Bad Ischl: „Die Rose von Stambul“

besuchte Vorstellung am 28. Juli 2016

Tolle Aufführungen und ein bevorstehender Abschied, der doch schmerzt

Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr für Bad Ischl und vor allem für das Lehár Festival Bad Ischl. Seit 13 Jahren hat hier der Intendant, Prof. Dr. Michael Lakner das Heft fest in der Hand und eine tolle Spielzeit nach der anderen. Michael Lakner lebt die Operette mit seinem Herzblut, er steckt alles hinein, was er kann und dies ist nicht wenig. Er hat es geschafft in diesen 13 Jahren Bad Ischl zu einem, wenn man es vorsichtig ausdrückt, zweitem Mekka der Operette zu machen. Ich möchte es aber noch anders ausdrücken, für mich ist Bad Ischl das wahre Mekka der Operette, denn in Mörbisch übernehmen die Show, die Lichteffekte und der pompöse Aufwand die Regie – und da ist mir mein anheimelndes Bad Ischl um einiges lieber. Lakner hat Bad Ischl geprägt und es zu einem Vorzeigeoperettenzentrum gemacht. Er zieht nun im Mai nächsten Jahres nach Baden bei Wien und übernimmt die dortige Bühne. Für Baden ein Glücksfall, für Bad Ischl sicherlich ein Rückschritt, den jeder Nachfolger wird es unendlich schwer haben, in die übergroßen Fußstapfen von Michael Lakner zu treten. Interessant ist sicher auch, dass sich Lakner in Baden gegen ganze 61 Mitbewerber, davon 44 nationale und 17 internationale Bewerber durchsetzen konnte. Auch dies spricht sicherlich für die Stellung und den ausgezeichneten Ruf, die er in der Musiklandschaft der Operette und des Musicals besitzt. Ich konnte mit ihm ein paar Worte wechseln, bei denen er mir zu verstehen gab, dass ein kleines Stückerl seines Herzens immer in Bad Ischl sein wird. Er wird auch hier einen Wohnsitz behalten, die komplette Saison 2017 vollständig vorbereiten und natürlich bei den Premieren 2017 als Ehrengast in Bad Ischl weilen. Es bleibt mir nur übrig, ihm für seine Arbeit in Bad Ischl ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen und ihm für seine neue Tätigkeit als Intendant in Baden bei Wien alles erdenklich Gute zu wünschen. Dem Stellenwert der Operette in Österreich wird es mit Sicherheit gut tun und Bad Ischl ist von Herzen zu wünschen, einen Nachfolger zu finden, der das weiterführt, was in vielen Jahren durch Prof. Dr. Michael Lakner aufgebaut worden ist. Wie sang Peter Alexander in dem Lied von Peter Kreuder so schön „Sag beim Abschied leise Servus“ – Servus lieber Michael Lakner und auf ein Wiedersehen, ob in Baden, in Bad Ischl oder sonst wo auf der Welt, im Dienste der leichten Muse, die so schwer zu bearbeiten ist.

Die einzige Operette, die Michael Lakner in seiner langen Amtszeit in Bad Ischl zum zweiten Mal aufführt, ist „Die Fledermaus“. Das erste Mal brachte sie Lakner 2007 in Bad Ischl heraus und nun die Neuauflage. Den Inhalt der Fledermaus erzählen zu wollen, hieße Eulen nach Athen tragen, denn die berühmteste Operette kennt wohl jeder Musikliebhaber. Ein bisschen verändert haben das ausgezeichnete Regieteam Michaela Ronzoni und Volker Wahl das Stück. Man verlegt die Handlung in die Zeit vor der Währungsreform, etwa in die 20er Jahre, Eisenstein ist verarmt, gerade wird fast alles was ihm wert und teuer ist gepfändet. Gleichwohl feiert Prinz Orlowsky, der als Drogendealer seinen Reichtum erwirbt, ein rauschendes Fest. Das Stuhlspiel „Reise nach Jerusalem“ ersetzt das Ballett und einiges mehr. Nicht alles ist unbedingt nachvollziehbar, aber man hat die Dialoge entschlackt, das ganze unterhaltsam und für das Publikum nachvollziehbar auf die Bühne gebracht. Und es ist dem Team gelungen, eine spritzige ausgelassene und immer unterhaltsame Operette auf die Beine zu stellen. Das Publikum hat seinen Spaß und die Akteure sind vom Feinsten. Während der Ouvertüre, die von László Gyükér leidenschaftlich und spritzig mit dem Franz-Lehár-Orchester dargeboten wird, zieht die Geschichte der Fledermaus auf der Bühne am Publikum vorbei. Eine ganz tolle Idee, auch wenn sie ein bisschen zu Lasten der spitzig gespielten Ouvertüre geht, da die Ablenkung doch schon sehr groß ist.

