Wien: „La Wally“

15.11. (Premiere am 12.11.2021)

Gelungene stimmige Wiederbelebung

In den letzten Jahren scheint die von Gustav Mahler, der sie für die beste italienische Oper hielt, und Toscanini, der seine eigene Tochter nach ihr benannte, fast in Vergessenheit geratene „La Wally“ wieder vermehrt auf den europäischen Bühnen Fuß zu fassen. Mein privates Opernarchiv weist folgende Gesamtaufnahmen dieser doch sehr selten gespielten Oper auf DVD auf: Bregenz 1990, wo Mara Zampieri die Wally gesungen hatte, 1993 Giovanna Casolla in Lucca, Susanna von der Burg 2012 in Innsbruck, Ainhoa Arteta 2014 in Genf und schließlich Saioa Hernández 2017 in Piazenza. Bis heute kennt man die Arie der Wally aus „La Wally“ „Ebben? Ne andrò lontana“ (Nun gut, ich werde weit fortgehen). Und es war eben diese Begebenheit, aus der der düstere Heimatroman von Wilhelmine von Hillern (1836-1916) erwuchs. In Innsbruck entdeckte sie in einem Geschäft das Selbstporträt der Malerin Anna Stainer-Knittel (1841-1915) wie diese mit 17 Jahren an einem Seil hängend einen Adlerhorst an einer Felswand zum Schutz von Schafherden ausgenommen hatte. Für Männer war dieses waghalsige Unternehmen damals zwar allgemeiner Brauch, nicht aber für eine Frau. Wilhelmine von Hillern siedelte ihren Roman „Die Geier-Wally“ im sagenumwobenen Ötztal an. Später arbeitete sie mit Catalani und Luigi Illica gemeinsam am Libretto.

Die Oper „La Wally“, wurde schließlich 1892 in Mailand mit großem Erfolg uraufgeführt. Die Tochter des Grundbesitzers Stromminger, Walburga, genannt Wally, verlebt als Wildfang eine raue Jugend und widersetzt sich, Männerhosen tragend, allen weiblichen Konventionen. Sie weist das Werben des Verwalters Gellner zurück, weil sie den hitzigen und bramarbasierenden Hagenbach liebt. Der zurückgewiesene Gellner spinnt eine Intrige und Wally wird auf einem Fest durch Hagenbach zum Gespött der Leute gemacht. Die Gedemütigte dingt Gellner, Hagenbach zu ermorden und als dieser dann scheinbar leblos in einer Schlucht liegt, bereut sie ihren vorschnell gefassten Entschluss aufs heftigste und zieht sich in die Ötztaler Berge zurück. Dort aber erreicht sie der gerettete und sie nunmehr liebende Hagenbach, dem sie ihren Mordplan gesteht. Er verzeiht ihr, wird aber von einer Lawine in die Tiefe gerissen und Wally springt ihm nach. Wally verkörpert, als Antiheldin verstanden, die Repräsentantin einer zutiefst verletzten und gedemütigten Frau, deren allzu heftige Gefühle sie letztendes in den Untergang reißen. Die Prager Regisseurin Barbora Horáková Joly arbeitete sehr feinfühlig die zerrissene Natur der Wally heraus, die von ihrem Vater unterdrückt und in einer tödlichen Dreiecksbeziehung aufgerieben wird.

