Seit über sechs Jahrzehnten besuchen wir intensiv Opernaufführungen und Konzerte. Nicht zuletzt bedingt durch unsere Herkunft sind wir vor allem mit der Musik des Sachsen Richard Wagner verbunden, so dass uns auch zwischen den Wohn- Studien- und Arbeitsorten Leipzig bis Dresden sowie später in Bayreuth bzw. Salzburg diese und jene Aufführung seiner romantischen Oper „Tannhäuser“ untergekommen ist. Nach meinen Erinnerungen war der erste Tannhäuser eine von den 50 Leipziger Aufführungen im improvisierten Haus Dreilinden mit Christa-Maria Ziese, Elisabeth Rose, Ernst Gruber und Theodor Horand. Auf der viel zu kleinen Bühne zwischen den umfangreichen Bauten war wenig Bewegung der Agierenden möglich und es ging ziemlich steif zu.

Erst als der spätere Operndirektor Joachim Herz (1924-2010) dem Begriff der Werktreue die Werkgerechtigkeit entgegengesetzt hatte, ging es auch lockerer auf Leipzigs Bühnen zu. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich unzählige Opernregisseure und solche, die sich berufen fühlten, der Arbeit Richard Wagners bemächtigt und dem Werk neben guten Inszenierungen auch zahlreiche Aktualisierungen, Verfremdungen und Umdeutungen der Grundaussagen der Texte verpasst. Spätestens nachdem Tobias Kratzer den Konflikt zwischen erotischer und vergeistigter Liebe gegen das Aufeinanderprallen sozialer Gruppen ausgetauscht und in seiner Inszenierung das Bayreuther Festspielhaus durch eine virtuelle Flugreise mit der Wartburg verknüpft hatte, war es für uns unumgänglich, sich den Ursprüngen des Sujet zu nähern. Richard Wagner hatte zwar die Wartburg nie besucht, konnte aber Kraft seiner Phantasie den Sängerkrieg daselbst als zentrale Szene seines Anliegens gestalten. Was lag deshalb näher, die halbszenische Aufführung des Meininger Opernensembles am fiktiven Originalschauplatz des Sängerkrieges zu besuchen. Bereits das Ambiente des Festsaals der Wartburg versetzte die aus einem problematischen Alltag gekommenen 289 Besucher in eine entkrampfte Stimmung. Im, später als das Heilige Römische Reich deutscher Nation bezeichnete Gebiet, in dem sich das Herrschaftsareal Hermanns von Thüringen (um 1155-1217) befand, waren die kriegerischen Auseinandersetzungen in Form von Kreuzzügen und um Wechselungen von Herrschaftsgebieten oder Anerkennungen von Königtümern ebenso verbreitet, wie jene Unruhen, die unsere derzeitige Welt erschüttern. Trotzdem soll Hermann I. im Jahre 1206 die bedeutendsten Minnesänger der Zeit auf der Wartburg, dem Hauptsitz des Adelsgeschlechts der Ludowinger, zu einem Sängerwettstreit versammelt haben. Unter ihnen habe sich neben Walter von der Vogelweide (um 1170-1230) und Wolfram von Eschenbach (um 1170- um 1220) auch der Tanhüser (vor 1225-1256) befunden. Des Tannhäusers Minnelieder hoben sich oft mit ironischen Vagantenmotiven von der Minnetradition seiner Zeitgenossen ab, was Richard Wagner die Anregung zu seiner Oper mit dem Außenseiter Tannhäuser brachte.

Bereits im ersten Akt nahm uns das bestimmende Auftreten der aus Georgien stammenden Venus-Darstellerin Tamta Tarielashvili mit ihrem üppigen Mezzo-Sopran und ihrer Sexbesessenheit gefangen und lieferte mit dem Tannhäuser-Tenor Corby Welch packende Belcanto-Szenen, bis sich der Abtrünnige vom Geläut der Glocken aus der Umklammerung der Verführerin löste und mit seinen Minnesänger-Rittern versöhnte.
Auch gab es noch einen wunderbar singenden jungen Hirten namens Hannah Gries, die seit Saisonbeginn im Ensemble verortet ist.
Nachdem am Beginn des zweiten Aktes die hervorragende Lena Kutzner mit ihrem strahlend-glockenhellen Sopran und dem Dich grüß ich , Heilge Halle die Emotionen im Zuhörerbereich auf das zentrale Anliegen des Abends eingestimmt hatte, glaubte in gefühlvoller Zwiesprache Elisabeth das Verhältnis zum Tannhäuser als gesichert. Nachdem die Gäste des Sängerwettstreits auf dem Balkon versammelt worden waren, konnte als gastgebender Landgraf Renatus Mészár mit kraftvoller Stimme die zum Wettbewerb angereisten Minnesänger begrüßen. Faszinierend der Nachweis der Leistungsfähigkeit der Meininger und als Beweis der Vielfalt unserer Kulturlandschaft entsprechend, waren die Rollen der altdeutschen Sänger ausschließlich mit aus aller Welt engagierten Mitgliedern des Staatstheater-Ensembles besetzt worden: der Bariton Shin Taniguchi des Wolfram von Eschenbach mit seinem lyrisch-kultivierten Liedgesang war aus Japan gekommen, während der klare Tenor des Walters von der Vogelweide vom gebürtigen Amerikaner Garrett Evers geboten wurde. So stammte auch der Bassist Mark Hightower als wohltuender Reimar von Zweter aus den Vereinigten Staaten. Den Heinrich der Schreiber sang und spielte mit klarem Tenor der aus Polen stammende Stan Meus. Mit gleicher Herkunft, aber mit dem notwendigen Nachdruck ausgestattet, war der Biterolf des Bassbaritons Tomasz Wija zu hören.

