Aachen: „Il trittico“

Premiere am 15.01.2017

Szenische belanglos, stimmlich durchaus eindrucksvoll

Lieber Opernfreund-Freund,

Puccinis „Trittico“ ist das letzte Opernwerk, das der Luccheser Meister selbst vollendet hat und zeitgleich sein umfangreichstes. Der Komponist war seit etwa 1904 mit der Idee schwanger gegangen, drei Einakter miteinander zu kombinieren und an einem Abend ein tragisches, ein lyrisches und ein komisches Werk zur Aufführung bringen. 1918 schließlich erfolgte an der MET in New York dann die Uraufführung dieses Dreiklangs, den Puccini auch nur so gezeigt wissen wollte.

Zwei Jahre später beschwerte er sich beim Verlagshaus Ricordi, dass man dort der königlichen Oper in London die Erlaubnis gegeben hatte, „Il Tabarro“ und „Gianni Schicchi“ ohne die von ihm dazwischen gesetzte „Suor Angelica“ zur Aufführung zu bringen. Doch der Wunsch des Komponisten wird bis heute oft ignoriert, „Gianni Schicchi“ wird als beliebtester Teil des Triptychons bis heute am häufigsten auch einzeln oder in Kombination mit einem anderen, alleine nicht abendfüllenden Werk gezeigt. Die erste Oper, zu Deutsch „Der Mantel“, gelangt am seltensten zur Aufführung. Umso erfreulicher ist es, dass man in Aachen seit gestern die Werke als die Einheit der jeweils rund einstündigen Einakter erleben kann, als die der Komponist sie vor beinahe hundert Jahren zusammen mit seinen Librettisten erdacht hat.

Der italienische Regisseur Mario Corradi siedelt die Handlungen in drei verschiedenen Jahrzehnten an und versucht, mittels vorangestellter Szenen eine Gemeinsamkeit der drei grundverschiedenen Werke herzustellen, indem er einen Kinderwagen als gemeinsames Requisit installiert. Giorgetta, die unglückliche Ehefrau des 25 Jahre älteren Schiffsführers Michele, die zusammen mit dem jungen Arbeiter Luigi von einer glücklichen Zukunft träumt, hat darin in den 1980er Jahren ihr eigenes Kind versehentlich erstickt; Angelica, die aus adeligem Hause stammt, fährt darin in den 1960ern ihren Sohn, ein Mischlingskind, spazieren, ehe man sie in ein Kloster steckt; und Lauretta und Rinuccio aus „Gianni Schicchi““ werden da hinein 1940 ihr Kind legen, dann Lauretta ist schwanger. Doch dieser Klammer hätten die drei Opern ebenso wenig bedurft wie der gemeinsamen Mauerkulisse (Bühne und detailreich-originelle Kostüme: Italo Grassi), die in „Il Tabarro“ drohend und düster über dem Geschehen hängt, in „Suor Angelica“ zu Klostermauern wird und in „Gianni Schicchi“ den Rahmen im Hintergrund bildet.

Überhaupt bleibt die Regie recht vordergründig, zu plump, fast grob, nähert sich Corradi den Stoffen. Er reduziert Giorgettas Liebe und Sehnsucht im „Mantel“ auf derbe sexuelle Annäherung; dass sie ihr Kind selbst umgebracht haben soll, bringt für den Stoff keinerlei Erkenntnisgewinn. Ausgeklügelte Personenführung sucht man auch in der Klosteroper vergebens, außer prügelnden Nonnen ist der Regie hier nicht viel Sinnfälliges eingefallen, das Werk scheint vielmehr nur durch das beherzt-leidenschaftliche Spiel von Irina Popova und Marion Eckstein zum Leben erweckt. „Gianni Schicchi“, der aus Dantes „göttlicher Komödie“ stammt und von Corradi in der Mussolini-Zeit verortet wird, ist da noch der szenische gelungenste Teil des Abends, wenn man über ein, zwei allzu boulevardhafte Altherrenwitze hinweg sieht. Die Geschichte über das florentinische Schlitzohr, das die komplette Verwandtschaft des eben verblichenen Erbonkels linkt, ist aber auch von derart zeitlosem Witz, dass es wohl per se nicht tot zu kriegen ist.

