Brandenburg: „Figaros Hochzeit“, Wolfgang Amadeus Mozart

Mozarts „Figaro“ für alle, barrierefrei, „leicht und einfach“


Das Brandenburger Theater will mit seiner neusten Produktion – es ist die letzte von Alexander Busche, er wechselt zum Berliner Theater des Westens – einen „barrierearmen“ Zugang zu Mozarts Opern im Allgemeinen, zum „Figaro“ im Besonderen bieten, „leicht und einfach“ soll er sein, verständlich für möglichst viele Menschen in Brandenburg an der Havel und Umgebung, egal welchen Alters und welcher Bildung. Mozart für alle? Eine Utopie, so scheint es, denn das Premierenpublikum rekrutierte sich aus überwiegend älteren Opernfreunden.

© Enrico Nawrath

Das Projekt soll Pioniercharakter haben und es soll auch anderen Theatern kostenlos als Open Document zur Verfügung gestellt werden. Grundlage der Brandenburger Fassung ist eine Übersetzung des Librettos von Da Ponte in „einfache deutsche Sprache“. Die Schauspielerin Elina Lindgens hat sie erstellt. Mozart soll so „barrierefrei“ und niederschwellig, quer durch alle Schichten der Gesellschaft verständlich gemacht werden. Alltagsdeutsch, Gossenjargon und sprachliche Banalitäten, gelegentliche Kalauer und der flapsige Umgangston heutiger Jugendlicher spiegeln sich im gesungenen Text, mehr noch in der stak vereinfachenden, bloß kommentierenden Übertitelung. Zuweilen hat diese neue Textfassung etwas Verdummendes. Zur Erinnerung: Mozart schrieb seinem Vater, der ihn gelegentlich „wegen des sogenannten Populare“ ermahnt hatte, er schreibe „Musik für alle Gattungen von Leuten– ausgenommen für lange Ohren nicht.“

Auch wenn diese Produktion einer gegenwärtigen Tendenz (des Umgangs mit klassischer Musik) zur Verflachung zwecks Bespaßung eines möglichst breiten Publikums, ja einem weithin sichtbaren Trend zum Seichten, „Flotten“ und Anspruchslosen für Unbedarfte zu folgen scheint: Man war gespannt auf die Aufführung, denn sie wurde von Andreas Spering dirigiert. Er ist seit 1996 künstlerischer Leiter der Brühler Schlosskonzerte und des dortigen, von ihm im selben Jahr gegründeten Orchesters „Capella Augustina“. Sein Ensemble arbeitet nach der historischen Aufführungspraxis. Seit 2023 ist er auch Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker. Diese spielten in kleiner Besetzung und ebenfalls hörbar inspiriert von historisch informierter Musizierpraxis, und sie spielten fulminant, um es vorweg zu sagen. Man saß auf der Stuhlkante. Keine Sekunde herrschte Routine, Konvention oder gar Langeweile. Und ich habe manche Aufführungen des Stücks erlebt, die quälende Längen hatten. In Brandenburg jedoch erlebte man Mozart im Ausnahmezustand. Spering dirigierte transparent, analytisch, mit mitreißendem, tänzerischem Schwung, mit Verve und dramatischer Kraft. Da wurde Mozart ernst genommen, erregend und scharf zugespitzt in jedem Takt, so pointiert, dass sich die Musik gewissermaßen von selbst erklärte, in atemberaubendem Tempo, mit intelligentester Phrasierungskunst und ausgefeilten Orchester-Details. Zu schweigen von der exzellenten Sängerbegleitung wurde ein Beispiel gegeben von dem, was „Die Geburt des Dramas aus dem Geist der Musik“ bedeutet. Das Werk, 1789 in Wien uraufgeführt, ist – in Brandenburg an der Havel wurde es zum selbstredenden Ereignis – schlichtweg grandios: In der musikalischen Faktur, in der Originalität sängerischer und opernhafter Formen und natürlich in dramaturgischer Hinsicht.

© Enrico Nawrath

Spering machte die Revolutionsideen von Beaumarchais, auf den sich Mozarts Librettist Da Ponte berief, schon in der Musik hörbar. Sie animierte, ja trug die ganze Aufführung, egal was szenisch passierte, egal, was Regie und Bühnenbild zu dem Stück zu sagen hatten. Man darf nicht vergessen: Nie zuvor ist „auf der Opernbühne ein allein an der gesellschaftlichen Wirklichkeit orientiertes Musikdrama geschrieben worden, ohne den Filter irgendwelcher überlieferter Gattungsmerkmale, ohne Rücksicht auf die Regeln über die Darstellung ‚hoher‘ und ‚niederer‘ Personen auf der Bühne.“ (Volkmar Braunbehrens).