Deshalb war es nicht verwunderlich, dass auch der Tannhäuser-Sängerdarsteller Corby Welch aus Amerika nach Meiningen gekommen war. Mit seiner kräftigen körperlichen Präsenz, seinem großen Volumen und dem ausdrucksvollem Glanz seiner Stimme war er in der Lage, die schwierige Aufgabe der Titelpartie werkgerecht auszufüllen. Welch war stimmlich immer auf der Höhe, zeigte Emotionen und Leidenschaft. Da waren keine Noten abgekürzt und er konnte bis zum Schluss noch enorme Steigerungen bieten.
Nicht so extrem international waren die vier vom Chor entlehnten Edelknaben Aisling McCharthy, Yerim Park (Japan) Sophia Oertel und Dana Hinz aufgestellt. Beim Sängerwettstreit war ohne Ausnahme gut bis hervorragend gesungen worden. Auch Lena Kutzner konnte gegen Schluss des zweiten Aufzugs mit selbst in den Spitzentönen angenehmer Stimme mitreißend auftrumpfen, so dass sich diese Szene nicht nur zum dramatischen, sondern auch zum musikalisch beeindruckenden Höhepunkt des Abends entwickelt hatte.
Aus dem dritten Aufzug der Vorstellung stachen besonders Lena Kutzners Anrufung der allmächtigen Jungfrau, die Todesahnung des Wolfram von Eschenbachs von Shin Taniguchis und die Romerzählung Corby Welchs hervor.
Die von Roman David Rothenaicher einstudierten Chöre waren bewusst zurückhaltender ins Bühnengeschehen eingebunden, um den begrenzten Raum des Festsaales akustisch nicht zu überfordern.
Die hervorragend aufgestellte Meininger Hofkapelle war etwas vertieft hinter der Spielfläche angeordnet. Deshalb durchströmte die glanzvoll offerierte Orchestermusik klar strukturiert den Spielraum und konnte den Gesang der Darsteller regelrecht mitnehmen. Die gemischten Schallwellen gelangten so in die holzgetäfelte Schuhschachtel des Zuhörerraumes und bereiteten dem Publikum ein beeindruckendes Klangerlebnis. Für den Dirigenten des Abends, Kens Lui, hatte diese Anordnung zwar zur Folge, dass er mit seinen Sängern und dem Chor nicht direkt kommunizieren konnte. Dank seiner Umsicht gab es aber zwischen dem aus Hong Kong stammenden Orchesterleiter und den Solisten sowie dem Chor keine Abstimmungsprobleme. Ohnehin bewältigte Kens Lui mit elektrisierender Energie seine nicht einfache Aufgabe. Die Meininger Hofkapelle ist übrigens von den Kritikern des Fachmagazins Opernwelt zu einem der Orchester des Jahres 2025 gewählt worden.

Die für die halbszenische Inszenierung am fiktiv-historischem Handlungsort zwangsläufig zurückhaltende Regie des lange Jahre in Meiningen tätigen Ansgar Haag hatte sich trotz der begrenzten Platzverhältnisse mit einer professionellen Personenführung der Handelnden ausgezeichnet. Mit viel Einfallsreichtum hatte Kerstin Jacobssen gekonnt die begrenzte Spielfläche genutzt und Auf- beziehungsweise Abgänge der Agierenden zwischen die Zuhörerreihen verortet sowie die Unterbringungsmöglichkeiten der Chorsänger in den Festsaal eingebunden. Von Stephanie Geiger waren Kostüme entworfen worden, wie wir uns die Kleidung des Adels im frühen Mittelalter so vorstellen. Haags Arbeit war im Jahre 2010 gemeinsam mit Kerstin Jacobssen vom überregional wirkenden Förderverein des Theaters Meiningen als beste Inszenierung des Jahres geehrt worden. Wir erlebten die 103. Aufführung der Inszenierung und es werden weitere folgen.
Für uns war der beglückende Abend eine Bestätigung unserer Vorliebe für weniger aufwendige Opernaufführungen.
Thomas Thielemann, 28. September 2025
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Richard Wagner
Festsaal der Wartburg Eisenach
27. September 2025 (103. Aufführung)
Premiere: 4. April 2010
Inszenierung: Ansgar Haag
Musikalische Leitung: Kens Lui
Hoforchester Meiningen