Ansonsten hat der Dirigent sein gut aufgelegtes Orchester stets „im Griff“, die wunderbaren Melodien von Johann Strauss Sohn kommen richtig zur Geltung, stimmschonend nimmt er das Orchester bei den Gesangspassagen zurück und sorgt insgesamt für einen runden vollen, ja fast könnte man schon sagen leidenschaftlichen Orchesterklang, sensibel und einfühlsam lässt er seine Musiker in der Musik baden. Dem schließt sich auch der von Gerald Krammer ausgezeichnet eingestellte Chor an, der zum Gelingen der Aufführung wesentlich mit beiträgt. Nina Kemptner, die als laszive Tänzerin Anita Berber aus den 20er Jahren, das Stück begleitet, ist auch für die Choreographie verantwortlich und die liegt bei ihr in den besten Händen. Stefanie Stuhldreier ist für das Bühnenbild und die Kostüme zuständig und sie hat große Arbeit geleistet, auch immer unter dem Vorbehalt der doch recht beschränkten Möglichkeiten der kleinen Bühne in Bad Ischl. Die Meisteroperette wird frisch, aufgeweckt, schmissig, teilweise mitreißend dargeboten, so macht Operette Spaß und man merkt wieder einmal, welche wunderschöne Musik der Schani geschrieben hat.

Und nun zu einer Sparte, die man in dieser Aufführung nicht hoch genug loben kann, den Sängern. Selten habe ich ein so homogenes Ensemble erlebt wie bei dieser „Fledermaus“. Es gibt eine Reihe von Glanzleistungen und es gibt – und das ist nicht immer so – keinen einzigen Ausfall. Doch der Reihe nach. Eine Paradeleistung bringt der slowenische Tenor Matjaz Stopinsek als Gabriel von Eisenstein. Mit strahlender und bombenfester Höhe versehen, nötigt er der Partie Facetten ab, die man so noch gar nicht kannte. Dazu kommt eine Spiellaune, die einfach nur Freude macht, man merkt richtig, wieviel Spaß er an dieser Partie hat, er kostet sie auch weidlich aus und stürmischer Applaus des beeindruckten Publikums sind sein wohlverdienter Lohn. Ihm zur Seite die Operettendiva von Bad Ischl, Regina Riel. In ihrem dritten Jahr in Bad Ischl wird sie immer sicherer, ihr voller weicher und warmer Sopran erblüht immer mehr, vom zarten Piano bis zum feurigen alles übertönendem hat sie die gesamte Palette der Diva drauf. Einer der vielen Höhepunkte ist ihr leidenschaftlich gesungener Csárdás auf dem Fest des Prinz Orlowsky, stimmkräftig, aber dennoch zurückhaltend, jubilierend und zugleich berauschend. Auch vom darstellerischen gibt es keinerlei Einschränkungen, auch harmoniert sie auf das vortrefflichste mit Matjaz Stopsinek, was besonders beim „Uhrenduett“ zum Tragen kommt. Als Gefängnisdirektor Frank brilliert Josef Forstner und immer noch kann er stimmlich voll überzeugen und von darstellerischen hat er mehr Feuer im kleinen Finger wie mancher in der ganzen Hand.