Zu Beginn der Oper stimmt die Nummer „Schnee“ aus der gleichnamigen CD der Gruppe Stimmhorn (Christian Zehnder und Balthasar Streitt) eine alpenländische Weise ein, welche auf die geheimnisvolle Bergwelt des Ötztales vorbereiten soll. Eva-Maria van Acker verfremdete mit ihrem Bühnenbild den Handlungsort in den Ötztaler Alpen geschickt, um keine kitschige Bergwelt zu evozieren. Videos und Projektionen eines fliegenden Geiers und der Herstellung von Wurst (?) von Tabea Rothfuchs versuchen dieses Vorhaben mit nur mäßigem Erfolg zu unterstützen. Statt Schnee gibt es viel Nebel. Und Felsen, die herabfallen, allerdings nicht so spektakulär wie in Aribert Reimanns „Medea“ an der Wiener Staatsoper 2010, wo Marco Arturo Marelli, die Bühne langsam kippte, sodass die darauf liegenden Felsen langsam hinunterrollten. Ein bisschen Folklore kann nicht schaden und so kleidete die Ausstatterin die Damen des Chores im 2. Akt in fesche Dirndl und auch Wally legt ihre Hosen ab, um durch ein verführerisches rotes Dirndl mehr Weiblichkeit zu demonstrieren. Wally ist nun wie Lulu auf dem Höhepunkt ihres gesellschaftlichen Aufstiegs, aber noch unverheiratet. Mit der demütigenden Kussszene kippt die Stimmung und symbolische dazu setzen sich die Dörfler Perchtenmasken auf.

Im 4. Akt wird dann die Tiroler Bergwelt durch eine Stahlrohrkonstruktion angedeutet. Die Titelrolle war mit der Polin Izabela Matula ideal besetzt. Selbstbewusst tritt sie im ersten Akt in Hosen und Stiefeln und mit roten Haaren auf. Nach dem Tod ihres gestrengen Vaters, der sie an seinen Verwalter Gellner verheiraten wollte, avanciert sie zur reichen Grundbesitzerin mit der nötigen Portion an Sexappeal. Todessehnsüchtig zieht sie im vierten Akt schließlich in die Berge und die Regie überlässt es dem Publikum darüber zu sinnieren, ob das finale Treffen mit Hagenbach real stattfindet oder sich lediglich in einem Anfall von Wahnsinn in ihrer Fantasie ereignet. Ihr bis dahin sehr gut geführter höhensicherer Sopran hörte sich lediglich in dieser finalen Szene angestrengt an. Der stimmkräftige schwarzgelockte italo-amerikanische Tenor und Beau Leonardo Capalbo als Hagenbach war ihr ein ebenbürtiger Partner, der nur leider von der Regie etwas stiefmütterlich behandelt wurde. Der südafrikanische Bariton Jacques Imbrailo gab den unglücklich liebenden Verwalter Gellner, der durch Wallys Zurückweisung erst die Intrige des Kusses mit Hagenbach anzettelt.

Der treue Hirtenknabe Walter, der sich schwärmerisch zu Wally hingezogen fühlt, wurde von der russischen Sopranistin Ilona Revolskaya, nach einer anfänglichen hörbaren „Aufwärmphase“, voller Inbrunst ergreifend gesungen. Der britische Bass Alastair Miles gab den herrischen Tyrann Stromminger, den Vater Wallys. Die deutsch-russische Mezzosopranistin Sofia Vinnik, Mitglied des Jungen Ensembles des Theaters an der Wien, kämpfte in der Rolle der Afra um Hagenbach, wodurch die Dreiecksbeziehung für einen Moment zu einem Quartett erweitert wurde. Im Irrglauben, Hagenbach wäre tot, darf sie sich hingebungsvoll in Zuckungen am Boden wälzen. Der rumänische Bariton Zoltán Nagy ergänzte in der Rolle eines Fußgängers innerhalb der Dorfgemeinschaft. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor trug das Seine zum großen Erfolg dieser zu Unrecht vernachlässigten Oper bei. Die Wiener Symphoniker loteten unter der versierten Leitung des in Medellín, Antioquia geborenen kolumbianischen Dirigenten Andrés Orozco-Estrada die effektvolle veristische Partitur Catalanis in all ihren Nuancen formvollendet aus. Das Publikum zeigte sich am Ende der Oper begeistert und spendete allen Mitwirkenden gleichermaßen langanhaltenden Applaus. Nach dieser exemplarischen Aufführung im Theater an der Wien hätte es „La Wally“ auf jeden Fall verdient, ins ständige Repertoire der großen Opernhäuser Eingang zu finden. Bravo!

Harald Lacina, 16.11.

Fotocopyright: Herwig Prammer