Händels „Orlando“ gehört zu den drei durch Ariosts „Orlando furioso“ (in Deutschland auch unter dem Terminus des „rasenden Rolands“ bekannt) inspirierten Opern des Komponisten und erzählt die Geschichte eines verworrenen, von Eifersucht und Wahn geprägten Beziehungsgeflechts zwischen Orlando, Dorinda, Medoro und Angelica. Händel bemüht hier die Effekte der Zeit, lässt Sterne beobachten, Adler eine Vase mit Heilmitteln bringen, zerberstende unterirdische Grotten – kurz: Da ist viel los.
An der Kölner Oper hat man sich entschieden die bereits 2021 entstandene Produktion des Festivals Perelada zu übernehmen, bei der Regisseur Rafael R. Villalobos einen so gänzlich anderen, wie verblüffenden Ansatz wählt das Werk zu erzählen und es nahezu vollkommen gegen den Strich zu kämmen. Dabei fokussiert er sich komplett auf die Figuren, die in durch die vom Regisseur entworfenen bunten Kostüme im ansonsten sehr nüchtern gehaltenen Bühnenraum von Emanuele Sinisi, wie bunte Farbkleckse auf einer weißen Leinwand wirken und aus der großen Oper ein intimes Kammerspiel machen.
Die Regie lässt sich durch den Namen des Werkes leiten und ist bei dem gleichnamigen Roman der Schriftstellerin Virginia Woolf gelandet. Der Roman erzählt u.a. die Geschichte eines jungen Adligen, der eines morgens als Frau erwacht und es ist in der Literaturwissenschaft unumstritten, dass Woolfs Geliebte, Vita Sackvill–West die inspirierende Vorlage für diese Figur war. Wie kommt aber nun der Brückenschlag zu Händel?
Dorinda ist in dieser Produktion die genannte Autorin und durch den raffinierten Kniff Medoro nicht als Hosenrolle zu zeigen, sondern als die schillernde Geliebte Vita Sackville-West bekommt die Geschichte eine ganz neue Wendung. Orlando wird dabei, während die Autorin am Schreibtisch sitzt und brav an ihrer Schreibmaschine tippt, zu einer Art literarischem Flaschengeist, der Fiktion, Projektion zu sein scheint, der der Person gewordene Roman wird. Die Affaire der beiden Frauen wurde in der Tat auch durch die Beziehung Sackville-Wests zu Violetta Trifusis beeinflusst, die hier in Gestalt von Angelica mitmischt.
Nun fügt sich dies alles überraschend gut zusammen, jedoch muss man auch konstatieren, dass, wer diesen Überbau nicht kennt, vermutlich nicht versteht um was es an diesem Abend eigentlich geht. Die Regie erzählt die Geschichte, ihre Geschichte, mit großer Akkuratesse, mit feingezeichneten Figuren und exzellenter Personenführung – aber es gilt einen Zugang zu dieser Erzählung zu finden und das ist gerade im ersten Teil des Abends nicht immer leicht, denn auch wenn das Gezeigte nur gelegentlich mit dem gesungenen Text ins Knirschen gerät, ist die erzählte Geschichte zwar schlüssig, so man sie denn kennt, es ist aber eine andere als bei Händel.
Auf der musikalischen Seite hat der Abend sicherlich seine unumstrittenen Momente. Am Pult des Gürzenich-Orchesters zelebriert Ruben Dubrovsky einen zarten, kammermusikalischen Händel, der das intime Spiel auf der Bühne perfekt begleitet. Nur selten greift man in die Vollen und lässt barocken Glanz verströmen, viel mehr sind es die teils solistisch musizierten Passagen, mit mir bemerkenswerte Delikatesse dargeboten werden. Auch die Solisten liefern beachtliches: Xavier Sabata in der Titelpartie verfügt über eine wohlig samtige Stimme und brilliert in Höhen und Tiefen. Adriana Bastidas-Gamboa, burschikos im grünen Hosenanzug, überzeugt mit intensivem Spiel und überzeugt nicht minder gesanglich. Gianluca Buratto als Zoroastro wird von der Regie leider zeitweise ins Off verbannt und darf erst am Ende des dritten Aktes auf der Bühne zeigen, wie gut sein Bass sich in dieses wunderbare Ensemble einfügt. Sabina Puertolas als Angelica geht sehr forsch an ihre Partie heran, wirft sich mit viel, manchmal zu viel Kraft in ihre Partie, was den so zarten Fluss des Abends in manchen Nuancen eintrübt. Bemerkenswert ist aber sicherlich die Dorinda von Alina König Rannenberg. Sie überzeugt mit einer im besten Sinne zarten Stimme, vermag hohe Emotionalität zu präsentieren und liefert auch szenisch ein absolut überzeugendes Rollenporträt.
Am Ende des Abends zeigt sich das Publikum im sehr gut besuchten Saal des Staatenhauses begeistert von einem Abend, der musikalisch absolut zu überzeugen vermag und der auch ein spannendes Regiekonzept liefert, zu dessen Verständnis aber der Besuch der Einführungsveranstaltung oder die Lektüre des Programmhefts dringend empfohlen sei. Die Produktion hat in einigen Partien alternierende Besetzungen, die der Homepage der Oper Köln entnommen werden können.
Sebastian Jacobs, 25.November 2024
Orlando
Georg Friedrich Händel
Oper Köln
Premiere am 17. November 2024
Besuchte Vorstellung am 24. November 2024
Inszenierung: Rafael R. Villalobos
Musikalische Leitung: Ruben Dubrovsky
Gürzenich Orchester Köln
Trailer: https://youtu.be/LLZxzwo6dyE