Grob ist auch Kazem Abdullahs Dirigat, zumindest in den ersten beiden Teilen des Abends, allzu oft kleistert er die Sänger zu mit klanglicher Wucht. Das Sinfonieorchester Aachen spielt tadellos und nuanciert, doch eine klangliche Feinabstimmung mit dem Gesang auf der Bühne findet leider zu selten statt. Im „Schicchi“ hingegen legt Abdullah den melodiösen Witz, den Puccini in die Partitur geschrieben hat, gekonnt frei und wird zu einer echten Stütze für die zahlreichen Sänger auf der Bühne. Von denen hinterlässt an diesem Abend vor allem der junge Alexey Sayapin einen bleibenden Eindruck. Mit klarem, strahlendem Tenor verkörpert er im „Tabarro“ den leidenschaftlichen Luigi und im „Gianni Schicchi“ den verliebten Rinuccio und imponiert da wie dort mit glänzender Höhe. Linda Ballova verfügt über einen kräftigen, mitunter dunkel klingenden Sopran und legt viel Herzblut in ihre Interpretation der Giorgetta, Woong-jo Choi zeigt als notorisch eifersüchtiger Michele bedrohliche Tiefe, aber leider auch Schwächen in der Höhe – und in Aachen eine gute Spur Verzweiflung in seine Rolle und gibt ein überzeugendes Portrait.

Darstellerisch ist sicher Irina Popova als Schwester Angelica, die sich als unglücklich Hoffende schier die Seele aus dem Leib spielt, der Star des Abends. Wie sie der ebenfalls grandios singenden und spielenden Marion Eckstein Paroli bietet ist schlicht sehenswert. Für die Angelica ist mir ihr ausdrucksstarker Sopran aber über weite Strecken beinahe zu voluminös. Da hätte ich mir mehr feine Töne gewünscht, wie sie beispielsweise Katharina Hagopian als Schwester Genoveva auf beeindruckende Weise zeigt. Die unzählbaren Klosterinsassinnen, bei denen Mario Corradi auch eine genaue Zeichnung der unterschiedlichen Charaktere gelingt, werden von den Damen des von Elena Pierini betreuten Chores glaubhaft verkörpert.

Leila Pfister war schon im „Tabarro“ eine eindrucksvolle Frugola und läuft als Zita im letzten Teil zu Höchstform auf, gibt mit vollem Mezzo gekonnt eine Mischung aus Margot Honecker und Fräulein Rottenmeier. Suzanne Jerosme ist eine bezaubernde Lauretta, Jorge Escobar ein beeindruckender Simone und Pawel Lawreszuk zeichnet nach dem Talpa im „Tabarro“ sowohl den Arzt als auch den Notar bei „Gianni Schicchi“ mit viel komödiantischem Feingefühl. Der junge Michael Terada hatte mir schon bei der letztjährigen Hochschulaufführung außerordentlich gut gefallen und auch in der kleinen Rolle des Marco zeigt er, wieviel Potenzial in seinem schönen Bariton steckt. Unübertroffen ist aber das Gefühl für komödiantisches Timing von Enrico Marabelli als „Gianni Schicchi“. Seine ansteckende Spielfreude, die unglaubliche Komik und dazu die genaue Charakterzeichnung und sein eindrucksvoller Gesang machen seine Interpretation der Titelrolle so sehens- wie hörenswert.

Das Publikum ist von diesem Finale zu recht begeistert und applaudiert ausgelassen. Und auch ich habe den Weg nach Aachen nicht bereut und halte die Produktion trotz über weite Strecken belangloser Regie für durchaus empfehlenswert.

Ihr Jochen Rüth 16.01.2017

Fotos (c) Theater Aachen / Carl Brunn.