Stuttgart: „Katja Kabanova“, Leoš Janáček

Zu einem gelungenen Opernabend geriet die Wiederaufnahme von Janáčeks Oper Katja Kabanova an der Staatsoper Stuttgart. Der Komponist war bereits 66 Jahre alt, als er dieses beachtliche Werk schrieb. Nahtlos reiht es sich in die Reihe weiterer bedeutender Frauengestalten aus der Feder Janáčeks ein. Erwähnt sei hier nur die Jenufa, seine wohl berühmteste Schöpfung. Aber auch die Katja Kabanova hat ihre Vorzüge. Sie beruht auf Aleksander Ostrowskijs fünfaktigem Drama Das Gewitter, das der Tonsetzer für seine Oper auf drei Akte verkürzte und dabei auch einige Nebenfiguren strich. Janáček ist ein ungemein starkes Stück gelungen. Der Grund dafür dürfte nicht zuletzt darin liegen, dass er sich bei der Komposition von der Beziehung zu der 38 jüngeren, gleich Janáček verheirateten Kamila Stösslova beflügeln ließ. Aus dieser tief gefühlten Liebe des Komponisten zu der um so viel jüngeren Frau mag wohl der stark romantische, schwelgerisch und sehnsuchtsvolle Ton der Oper resultieren. Dazu gesellt sich der für Janáček Opern typische Sprachmodus mit einer starken deklamatorischen Eindringlichkeit.

(c) Martin Sigmund

Wieder einmal orientiert sich der Tonsetzer stark an der gesprochenen Rede, die für ihn im Vordergrund steht und mit der herrlichen Musik eine Einheit bildet. Es handelt sich um ein äußerst ansprechendes Klanggemisch, das an diesem Abend von Tito Ceccherini und dem bestens disponierten Staatsorchester Stuttgart garadezu sensationell dargeboten wurde. Behände tauchten Dirigent und Musiker in den vielschichtigen Klangteppich Janáček ein, den sie mit großer Eleganz und enormer Intensität zum Klingen brachten. Die ständigen Tempowechsel bereiteten Ceccherini nicht die geringsten Probleme und auch im Aufrechterhalten der Spannung erwies er sich als wahrer Meister. Die romantischen Aufschwünge gerieten ihm ebenso überzeugend wie die harten und mehr schroffen Klänge. Alles in allem war sein differenziertes Dirigat sehr ansprechend.

Die Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito in dem Bühnenbild von Bert Neumann und Nina von Mechows Kostümen geriet ebenfalls hochkarätig. Auch hier gelang dem bewährten Regie-Duo erneut eine ausgefeilte, sehr intensive Personenregie und eine intensive Zeichnung der Figuren. Ausgangspunkt ihrer Interpretation war eine im Zerfallen befindliche Gesellschaft, die von unterschwelliger Gewalt sowie unterdrückten sexuellen Trieben beherrscht wird. Es geht hoch her in dieser gelungenen Inszenierung, die insgesamt der Moderne verhaftet ist, aber in den Kostümen auch einige konventionelle Zeichen setzt, was indes von dem Regieteam voll beabsichtigt ist.

(c)Martin Sigmund

Wieler und Morabito siedeln das Stück in einer Zeit an, in der die aufkommenden postrevolutionären Strömungen die alten traditionellen Werte nach und nach verdrängen. So sieht man in dieser Produktion noch einige altrussische Kostüme, daneben aber größtenteils zeitgenössische Kleider. Man merkt, die Moderne trägt den Sieg davon. So sind beispielsweise die älteren Leute altmodisch gekleidet, während sich das junge Volk gemäß unserer Zeit kleidet. Das Aufeinanderprallen der Befindlichkeiten wird auf diese Weise recht deutlich. Gesellschaftstragödie und die persönliche Not der Titelfigur reichen sich die Hand.

