Aufführung am 26.4.22 (Premiere am 15.4.)
Wenn man bedenkt, dass dieses Werk an der Scala erst im Mai 1950 zum ersten Mal gespielt wurde, dann erst wieder 1963, 1984 und 2000 (diese Produktion war 2006 nochmals zu sehen), erhebt sich die Frage, warum nach einer Neuinszenierung im Jahr 2019 die Oper nach nur drei Jahren schon wieder neugestaltet auf dem Spielplan stand. Einer der Gründe liegt vermutlich an der damaligen, bedauerlich schlechten Regiearbeit von Frederic Wake-Walker; ohne sich direkt darauf zu beziehen, sprach Intendant Meyer begeistert von dieser aus Salzburg (Koproduktion mit der Wiener Staatsoper) importierten Arbeit.
Es handelt sich um die Produktion für die Festspiele 2012 (Regie: Sven-Eric Bechtolf, Bühne: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg). Bechtolf ließ Figuren aus dem Vorspiel, wie Musiklehrer, Komponist oder Tanzmeister auch in der eigentlichen Oper auftreten. Sie mischten sich wiederholt in die Geschehnisse ein; der Komponist begleitete zum Beispiel an einem der zerstörten Klaviere, die die vorgeschriebene wüste Insel darstellen sollten, hingerissen Zerbinettas große Arie. Ariadne durfte nicht das verlassene Weib aus der griechischen Mythologie sein, sondern war die Primadonna aus dem Vorspiel, die diese Figur mit altmodischen Gesten gibt. An sich eine nicht uninteressante Auffassung, doch nimmt sie der Handlung auf diese Weise zunächst die Tragik, dann den triumphalen Trost der Apotheose Ariadnes mit Bacchus. Das Quartett der Commedia dell’Arte-Figuren wurde durch zwei Tänzer ergänzt, mit denen die Komikertruppe auf Kinderrollern umhertoben musste; hier gab es eindeutig zu viel des Guten. Andererseits war es verwunderlich, dass die Stühle im Privattheater des "reichsten Mannes von Wien" bei dieser vom Hausherrn gewünschten "gemischten" Wiedergabe nur spärlich besetzt waren. Das Vorspiel verlief szenisch in so gewohnten wie bewährten Bahnen.
Die von Karin Voykowitsch bei dieser Wiederaufnahme betreute Produktion stand unter der Leitung von Michael Boder, die mir vom Orchester des Hauses recht nüchtern realisiert schien, was aber gar nicht so schlecht zur illusionslosen Interpretation Bechtolfs passte. Im Vorspiel brillierten Markus Werba und Sophie Koch als Lehrer und Schüler. Werba ließ sein recht jugendliches Aussehen mit einer Interpretation vergessen, in der sich die Weisheit eines alten Mannes fand, vorgetragen mit ebenmäßig baritonalem Glanz. An Sophie Kochs Mezzo sind die langen Karrierejahre nicht ganz unbemerkt vorbeigegangen, aber die Künstlerin ist die perfekte Verkörperung jugendlichen Überschwangs, und "Musik ist eine heilige Kunst" berührte tief. Mit durchschlagendem Tenor ging Norbert Ernst ganz in der Rolle des seiner Arbeit ergebenen Tanzmeisters auf. Gregor Bloéb (Haushofmeister) ist für seine gut tragende Sprechstimme zu loben, war von der Regie aber angehalten, nicht die nötige Distanz zum Völkchen der Schauspieler zu wahren, sondern sich gegen dieses auch einiges herauszunehmen (wenn er z.B. den Musiklehrer aufforderte, benutzte Gläser abzuservieren).
Im zweiten Teil musste man feststellen, dass sich Krassimira Stoyanova mit den tiefliegenden ersten Phrasen mühte, dann aber ihren reifen Sopran schön entfaltete (als Figur war sie von der oben beschriebenen Regieauffassung etwas gehandicapt). Als Zerbinetta lieferte Erin Morley nicht das, was man als brillantes Koloraturfeuerwerk zu bezeichnen pflegt, hielt sich aber anständig und erhielt nach ihrer großen Arie viel Applaus. Das Quartett der Komödianten war mit Samuel Hasselhorn (Harlekin), Jinxu Xiahou (Scaramuccio), Jongmin Park (Truffaldin) und Pavel Kolgatin (Brighella) exzellent besetzt, was auch für das Terzett der Nymphen (Najade: Caterina Sala, Dryade: Rachel Frenkel, Echo: Olga Bezsmertna) gilt. Nicht nur, wenn man bedenkt, dass hier 1963 (allerdings in der leider nicht mehr zur Verfügung stehenden Piccola Scala) Belcantospezialist Luigi Alva den Bacchus sang, erwies sich die stimmliche Leistung von Stephen Gould diesmal wie ein erratischer Block ohne Nuancen.
Lebhafter Beifall für alle im gut besuchten Saal.
Eva Pleus 3.5.22
Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala