Wien: „Zazà“, Ruggero Leoncavallo

23.9. (Premiere am 16.9.)

Schwaches Stück grandios vertont

Gemeinsam mit Carlo Zangarini (1874-1943) verfasste Leoncavallo das Libretto nach dem gleichnamigen Schauspiel von Pierre Berton, bürgerlich Pierre François Samuel Montan (1842-1912), und Charles Simon (1850-1910).

Bereits zwei Jahre nach der Premiere des Schauspiels 1898 am Théâtre du Vaudeville in Paris wurde Leoncavallos „Commedia lirica“ in vier Akten „Zazà“ am 10.11.1900 im Teatro Lirico in Mailand uraufgeführt. Die Handlung spielt zur Jahrhundertwende in Saint-Étienne und Paris und ist eine klassische Dreiecksbeziehung zwischen der Varietésängerin Zazà, ihrem Mentor und Partner Cascart und dem verheirateten Geschäftsmann Milio Dufresne. Während ihres Verhältnisses zu Milio, befinden sich dessen Gattin und Tochter noch im Ausland. Nachdem Zazà von der familiären Situation Milios Kenntnis erlangt hat, verlässt sie ihn.

1995 hat das Teatro Massimo di Palermo Zazà mit Denia Mazzola in der Titelrolle und Gianandrea Gavazzeni am Pult aufgeführt, wovon auch ein DVD-Mitschnitt erhältlich ist. Intendant Roland Geyer hat zu Saisonbeginn Leoncavallos Zazà mit einigem Erfolg dem Vergessen entrissen und so zu ihrer Wiederbelebung beigetragen. Man erinnert sich noch an Leoncavallos „La bohème“, die es im Theater an der Wien im Rahmen des Klangbogen Festivals 2002 ebenfalls zu einer respektablen Aufführung brachte, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden, zu übermächtig war wohl die Vertonung durch seinen Zeitgenossen Giacomo Puccini. In musikalischer Hinsicht setzte der Komponist eine spannende Mischung aus Oper, Operette und Tanzmusik ein.

Die Schwachstelle der Oper aber liegt in der Handlung. Der Verzicht Zazàs auf ihre große Liebe ruft kaum Anteilnahme bei einem Publikum hervor, das gewohnt ist, von der Oper durch ein tragisches oder ein komisches Ende eine seelische Reinigung zu erleben. Schade, denn Leoncavallos funkelnde und detailverliebte Musik, etwa wenn Milio langsam den Reißverschluss des Kleides von Zazà öffnet, hätte ein besseres Theaterstück als Grundlage verdient. Stefan Soltész um Pult des ORF Radio Symphonieorchester Wien ist bekannt dafür, Raritäten der europäischen Opernliteratur durch seine differenzierte Interpretationsweise zu einer packenden Aufführung zu verhelfen. Gespielt wurde die zweite redigierte Fassung der Oper, in die Teile der ersten Fassung für die Aufführung eingearbeitet worden waren. Regisseur Christof Loy verlegte die Handlung in die verstaubten fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Drehbühne von Raimund Orfeo Voigt ermöglichte die zahlreichen raschen Szenenwechsel. Die szenische Tristesse, die man ja sattsam von vielen Loy-Inszenierungen kennt, wurde immerhin durch die teilweise ironisierenden Kostüme von Herbert Barz-Murauer aufgelockert. Thomas Wilhelm kreierte eine recht einfache Choreographie für Zazà und Reinhard Traub bettete Loys Inszenierung in gewohnt sanftes Licht. Der Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner war dieses Mal aus dem Off zu hören.

Die aus St. Petersburg stammende Russin Svetlana Aksenova konnte mit ihrem ausdrucksstarken dunklen Sopran das Wechselbad der Gefühle der Titelheldin gesanglich wie darstellerisch äußerst glaubwürdig verkörpern. Manch scharfen spitzen Ton darf man ihr schon verzeihen, muss sie doch die ganze Zeit auf der Bühne stehen. Der in Graz geborene Nikolai Schukoff lieferte in der Rolle des verheirateten Geschäftsmannes Milio Dufresne mit seinem gut geführten Heldentenor ein überzeugendes Porträt des wankelmütigen Mannes zwischen zwei Frauen, dessen Ursprünge sich aus dem griechischen Sagenkreis um Jason herleiten. Christopher Maltman stattete den Varietésänger Cascart mit seinem markanten Bariton kraftvoll aus, weshalb er auch gesanglich die beste Leistung an diesem Abend bot. Die aus Albanien stammende Mezzosopranistin Enkelejda Shkosa war als Zazàs Mutter Anaide dem Alkohol ergeben und sorgte für so manche komischen Elemente durch ihre groteske Überzeichnung der Figur. Julietta Mars als Zazàs treue Freundin Natalie wirkte von Kummer und Leid gezeichnet, da sie ihre wahren Gefühle zu Zazà unterdrücken musste.

Die kleineren bis kleinsten Rollen wurden engagiert dargeboten von Dorothea Herbert (Floriana / Signora Dufresne), Tobias Greenhalgh (Journalist Bussy), Paul Schweinester (Impresario Courtois), Ivan Zinoviev (Regisseur Duclou), Johannes Bamberger (Marco / Augusto), Patrick Maria Kühn (Ein Herr) sowie in stummen Rollen die beiden Tänzerinnen Ena Topčibašić (Claretta) und Lilya Namisnyk (Simona) und in der reinen Sprechrolle der Totò, der Tochter von Milio Vittoria Antonuzzo. Das Publikum zeigte sich nach 120 pausenlosen Minuten von der starken Ensembleleistung begeistert und spendete allen Mitwirkenden bereitwillig langandauernden Applaus. Die Vorstellung wurde aufgezeichnet und wird am 8. November im Fernsehprogramm von ORF III ausgestrahlt werden.

Harald Lacina, 24.9.2020

Fotocredits: Monika Rittershaus