Dresden, Ballett: „Hell und Dunkel“

 

Für seinen Abschied vom Semperoper Ballett nach 17 Jahren als Ballettdirektor wählte Aaron Watkin ein dreiteiliges Programm, dessen Choreografien einen Zeitraum von fast 30 Jahren umspannen. Älteste Arbeit ist The Second Detail von William Forsythe, uraufgeführt 1991 beim National Ballet of Canada, in Dresden erstmals 2007 im Rahmen des Ballettabends Dream Lands gezeigt. Auf der hellen Bühne, die der Choreograf selbst entwarf und auch beleuchtete, gibt es nichts als ein paar Hocker im Hintergrund und ganz vorn ein kleines Schild mit der Aufschrift THE – also dem ersten Wort des Titels. Auch die hellgrauen Ganzkörpertrikots von Yumiko Takeshima fügen sich perfekt ein in die gleißende Helle.

(c) Semperoper Dresden/Daniel Koch

Gewöhnungsbedürftig ist Thom Willems’ Klangcollage aus klopfenden und schlagenden Geräuschen, deren Monotonie zunehmend enervierende Wirkung besitzt. Forsythes Choreografie, heute schon mit Kultstatus, fußt auf neoklassischem Vokabular und verblüfft durch ihren Erfindungsreichtum von immer neuen Formationen, Gruppierungen und Linien. Unverkennbar sind die Einflüsse von George Balanchine, was für die 13 Tänzerinnen und Tänzer eine große Herausforderung an Virtuosität und Präzision bedeutet. Sie absolvieren ihre Auftritte mit stupender Perfektion, tanzen mit vitaler Energie und aristokratischer Eleganz. Am Ende sorgt die Erscheinung einer Tänzerin im weißen Kleid (entworfen von der Mode-Ikone Issey Miyake) für Aufsehen. Denn sie sprengt völlig das streng geordnete choreografische Gerüst mit ihrem kreatürlichen Bewegungsduktus, der sich zum wilden Taumel steigert. Raquel Martinez sorgt mit diesem Auftritt en travestie für eine starke Szene, die in ihrer animalischen Wildheit an das Solo der Auserwählten in Strawinskys Sacre erinnert.

Neu für das Dresdner Publikum war das zweite Stück – Half Life der israelischen Choreografin Sharon Eyal aus dem Jahre 2017 (Uraufführung beim Königlich Schwedischen Ballett in Stockholm). Die von Alon Cohen in Dämmerlicht getauchte Bühne war nicht nur ein empfindlicher Kontrast zum strahlenden Auftakt des Abends, sondern ein Faktor, der für Ermüdung sorgte – zudem auch die Choreografie in ihren schier endlosen Wiederholungen von einfachen Schritten und Bewegungen dazu beitrug. Erst nachdem sich langsam eine Gruppe von 13 Tänzerinnen und Tänzern von hinten fast unmerklich hereinschiebt, sich mehrmals auflöst und wieder zusammenfindet, gibt es willkommene Veränderungen. Sogar einzelne Figuren aus dem klassischen Repertoire zitiert Eyal, so mit den Armbewegungen der Schwäne aus Tschaikowskys beliebtem Ballett oder den entrechats eines Tänzers, wie sie beispielsweise Albrecht in Giselle zu absolvieren hat. Wieder stellt die von Ori Lichtik gefertigte Aneinanderreihung von dumpfen, wummernden und knallenden Schlägen einen schmerzenden Angriff auf die Gehörnerven dar. Einen gewissen Sog kann man der Arbeit dennoch nicht absprechen – trotz aller Monotonie in der Klangcollage und der choreografischen Erfindung.

(c) Semperoper Dresden/Daniel Koch

Zum Abschluss gleichfalls eine Novität für Dresden – Nacho Duatos Choreografie White Darkness von 2001, uraufgeführt von der Compañia Nacional de Danza in Madrid, welche dem Abend den Titel gab. Der Spanier hatte sie im Gedanken an seine verstorbene Schwester geschaffen, die ihrer Drogensucht erlegen war. Das weiße Pulver bestimmt dann auch die Bühne von Jaffar Chalabi, wird verstreut oder rieselt von oben herab, bis es am Ende wie eine Salzsäule auf die Frau des Hauptpaares niederstürzt und sie begräbt. Svetlana Gileva in einem schlichten violetten Kleid von Lourdes Frias zeichnet die Figur mit starker Präsenz und expressiver Körperlichkeit. Christian Bauch als ihr Partner in dunkler Kleidung ist ein eher zwiespältiger Charakter, wie auch seine Rolle ambivalent ist. Ist er ein Dealer, der den Stoff besorgt hat? Ist er besorgt um die Frau und versucht, sie von ihrer Sucht abzubringen? Zu sehen ist das Paar in Zuwendung und Entfremdung. Acht junge ausgelassene Menschen in schwarzen sportlichen Trikots bringen mit lebhaften Tänzen einen choreografischen Farbtupfer ein. Immerhin war dieser letzte Teil musikalisch untermalt von Karl Jenkins’ Musik, die vorwiegend von Kompositionen für Streicher bestimmt ist, welche einen expressiven oder auch schmerzlich lyrischen Klangteppich hören lassen. Auch die 8. Aufführung am 3. 7. 2023 endete im euphorischen Jubel des Publikums.

Bernd Hoppe, 5. Juli 2023


Semperoper Dresden

Ballettabend

White Darkness

Choreografien von William Forsythe, Sharon Eyal, Nacho Duato

Besuchte Aufführung: 23. Juli 2023

Premiere: 3. Juni 2023

Musik vom Tonträger