Besuchte Vorstellung am 14. April 2019
Mutterliebe
Eine szenische Interpretation von Bellinis „Norma“ ist an den deutschen Bühnen immer wieder eine Rarität. Zu exponiert erscheinen die sängerischen Anforderungen und zu schwierig vielleicht auch die Darstellung eines Druidenvolkes, das auf einen anderen Kulturkreis trifft.
Regisseur Markus Bothe erfand zum Glück das Rad nicht neu, verzichtete darauf, die Oper zu aktualisieren oder sie mit Dämlichkeiten des sog. Regie-Theaters zu überfrachten. Bühnenbildner Robert Schweer hat auf die Bühnenmitte einen gewaltigen Eichenbaum gestellt. Eine imposante rituelle Opfer- und Andachtsstätte. Im Hintergrund erhebt sich eine wuchtige Mauer aus Sandsäcken. Die Gallier schützen sich so vor den sie bedrängenden Römern. Gekleidet sind die Gallier in graue Gewänder, die Römer hingegen sind schwarz gekleidet und mit Pistolen ausgestattet. Ein deutlicher optischer Kontrast, der das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen unterstreicht. Die Gallier werden klar in ihrem Agieren als Natur-Volk gekennzeichnet. So verantwortet Norma ein Gewächshaus, das aus der Unterbühne hochfährt und Adalgisa sucht immer wieder die Nähe, die Fühlung mit dem Eichenbaum.
Norma in Mannheim löst besondere Erinnerungen aus, so gab es in der früheren Produktion von Marco Arturo Marelli zwei spektakuläre Besetzungen für die Titelrolle mit Maja Abajan und der überragenden Monica Pick-Hieronimi. Und nun in der aktuellen Produktion?
Wiederum ist das leistungsfähige Nationaltheater Mannheim in der Lage, für die ungemein schwere Titelpartie zwei Sängerinnen aus dem Ensemble aufzubieten. In der besuchten Vorstellung war die Sängerin der Premiere, Miriam Clark, zu erleben und zu bestaunen. Im Mittelpunkt ihrer Rollengestaltung steht die große liebende Frau, die Mutter der zwei unehelichen Kinder aus der Verbindung mit dem Römer Pollione, die sprichwörtlich für ihre Liebe ins Feuer geht. Regisseur Bothe verzichtete auf den Feuergang und lässt die beiden Liebenden durch das Messer sterben. Auf hohem Niveau war Clark eine außergewöhnlich souveräne Sängerin. Glasklare Intonation, präzise Beweglichkeit in den geforderten Koloraturen und notwendiges Auftrumpfen, wo es gefordert war. Und doch waren es die geradezu endlos anmutenden, gefluteten Färbungen im Piano und Pianissimo. Die Zeit erschien aufgehoben, wunderbare Momente. Besonders eindrücklich war ihre außergewöhnliche Hingabe an den Rollencharakter, alles wirkte durchdacht und erlebt. Miriam Clark ging völlig in ihrer Rolle auf, sie war Norma!
An ihrer Seite agierte darstellerisch zurückhaltend Jelena Kordic als Adalgisa. Rein sängerisch bewältigte sie gut ihre Partie und sorgte gerade in den Duetten für viel Wohlklang. Lediglich in der szenischen Gestaltung wurde sie eindimensional und eher blass gezeichnet. Einzig ihr bewusster Verzicht auf Pollione, gekennzeichnet in einem selbstbewussten Abgang, wirkte als szenischer Rollenakzent.
Mannheim kann sich glücklich schätzen, mit dem Tenor Irakli Kakhidze, einen echten C-Tenor im Ensemble zu haben. Leider erkrankte dieser kurzfristig, so dass sein Kollege, Andreas Hermann, die undankbare Aufgabe hatte, ihn zu vertreten. Seine Leistung geriet insgesamt sehr ambivalent. Völlig mühelos, auch ein beeindruckendes hohes C in der Kavatine, sang er (viel zu) brav alle Töne. Nur, das war es dann aber auch schon. Sein Stimmklang entspricht eher der Stimme eines Charaktertenors für das deutsche Fach. Kein Schmelz, keine Italianita und dazu ein reichlich phonetisch wirkendes Italienisch nahmen der Rolle viel an Wirkung. Es wurde zu keinem Zeitpunkt deutlich, dass Hermann verstand, was er da sang, da der Text beiläufig und wenig markant artikuliert wurde. Auch szenisch wirkte er leider zu unbeholfen und wenig charismatisch, um als römische Führungskraft Stärke und Autorität auszustrahlen. Von ihm ging keine Faszination und kaum erlebbare szenische Präsenz aus. Dies spiegelte er auch der eher magere Applaus für ihn wider. Schade.
Eine große Klasse für sich war Sung Ha, der mit wuchtigem Bass und großer Stimmkultur seinem Oberpriester Oroveso Gewicht und Autorität verlieh. Endlich einmal ein Bass und kein abgedunkelter Bariton, ohne fundierte Tiefe, wie er heute viel zu häufig an deutschen Bühnen im Bass-Fach anzutreffen ist. Ha‘s Stimme wertete seinen Rollencharakter enorm auf. In dieser Qualität kann er an allen großen Bühnen der Welt das erste Fach souverän bewältigen.
Überzeugend auch Natalija Cantrak (Clothilde) und Raphael Wittmer (Flavio).
Dazu hatte Dani Juris den Chor des Nationaltheaters Mannheim homogen und präzise einstudiert.
Dirigent Michael Wengenroth war eine ausgezeichnete Wahl für diese Aufführung. Hier agierte ein formidabler Kapellmeister, der seiner Aufgabe bestens gerecht wurde. Zu jedem Zeitpunkt strahlte er Ruhe und Klarheit aus. Forsche Tempi und ausgeklügelte Dynamik prägten seine Interpretation. Seinem Sänger Ensemble war er ein aufmerksamer Begleiter, der auch den lyrischen Kantilenen Raum und Ruhe gab. Im Gegensatz dazu mangelte es ihm nicht an Feuer für die Ausbrüche, so z.B. im kriegerischen „Guerra“-Chor oder im großen Finale. Das Orchester des Nationaltheaters musizierte konzentriert und tonschön. Wunderbar warm der Streicherton, insbesondere bei den Celli, klar konturiert und sauber in der Intonation die Bläsergruppen. Dazu hoch präsente, hervorragend abgestuft agierende Schlagzeuger. Ein tolle Leistung, die gebührend honoriert wurde.
Viel Begeisterung im sehr gut besuchten Nationaltheater!
Dirk Schauß 15.4.2019
Bilder (c) NT Mannheim