Relativ einfach ist das Bühnenbild gestrickt. Der Vorhang ist von Anfang an geöffnet. Quer über die Bühne zieht sich ein riesiger Zaun, der mit Hilfe der Drehbühne auch mal seine Stellung ändern kann. Später  wird ein Prospekt mit der Spießer-Wohnung der Kabanovs hereingefahren. Naturalistische Elemente werden geschickt ausgeblendet. So existiert die Wolga nur noch auf einem riesigen Plakat. Einmal um die eigene Achse gedreht stellt dieses das Liebesgerüst von Warwara und Kudrjasch dar. Der zweite Akt wird von dem eleganten Haus der Familie Kabanov dominiert, im dritten Akt darf es dann gewaltig regnen. Das Gewitter findet wirklich statt. Diesem kommt nicht nur äußere Bedeutung zu, entspricht es doch voll und ganz Katjas Seelenleben. Ihr Ausbrechen aus der Ehe mit Tichon ist beredter Ausdruck verzweifelter innerer Triebe und entspringt einer großen Sehnsucht. Nachhaltig fragt man sich, ob nicht auch ein anderes Ende möglich gewesen wäre. Immerhin schien Katja ihren Mann Tichon wirklich zu lieben. Aber Katjas Tod ist letztlich nur die bittere, unausweichliche Konsequenz ihres Verhaltens, der sie nicht entrinnen kann. Innerlich hat sie hier großen Schaden genommen, das ist offensichtlich. Bei Wieler und Morabito geht Katja am Ende einfach von der Bühne. Wenig später wird ihr Kleid hereintragen, das von ihrem Selbstmord Kunde gibt. Das war alles überaus überzeugend umgesetzt und zeugt einmal mehr von der Meisterschaft von Wieler und Morabito.

(c) Martin Sigmund

Von den Sängern ist an erster Stelle die Vertreterin der Titelfigur zu nennen: Corinne Winters sang die Katja mit ihrem hervorragend fokussierten, zur Höhe hin schön aufblühenden und nuancenreichen Sopran einfach herrlich. Das Innenleben der Protagonistin vermochte sie mit ihren vielfältigen stimmlichen Mitteln ausgesprochen gefühlvoll und stets präsent vor den Ohren des begeisterten Zuhörers auszubreiten. Das war eine ganz große Leistung! Gut gefiel Maria Riccarda Wesseling, die der Marfa Kabanova darstellerisch einen recht unsympathischen Eindruck zu geben wusste. Gesanglich überzeugte sie mit trefflich fundiertem, ausdrucksstarkem Mezzosopran. Bestens verlieh die mit tadellosem, emotional klingendem Mezzosopran singende Ida Ränzlöv der Warwara einen herrlich frischen und kecken Anstrich. Ein stimmlich recht geradliniger, gefälliger Boris war Elmar Gilbertsson. Übertoffen wurde er von dem über etwas mehr profundes Tenormaterial verfügenden Tichon von Rainer Trost. In weniger guten Händen befanden sich die Partien von Kudrjasch und Kuligin bei ihren recht maskig und ohne die erforderliche Körperstütze singenden Tenorkollegen Kai Kluge und Torsten Hofmann. Mit imposantem, bestens fundiertem Bass wertete Patrick Zielke die etwas weniger große Rolle des Dikoj auf. Von dem prägnant intonierenden Passanten Andrew Bogards hätte man gerne mehr gehört. Als Glascha und Fekluscha gefielen Shannon Keegan und Kyriaki Sirlantzi. Die Frau aus dem Volk gab Christina Otey. Der von Bernhard Moncado vorbildlich einstudierte Staatsopernchor Stuttgart machte seine Sache gut.

Fazit: Ein lohnenswerter Opernabend, dessen Besuch zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 20. Februar 2023


„Katja Kabanova“
Leoš Janáček

Staatsoper Stuttgart

Besuchte Aufführung: 18. Februar 2023
Premiere: 9. Mai 2010

Inszenierung: Jossi Wieler, Sergio Morabito
Dirigat: Tito Ceccherini
Staatsorchester Stuttgart