Die inzwischen weltberühmte Sopranistin Asmik Grigorian ist mit ihrem Pianisten Lukas Geniušas auf Europatournee, um ihre eben aufgenommene erste Lied-CD vorzustellen – siehe dazu das Zitat aus der Homepage von Asmik Grigorian:
Recital tour – In May, Ms. Grigorian commences her recital tour with pianist, Lukas Geniušas, showcasing repertoire from their recent album ‘Dissonance’ (“The CD inspires, it captivates, it unsettles, it is moving on many different levels.” – Deutschlandfunk), including songs by Tschaikovsky and Rachmaninov. The tour begins with a concert at the Elbphilharmonie in Hamburg on 24th May, followed by concerts at the Taggenbrunner Festspiele in Austria (31st May), a long-awaited debut at the Graz Musikverein (June 3rd), and finally, a concert at the Grand Théâtre de Genève in Switzerland (June 7th).
Hier ist wieder einmal das besondere Verhandlungsgeschick von Musikvereinsintendanten Dr. Michael Nemeth zu bewundern, dem es gelungen ist, das Grazer Lieddebüt von Asmik Grigorian zustande zu bringen. Die CD ist erst am 25.3.2022 erschienen.
(Auf der Bühne des Grazer Operhauses war Asmik Grigorian allerdings schon 2011 in einer Konwitschny-Inszenierung als Lisa in „Pique Dame“ zu Gast. Das war vor Beginn ihrer Weltkarriere. Dieser damalige Auftritt geht in den üblichen Curricula bisher unter – siehe dazu das PS dieser Konzertbesprechung.)
Dem Grazer Konzert waren Auftritte in der Hamburger Elbphilharmonie und bei den Taggenbrunner Festspielen vorangegangen. Jedesmal war das Abendprogramm etwas anders. In Graz gab es erstmals als ersten Programmteil fünf Lieder von Tschaikowsky – beginnend mit der lieblich-zarten h-moll-Elegie In mitten eines Balles und endend mit dem großen melodischen Aufschwung Gesegnet sei mir Wald und Au – beide nach Texten von Tolstoi. Das musikalische Kernstück war wohl die russische Version von Goethes Nur wer die Sehnsucht kennt. Auch bei so ausdrucksvoller Deklamation wie an diesem Abend kann diese Tschaikowsky-Vertonung allerdings wohl nicht gleichwertig in die große Tradition der Mignon-Lieder-Vertonungen eines Beethoven, Schubert oder Hugo Wolf eingereiht werden. Man war gebannt von der Persönlichkeit Asmik Grigorians, ihrer makellosen Stimmführung und der charismatischen Ausstrahlung, aber irgendwie hatte man den Eindruck, dass das zentrale Erlebnis des Abends erst der zweite Teil bringen werde. Daran änderten auch nichts die absolut virtuos vorgetragenen Klaviersolostücke Tschaikowskys, die der junge russisch-litauische Pianist Lukas Geniušas vor der Pause beisteuerte.
Tatssächlich änderte sich die Situation nach der Pause vollkommen. Der zweite Teil war ausschließlich Werken von Sergej Rachmaninow gewidmet – und geradezu mit dem ersten Ton von In der Stille heimlicher Nacht erlebte man das unmittelbar, was Asmik Grigorian in einem Interview gesagt hatte: „Die meisten von Rachmaninows Romanzen verlangen wirklich nach opernhafter Energie. Tatsächlich schrieb er ‚Miniatur-Opern‘, welche wenige Minuten dauern.“ Schon der erste Piano-Ton war nicht mehr ein Piano in der Salon-Liedtradition des 19. Jahrhunderts eines Tschaikowsky, sondern das war dramatisch-aufgeladene Expression. Asmik Grigorian hat sich diese Expression ganz zu eigen gemacht. Man ist versucht, zu sagen, das sei mehr als perfekte Interpretation: Asmik Grigorian ist mit ihrer Stimme unmittelbar zu Rachmaninow-Melos geworden. Da sind Komposition und Wiedergabe zu einer außerordentlichen, sich geradezu wechselseitig bedingenden Einheit verschmolzen. Das war großartig und höchstes Niveau! Zwischen die 12 Lieder waren – gleichsam zum Atemholen für Sängerin und Publikum – virtuose Klavierstücke eingebaut. Rachmaninow, selbst ein Klaviervirtuose von Weltrang, hatte ja eine ganze Reihe von Klaviertranskriptionen geschaffen – sowohl eigener Lieder als auch z.B. von bekannten Stücken von Mussorgsky und Rimski-Korsakow. Lukas Geniušas servierte diese pianistischen Glanzstücke höchst eindrucksvoll.