Alice Waginger ist das temperamentvolle, manchmal sogar ein bisschen freche Stubenmädchen Adele, und wie diese kleine zarte Person tiriliert, brilliert, sich in die höchsten Töne schraubt, dabei noch einen Spagat macht, das ist aller Ehren wert. Mit leichtem zartem, aber dennoch durchschlagskräftigem Sopran entzückt die Wiener Koloratursoubrette nicht nur die Gäste auf dem Ball des Prinzen Orlowsky, der von Rita Peterl dargeboten wird. Die Linzer Mezzosopranistin füllt die Hosenrolle rollendeckend aus, agiert manchmal vielleicht noch ein bisschen steif und zurückhaltend, dies wird sich mit Sicherheit aber im Lauf der Zeit ändern. Der liebestolle Alfred wird von Jevgenij Taruntsov, der in Bad Ischl kein Unbekannter ist, mit vollem, kräftigem, für die Rolle vielleicht schon etwas zu schwerem Tenor dargeboten. Mit seiner durchschlagskräftigen Stimme kann er jedoch nicht nur Rosalinde, sondern auch das Publikum beeindrucken. Dr. Falke, der die ganze Rache der Fledermaus eingefädelt hat, wird von dem jungen amerikanischen Bariton Tobias Greenhalgh dargestellt. Er besitzt einen schönen, vollmundigen, warmen und kräftigen Bariton, den er auch im spielerischen selbstbewusst einsetzt.

Oliver Baier gibt erstmals den Frosch. Der österreichische Entertainer und Radio- und Fernsehmoderator legt den Frosch ganz anders an, als man ihn langläufig gewohnt ist. Nicht slibowitzselig, einen Kalauer nach dem anderen, die nicht unbedingt gut sein müssen, abliefernd sondern zurückhaltend, fast intellektuell, geht er als Frosch auf regionale Besonderheiten, wie zum Beispiel die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten ein. Nichtösterreicher tun sich schwer, weil sie die aktuell bezogenen Spitzen nicht oder nur schwer verstehen. Dieser Frosch ist Geschmackssache, dem Publikum jedenfalls hat er exzellent gefallen. Insgesamt eine schmissige, schwungvolle, zu keinem Zeitpunkt langweilige „Fledermaus“ mit außergewöhnlichen Stimmen. Der regionale Fernsehsender von Bad Ischl hat die Premiere aufgezeichnet und ausgestrahlt – hoffen wir, dass es bald eine DVD davon gibt.

Die Fledermaus hat mich schon sehr beeindruckt, ich muss aber sagen, dass ich mich fast noch mehr auf „Die Rose von Stambul“ gefreut habe. Gefreut, weil sie so viele wunderschöne Melodien besitzt, gefreut, weil sie stiefmütterlich behandelt wird und sträflich fast nirgends auf dem Spielplan steht außer jetzt in Bad Ischl und gefreut, weil auch hier eine ganze Reihe von tollen Sängern angekündigt worden waren. Die Geschichte der Operette ist recht einfach und schnell erzählt. Nach türkischer Tradition will Exzellenz Kamek Pascha seine Tochter Kondja Gül mit dem reichen Achmed Bey, dem Sohn eines Ministers verheiraten. Dieser Achmed Bey schreibt aber unter dem Pseudonym André Lery wunderschöne westliche Liebesgeschichten. In diesen André Lery hat sich Kondja unsterblich verliebt und lehnt Achmed Bey als Ehemann ab, nicht wissend, dass er der angeblich westliche Schriftsteller ist. Wie es Brauch ist, muss sie jedoch dem Vater gehorchen und heiratet Achmed Bey, gleichzeitig verweigert sie ihm alle ehelichen Rechte. Achmed Bay gibt sich in der Schweiz, wohin ihm Kondja gefolgt ist, zu erkennen und beide fallen sich liebend in den Arm. Na ja, ein bisschen weit hergeholt, wobei ich ja das Buffopaar noch weggelassen habe, aber alles mit wunderschönen Melodien versehen.

Die Regie und Choreographie liegt in den bewährten Händen von Leonard Prinsloo und er macht seine Sache, bis auf eine einzige Ausnahme, sehr gut. Eine kleine zeitliche Verschiebung, die aber nicht ins Gewicht fällt und eine – Gott sei Dank – konventionelle Behandlung des Stoffes, lassen das orientalische Märchen zu einem Vergnügen für das aufnahmebereite Publikum werden. Gott sei Dank umgeht der Regisseur auch die mögliche, aber vollkommen operettenuntaugliche Möglichkeit, aktuelle Bezüge in das Geschehen einfließen zu lassen. Auch das stimmige Bühnenbild von Su Pitzek, welches den Orient vor den Augen der Besucher entstehen lässt und die bunten, dem Auge schmeichelnden Kostüme von Barbara Häusl wissen zu gefallen. Leidenschaftlich, schwungvoll, alle Feinheiten der Partitur klangvoll herausarbeitend lässt Marius Burkert das Franz-Lehár-Orchester frisch und klangvoll aufspielen. Schwungvoll, sängerdienlich und gerade die unterschiedlichen musikalischen Ströme voll ausschöpfend kann er einen großen Abend mit seinen Musikern verbuchen. Dem schließt sich auch der gut eingestellte Chor des Lehár Festivals Bad Ischl an, sauber und präzise einstudiert von Gerald Krammer.

