertsaison. Die warme und virtuose Darbietung der Geigerin, ihre Souveränität und kantable Kraft, sowie ihre überlegene Phrasierung, verschmolzen mit der Leidenschaft und Energie des Orchesters zu einem erlebnisreichen Abend. Das Publikum konnte die Liebe, den Tod und die Verklärung in der Musik förmlich spüren und verließ den Saal zugleich berührt und begeistert.

Dirk Schauß, 8. September 2023


Frankfurt
Konzert im hr-Sendesaal

7. September 2023

Bedřich Smetana – Die verkaufte Braut – Ouvertüre
Peter Tschaikowsky – Violinkonzert D-Dur, Op. 35
Richard Strauss – Tod und Verklärung, Op. 24
Peter Tschaikowsky – Romeo und Julia

Hilary Hahn – Violine
hr-Sinfonieorchester
Andrés Orozco-Estrada, Dirigent