Stuttgart, Ballett: „Romeo und Julia“, Sergej Prokofjew

Mit diesem weltberühmten Shakespeare-Stoff begann 1962 John Crankos Ruhm in Stuttgart als Erneuerer des klassischen Handlungsballetts. Hunderte von Vorstellungen sind seither alleine über diese Bühne gegangen. Unterstützt durch immer mal wieder erneuerte Kostüme und aufgefrischte Beleuchtungs-Details, für die der unermüdlich aktive Ausstatter Jürgen Rose Sorge trägt, erstaunt die Choreografie jedes Mal wieder aufgrund ihrer Zeitlosigkeit und ihrem unerschöpflichen Quell an Inspiration für die Interpreten.

In der ersten Vorstellung dieser Serie rund um Weihnachten und den Jahreswechsel verkörperten wie schon am Ende der letzten Saison Rocio Aleman und David Moore das unsterbliche Liebespaar. Erschien vor einem halben Jahr diese Partnerschaft als nicht so kongruent, sprang der Funke diesmal schon bald nach der ersten Begegnung auf dem Ball zu Julias Geburtstag über. Alemans von inniger Herzlichkeit und berührender Emotionalität frei von jeglichen Manierismen und einer unauffällig konform gehenden technischen Ausführung geprägte Julia lockte den von Natur aus mehr korrekten als impulsiven Moore schnell aus der Reserve. In Kombination mit einer auffallend guten Tagesform, die ihm leichte Sprünge und gleichmäßige Drehungen ermöglichte, ergab das einen gesamtkünstlerisch runden Romeo im Ausgleich zwischen Emphase und Nachdenklichkeit.

© Roman Novitzky

Zwei Abende später ereignete sich indes ein Ballettwunder gespeist aus höchstem Können und daraus resultierender Hingabe und optimaler Nutzung von Spielräumen. Elisa Badenes und Marti Paixa, beide zudem in Hochform, veredelten speziell die beiden Pas de deux (Balkon und Schlafzimmer) zu einem Traum aus Schwerelosigkeit und lückenloser Aufeinander-Einwirkung. Da flossen alle bewegungs-technischen Details gekrönt von schwebenden Hebungen so stimmig ineinander, dass beide in ihrer Gestaltung komplett loslassen und neue belebende Nuancen und Akzente setzen konnten. Badenes intuitives individuelles Gespür und Paixas leidenschaftlich, charismatisch und umwerfend sympathisch herüber kommendes Naturell erhöhten noch den Schauwert. Die Bezeichnung „Traumpaar“ ist hier absolut angemessen.

An beiden Abenden schaffte es Matteo Miccini als Mercutio nicht in den Schatten des Hauptpaares zu treten, sondern mit einer runden Leistung aus fein zwischen Ausgelassenheit, Komik und leichter Melancholie balancierter Darstellung und einer sauber effektiv sitzenden choreographischen Umsetzung intensiviert durch seine weitreichende Ausstrahlung genauso große Begeisterung auszulösen. In Gruppentänzer Dorian Plasse dürfte einer der künftigen Aufsteiger stecken, mit so viel Lust und exakter Beinarbeit ging er als Benvolio auch in Ensembleszenen nie unter.

Martino Semenzato beherrscht als finstere Mine zeigender Tybalt die Szene vom ersten Auftritt an, schafft es aber nicht so ganz, wie Jason Reilly eine funkelnde Persönlichkeit auf die Bühne zu stellen. In der Rolle des Möchtegern-Schwiegersohns Graf Paris klafft zwischen dem noch fast bubenhaft unbedarften Satchel Tanner und dem schon viel Haltung und mimische Bedeutung zeigenden Christopher Kunzelmann ein großer Abstand, auch wenn die Hebungen im Madrigal bei beiden gleich ordentlich funktionieren.

Das Trio der Zigeunerinnen, diesmal bestehend aus so erfahrenen und rollendeckenden Kräften wie Veronika Verterich und Daiana Ruiz wurde erstmals von der rassig wirbelnden Vittoria Girelli und dann von der etwas zahmeren Juliane Franzoi komplettiert.

Die Charakterpartien waren mit bewährten Kräften wie Sonia Santiago (Gräfin Capulet), Rolando D’Alesio (Graf Capulet), Angelika Bulfinsky (Amme) und Matteo Crockard-Villa (Herzog von Verona + Pater Lorenzo) besetzt. Besonders zu erwähnen ist indes das meist im Zuge des Ensembles unerwähnt bleibende Faschings-Quintett mit Noan Alves an der Spitze, das als Beispiel für die Lebhaftigkeit der Szenen auf dem Marktplatz steht. Deren so musikalisch durchstrukturierter Aufbau fasziniert jedes Mal wieder, wie überhaupt die Verschweißung der Bewegungen mit der Stimmungsdichte der genialen Partitur von Sergej Prokofjew. Wolfgang Heinz wusste sie diesmal an beiden Abenden mit dem komplett mitziehenden Staatsorchester Stuttgart nicht in reiner Routine zu belassen, sondern immer wieder pointiert und differenziert auszugestalten.

Udo Klebes, 26. Dezember 2024

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Romeo und Julia
Sergej Prokofjew

Stuttgarter Ballett

21. und 23. Dezember 2024
Premiere 2. Dezember 1962

Choreographie: John Cranko
Musikalische Leitung: Wolfgang Heinz
Staatsorchester Stuttgart