Kondja Gül wird an diesem Abend erstmalig von der jungen steirischen Sopranistin Sieglinde Feldhofer dargeboten. Mit riesigem Anfangsapplaus versehen, kann sie diesen voll rechtfertigen. Mit silbrig reiner, klarer und alle Feinheiten und Nuancen der Partie auskostender klangvoller Sopranstimme, ist sie auch eine reizend anzuschauende Türkentochter. Ihr Achmed Bey ist Alexandru Badea, der einen hohen, durchschlagskräftigen Tenor besitzt. Im ersten Akt war ich etwas enttäuscht, zu zurückhaltend, nicht auftrumpfend, ja, fast könnte man sagen mit gebremstem Schaum agierte er. Auch waren die Dialoge kaum verständlich. Und welche Wandlung nach der Pause. Man konnte fast annehmen, dass er in diesen paar Minuten in einen Jungbrunnen gefallen wäre. Schmetternd, die höchsten Töne erklimmend, strahlend, leuchtend und feurig gestaltete er den weiteren Abend. Sowohl in seinen Soli, als auch in den Duetten mit Sieglinde Feldhofer wurde Operette auf höchstem Niveau geboten. Und diesem höchsten Niveau schloss sich auch das Buffopaar an. Ilia Vierlinger, die junge Linzer Sopranistin als Midili Hanum, der Freundin Kondja Güls, gelang eine ganz tolle Leistung. Sie kann sowohl mit ihrem klaren, vielseitigen und beweglichem Sopran, als auch mit ihrem ausgezeichneten spielerischen Talent, wobei natürlich auch der über die Bühne gefegter Tanz dazugehört, aufwarten und überzeugen. Ihr kongenialer Partner ist der in Bad Ischl schon öfter aufgetretene Bariton (von der Stimmlage sogar fast schon ein Tenorbuffo) Thomas Zisterer. Er schoss den Vogel als Fridolin ab, indem er seine Auftritte zu kleinen Höhepunkten gestaltete. Sein klangvoller, stimmschöner, ausdrucksstarker, kräftiger, hoher und beweglicher Bariton weiß ebenso zu überzeugen wie sein hervorragendes Spiel. Es war eine Freude, den beiden zuzuhören und auch zuzuschauen.

Der Abend wäre für mich ohne Einschränkungen perfekt gewesen, wäre hier nicht das eigentlich wunderschöne Terzett mit Ilia Vierlinger, Thomas Zisterer und Gerhard Balluch als Müller senior gewesen. Von dem eigentlich reizenden Terzett „Ach, dann will ich einverstanden sein“, verstand man kaum etwas, weil das Publikum vor Lachen tobte, man hatte nämlich ein Zwillingspärchen, er halbnackt, sie mit Schnuller auf die Bühne geschickt. Diese tanzten mit, recht affektiert und hochgradig daneben und das Ganze war mich nicht lustig, sondern im höchsten Maße albern. Dies war aber auch der einzige Wermutstropfen für mich (denn dem sich vor Lachen auf die Schenkel schlagenden Publikum scheint es gefallen zu haben) an diesem ganzen Abend. Eine Operette, die völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist und die an diesem heutigen Abend in Bad Ischl eine ganz tolle Wiederentdeckung war mit einer weit überdurchschnittlichen Leistung des ganzen Ensembles. Die Reise nach Bad Ischl hat sich für meine Frau und mich wieder mehr als gelohnt. Und im nächsten Jahr wird „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár und „Saison in Salzburg“ von Fred Raymond sowie „Kaiserin Josefine“ von Emmerich Kálmán auf dem Programm stehen. Alles noch von Michael Lakner vorbereitet und von seinem Nachfolger dem Schauspieler, Autor und Regisseur Thomas Einzinger präsentiert. Lassen wir uns überraschen.

Manfred Drescher 03.08.16

Bilder www.fotohofer.at