Frankfurt: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2023/24“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach dem Theater Bremen blicken wir heute auf die Oper Frankfurt.


Bei elf Premieren und 13 Wiederaufnahmen fällt es in der Fülle nicht leicht, die absoluten Favoriten zu küren, umso mehr, da dieses Mal keine einzige der Neuproduktionen mißlungen ist und die Reihe der Wiederaufnahmen sich wie ein Best-of der vergangenen Jahre liest, mit solchen Regiegroßtaten wie Claus Guths Daphne, Christof Loys Nacht vor Weihnachten oder Barrie Koskys Salome.

Beste Produktion (Gesamtleistung):
Tannhäuser: Spannend und berührend erzählt, musikalisch hinreißend.
Die Produktion schlägt dabei Le Grand Macabre (ausgezeichnet mit dem OF-Stern) und Giulio Cesare aus dem Rennen.

Größte Enttäuschungen:
Nur eine kleine Enttäuschung: Daß Katharina Thoma bei ihrer Inszenierung von Jacques Offenbachs Banditen allzu harmlos geblieben ist und nicht mehr als einen netten Gute-Laune-Abend mit einem Übermaß an Gruppenchoreographien präsentiert hat.

Keine Enttäuschung, aber eine Merkwürdigkeit: Aida als kaum verändertes Remake von Lydia Steiers Inszenierung aus Heidelberg. Hat die Regisseurin dazu wirklich nichts Neues zu sagen?

Entdeckung des Jahres:
Ascanio in Alba: Die szenisch erstaunlich frische Produktion einer reifen Talentprobe des jungen Mozart in einer nahezu idealen musikalischen Umsetzung.

Beste Wiederaufnahme:
Fabelhaft besetzte Wiederaufnahmen gab es einige. Im Spitzenfeld liegen Salome, Die Entführung aus dem Serail und Otello dicht beieinander.

Die Krone gebührt aber Fedora, weil hier die musikalische Seite im Vergleich zum Premierenzyklus noch einmal eine Schippe draufgelegt und Nadja Stefanoff die Titelrolle nun vollständig verinnerlicht hat.

Beste Gesangsleistungen (Hauptpartie):
a) Ensemble:

AJ Gluckert (Lyonel in Martha), Iain McNeil (Jago in Otello), Magnus Dietrich (Tamino in Die Zauberflöte)
b) Gastsänger
Christina Nilsson (Elisabeth in Tannhäuser), John Osborne (Éléazar in La Juive)

Beste Gesangsleistungen (Nebenrolle):
a) Ensemble
Bianca Andrew (Sesto in Giulio Cesare), Karolina Bengtsson (Ein Hirte in Tannhäuser und Barberina in Nozze di Figaro)
b) Gastsänger
Iurii Iushkevich (Nireno in Giulio Cesare)

Nachwuchssängerin des Jahres:
Claudia Riba (Cornelia in Giulio Cesare)

Bestes Dirigat:
Thomas Guggeis für Tannhäuser, auch für Nozze di Figaro.
Sein Don Carlo war interessant, aber ohne Italianità.

Beste Regie:
Matthew Wild für Tannhäuser, eine Nasenlänge vor Nadja Loschky mit Giulio Cesare.

Bestes Bühnenbild:
Christoph Fischer für Don Perlimplín und Ascanio in Alba: Im Bockenheimer Depot läuft der hauseigene Bühnenbildner zur Hochform auf mit ungewöhnlichen Raumlösungen, die auch als eigenständige Skulpturen bestehen können.

Beste Chorleistung:
Tannhäuser und La Juive
Atemberaubende Homogenität, leuchtende Piani und mitreißende Wucht im Forte: Tilman Michael demonstriert, warum die MET in New York ihn – wenn auch angeblich nur leihweise – als Chordirektor verpflichtet hat.

Größte Peinlichkeit:
Der Blackfacing-Alarm empörungsbereiter Provinz-Politiker angesichts einer Anubis-Figur in Le Grand Macabre. Zum Fremdschämen.

Größtes Ärgernis:
Noch einmal die Stadtpolitik: Das Damoklesschwert der Etatkürzungen hängt über dem Erfolgshaus. Jedes Jahr bedarf es zäher Verhandlungen, um zu verhindern, daß man „den Laden dicht machen“ muß (Bernd Loebe). Unwürdig.


Die Bilanz zog Michael Demel.