Der Jubel des Publikums im vollen Konzertsaal war immens und erreichte drei Zugaben – natürlich weitere Kostproben aus der eben erschienenen Rachmaninow-CD. Es fehlen einem eigentlich die Worte, die Kunst von Asmik Grigorian adäquat zu beschreiben – und man kann sie auch nicht auf ein Foto bannen – man verzeihe also die schlechte Fotoqualität. Der Veranstalter hatte diesmal keine Fotos angeboten.
Wer sich aber einen unmittelbaren Eindruck verschaffen will, dem empfehle ich wärmstens folgende links:
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Von der CD-Aufnahme gibt es einen Trailer, der sehr gut die Intensität von Asmik Grigorian/ Lukas Geniušas vermittelt, mit der hier musiziert wird
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Fast alle Rachmaninow-Lieder, die in Graz erklungen sind, wurden vor rund einem Jahr in Vilnius aufgezeichnet – im wegen Corona leeren Konzertsaal. Nur die Mutter von Asmik Grigorian durfte aus Anlass ihres Geburtstags im Saal sein und ist auch kurz zu sehen: Because of the pandemic, this recital was without audience, except Asmik’s mother, also a famous opera singer, Irena Milkevičiūtė and that day was her birthday. Teil 1 und Teil 2
Asmik Grigorian hat angekündigt, sie wolle alle Lieder von Rachmaninow auf CD aufnehmen. Möge es dem Musikverein gelingen, sie dann wieder für einen Liederabend in Graz zu gewinnen!
4.Juni 2022, Hermann Becke
Und hier das versprochene Opern-PS:
Asmik Grigorian war diesmal nicht zum ersten Mal in Graz. In der Saison 2011/12 sang sie in allen Vorstellungen die Lisa in der polarisierenden Konwitschny-Inszenierung von Tschaikowskys Pique Dame an der Oper Graz. Das war ihr Rollendebüt unmittelbar vor dem Beginn ihrer über Litauen hinausgehenden Bühnenkarriere. Diese Station auf ihrem Weg zur Weltspitze scheint in keinem der vielen im Internet kursierenden Lebensläufe auf – und auch nicht im Programmheft dieses Liederabends. Diese großartige Interpretation sei daher in Erinnerung gerufen – hier eine damalige Kritik und der Trailer der Oper Graz. Das war übrigens jene Opernproduktion, in der der heute ebenfalls international arrivierte Bariton Andrè Schuen seine allererste größere Bühnenrolle (als Fürst Jeletzki) verkörperte.
Asmik Grigorian und Andrè Schuen sind im vergangenen Herbst wieder miteinander auf der Bühne gestanden – diesmal auf der Bühne der Wiener Staatsoper als Tatjana und Eugen Onegin! Darüber freute ich mich, hatte ich doch in meiner OF-Kritik der Grazer Pique Dame vor 11 Jahren sowohl Asmik Grigorian als auch Andrè Schuen eine Karriere auf den ersten Bühnen prophezeit…….
Und um den Kreis zum Liederabend-Abonnement des Grazer Musikvereins zu schließen: Es wäre sehr schön, in der nächsten Zeit wieder einmal Andrè Schuen als Liedinterpret in Graz zu erleben, steht er nun doch unzweifelhaft in der ersten Reihe der Interpreten des deutschen Lieds!