Silberscheiben: „Die Zauberin“, Peter Tschaikowsky

Die neueste Veröffentlichung von Naxos auf Blu-Ray präsentiert einen der bedeutendsten Erfolge der Oper Frankfurt der letzten Jahre: Tschaikowskys „Die Zauberin“. Ursprünglich im 15. Jahrhundert angesiedelt, wird diese Oper in der Inszenierung von Vasily Barkhatov in die heutige Zeit übertragen. Die Geschichte dreht sich um die charismatische, emanzipierte Nastassja, die den Annäherungsversuchen des verschlagenen Mamirov widersteht und dabei den unerbittlichen Kräften traditioneller Werte in einer von Spaltungen geprägten Gesellschaft gegenübersteht.

Bei Nastassja, einer jungen Witwe, die eine Gastwirtschaft betreibt, kommt das Volk zusammen, um frei zu diskutieren und zu feiern. Ihre Freiheit und Geradlinigkeit ziehen die Aufmerksamkeit des Fürsten auf sich, was zu einem Konflikt mit seiner eifersüchtigen Frau und ihrem Sohn Juri führt. Intrigen und Machenschaften innerhalb der fürstlichen Familie führen letztendlich zu einem tragischen Ende, in dem Nastassja und Juri sterben und der Fürst in den Wahnsinn getrieben wird. Die Bühnengestaltung zeigt ein modernes Atelier, das als Treffpunkt für die Kunstszene dient und Symbol für künstlerische Freiheit und Selbstentfaltung ist. Die Szenerie wird durch volkstümliche Gegenstände wie Matrjoschkas und gelbe Blumengebinde sowie abstrakte Elemente wie ein Haus mit Leuchtdioden und einen fernen Planeten im Hintergrund gestaltet. Diese visuelle Vielfalt spiegelt die Komplexität der Handlung und ihrer Themen wider. Die Inszenierung zeichnet sich durch eigentümliche Regieeinfälle aus, wie zum Beispiel die Darstellung des Fürsten, der vor dem gemeinsamen Mittagstisch mit einem Schäferhund spielt und dabei an seine heimliche Geliebte denkt. Die Verwendung einer Drehbühne ermöglicht schnelle Szenenwechsel und unterstreicht die Dynamik der Handlung. Handwerklich ist das gut gemacht, wirkt aber in manchen Aspekten überzeichnet, wie in der Darstellung der Fürstenfamilie. Die solistischen Leistungen auf dieser Blu-Ray sind von Eindringlichkeit geprägt. Asmik Grigorian in der Rolle der Nastassja überzeugt mit einem herausragenden Auftritt. Mit ihrem dramatischen Sopran fängt sie die Vielschichtigkeit und Emotionalität der Figur perfekt ein. Ihre stimmliche Bandbreite reicht von strahlenden Höhen bis hin zu sanften, zurückhaltenden Tönen, wodurch sie Nastassjas Charakterentwicklung authentisch darstellt. Grigorian zeigt eine fabelhafte schauspielerische Präsenz und verleiht der Figur damit viele Facetten. Ihr gelingt ein vielschichtiges Rollenbild ihrer komplexen Partie. Iain MacNeil verkörpert den Fürsten mit kraftvollem Bariton und beeindruckender Bühnenpräsenz. Er versteht es, die ambivalenten Charakterzüge der Rolle nuanciert darzustellen, vom anfänglich sympathischen Herrscher bis hin zum verzweifelten, von Eifersucht getriebenen Gewalttäter. Seine intensive Darstellungskraft und sein nuanciertes Spiel machen ihn zu einem fesselnden Gegenspieler für Grigorian. Claudia Mahnke brilliert in der Rolle der Fürstin mit ihrem satten Mezzosopran und ihrer beeindruckenden Bühnenpräsenz. Sie verleiht der Figur eine faszinierende Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit, wodurch sie zu einer äußerst vielschichtigen Charaktergestaltung beiträgt. Mahnkes Gesang ist ausdrucksvoll und von nuancierter Dynamik geprägt, wodurch sie die emotionalen Höhen und Tiefen der Rolle eindrucksvoll beleuchtet. Ihre Interaktionen mit den anderen Charakteren sind spannend, wodurch sie eine starke Präsenz auf der Bühne zeigt. Alexander Mikhailov überzeugt in der Rolle des Prinzen Juri mit seinem robusten Tenor. Er verleiht der Figur Unsicherheit und Verletzlichkeit, während er gleichzeitig ihre inneren Konflikte und Kämpfe authentisch darstellt. Frederic Jost brilliert in der Rolle des intriganten Schreibers Mamyrow mit seinem dunklen Bass und seiner überzeugenden Bühnenpräsenz. Er verleiht der Figur eine faszinierende Mischung aus Boshaftigkeit und Raffinesse, wodurch er zu einem fesselnden Antagonisten wird. Josts Gesang ist kraftvoll und intensiv, wodurch er die Bedrohlichkeit und Komplexität der Rolle eindrucksvoll gestaltet. Der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt glänzt durch seinen homogenen und kraftvollen Klang, der das Geschehen auf der Bühne wirkungsvoll unterstützt. Die harmonische Zusammenarbeit von Chor und Solisten trägt entscheidend zum Gesamtklangbild bei und verleiht den Ensemble-Szenen besondere Intensität. Am Pult des hingebungsvollen Frankfurter Opern- und Museumsorchesters steht Valentin Uryupin, der diesem Werk nichts schuldig bleibt und somit eine ausgezeichnete Basis bietet, für ein spannendes Opernerlebnis. Die Blu-Ray-Veröffentlichung von Tschaikowskys „Die Zauberin“ bietet eine künstlerisch anspruchsvolle Inszenierung, die das zeitlose Meisterwerk in eine moderne Perspektive rückt. Regisseur Vasily Barkhatov bietet eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wobei sie aktuelle gesellschaftliche Themen geschickt in die Handlung integriert. Die visuell beeindruckende Bühnengestaltung und die einfallsreichen Regieeinfälle tragen dazu bei, die emotionalen Höhen und Tiefen der Oper auf packende Weise zu vermitteln. Dennoch bleibt zu erwähnen, dass bei einer Rarität wie „Die Zauberin“ eine werkdienliche Regie, die erkennbar in der vorgegebenen Handlungszeit spielt, spannender gewesen wäre. Eine Inszenierung, die sich stärker an dem historischen Kontext und den künstlerischen Intentionen Tschaikowskys orientiert, würde möglicherweise zusätzliche Facetten des Werkes beleuchten können. Eine Aktualisierung, so wie hier, banalisiert die handelnden Personen und nimmt somit dem Werk eine deutliche Wirkungsebene. In diesem Ambiente könnte jede andere Oper ebenso angesiedelt sein, dadurch wirkt vieles austauschbar. Abgesehen davon ist ein solcher moderner Ansatz kein neuer Gedanke, sondern vielfach erlebte Konvention. Diese Blu-Ray-Veröffentlichung ist wertvoll, da sie eine spannende Rarität einem heutigen Publikum anbietet. Opernenthusiasten und Freunde moderner Bühnenästhetik werden sich von der anspruchsvollen Inszenierung begeistern lassen.

Dirk Schauß, 27. April 2024


Peter Tschaikowsky
Die Zauberin

Eine Produktion der Oper Frankfurt
Naxos, NBD0180V, Bluray

Unsere Premierenkritik zum Nachlesen.