Es geht in dieser Oper ja um die Aufhebung adliger Privilegien und die Gleichstellung aller Untertanen, was wesentlicher Bestandteil der josephinischen Innenpolitik war, schließlich war Kaiser Joseph II. der Auftraggeber der Oper. Natürlich ist das Werk eine „Opera buffa“, wenn auch weit entfernt von allen vergleichbaren Werken etwa von Paisiello und anderer Zeitgenossen. Das Geschehen wird im „Figaro“ nicht nur, wie bis dato üblich, in den Rezitativen vorangetragen, sondern auch in den Musiknummern. Die weit verbreiteten Absurditäten der Buffa fehlen, die Charaktere der handelnden Personen sind ausgeprägt und die von Beaumarchais übernommene Komplexität der verflochtenen Handlung dieser brillanten wie revolutionären, gesellschaftskritischen Komödie wird in einem geradezu „provozierenden Realismus“ auf die Bühne gebracht.

© Enrico Nawrath

Nun ist Regisseur Alexander Busche kein Mann tiefschürfenden Regisseurstheaters. Und so hat er sich im Wesentlichen der „Opera buffa“ und ihrer heiteren Oberfläche zugewandt, allerdings mit geradezu kindlicher Lust am Verkleiden und am komödiantischen Spiel. Gabriele Kortmann hat ihm absurde, überzeichnete, bunte, ja ironische Kostüme entworfen, die dem Affen Zucker gaben. Es durfte gelacht werden. Auch über ein altes Stofftier, das einmal über die Bühne gezogen wurde. Busche hat das Stück als grelle Farce – mit leichter Hand und mit einer gewissen Freude an der Travestie, die in das Stück hineingeschmuggelt wurde – abschnurren lassen ohne jeden aufgesetzten regielichen Fingerzeig oder naseweisen Kommentar. Auch sein Bühnenbild ist von schlichter und heiterer Anmutung: Es sind drei weiße Partyzelte, die mal von innen, mal von außen bespielt werden, variiert nur durch Blumengirlanden oder Topfpflanzen. So wenig der politische Charakter im Szenischen ersichtlich wird, die „Revolution der Herzen“ wird in oftmals anrührender Weise beglaubigt, vor allem durch ein handverlesenes, ausnahmslos junges Sängerensemble.

© Enrico Nawrath

Graf Almaviva wurde mit weißer Langhaarperücke und verrücktem Outfit von dem jungen, Kölner Sänger Frederik Baldus mit kraftvollem Bariton gesungen. Die Gräfin Almaviva wurde der dänischen Sopranistin Kristel Vinter Knudsen anvertraut, die wie eine in Rosa gewandete Transe mit atemberaubender Feder-Perücke auftritt. Ein Paradebeispiel an Natürlichkeit und frischer Herzlichkeit des Singens liefert die Susanna der Münsterländerin Ines Vinkelau. Den Figaro singt der von burschenhafter Virilität strotzende Bass-Bariton Friedemann Gottschlich mit violetter Clownsperücke. Was dem Eindruck der ganzen Aufführung entspricht: Sie ist in gewissem Sinn eine fröhliche Kasperliade. Geradezu sensationell ist der Cherubino der blutjungen, aber mit imposantem und kultiviert geführtem Stimmmaterial aufwartenden und temperamentvollen Mezzosopranistin Johanna Bretschneider. Auch die Marcellina der Mezzosopranistin Thalia Azrak, der Bartolo und Antonio des Bassbaritons Lukas Eder und der deutsch-mexikanische Tenor Ravi Sund Rojo in den Partien des Basilio/Don Curzio überzeugten, auch der Extrachor Brandenburg e. V unter Karsten Drewing. Ganz entzückend sang und spielteBarbarina, die Brandenburger Theaterpreisträgerin Natallia Baldus.

Und so war der Abend denn ein Sängerfest und ein orchestrales Mozartglück.

Dieter David Scholz, 26. September 2025


Figaros Hochzeit (Le Nozze di Figaro)
Wolfgang Amadeus Mozart

Brandenburger Theater

Gesehene Aufführung: 25. September 2025

Regie/ Bühne: Alexander Busche
Musikalische Leitung: Andreas Spering
Brandenburger Symphoniker


Weitere Aufführungen: 28. September, 11. und 12. Oktober 2025