Basel: „Lucia di Lammermoor“

Premiere: 19. Oktober 2018

Ohne die #MeToo -Bewegung hätte ich diese Oper anders inszeniert

Regisseur Olivier Py: >Ich bin mir sehr sicher, dass ich diese Oper anders inszeniert hätte, wenn es die #MeToo-Bewegung nicht gegeben hätte. Als ich begann, mich mit «Lucia di Lammermoor» zu beschäftigen, war ich sehr an dieser neuen, weltweiten feministischen Bewegung interessiert. Inzwischen bin ich fest davon überzeugt, dass wir gerade die Opern des 19. Jahrhunderts aus einem feministischen Blickwinkel heraus neu betrachten müssen. Frauen sind die interessantesten Charaktere in diesen Opern, die nicht zu Unrecht zum Beispiel «Tosca» und nicht «Cavaradossi», oder «Carmen» und nicht «Don José» etc. heissen. Die Aufgabe für mich als Regisseur besteht nun darin, einen Weg zu finden, die Geschichten dieser Frauen, die in einer patriarchalen Gesellschaft gefangen sind, zu inszenie-ren. Dieser Umstand tritt gerade heute so deutlich hervor wie selten zuvor.< (© Theater Basel)

Wieder hat es das Theater Basel unter seinem Intendanten Andreas Beck geschafft, eine oft, fast immer in traditioneller Art produzierten Oper, in einer neuen und spannenden Inszenie-rung auf die Bühne zu bringen.

Olivier Py hat den Mut gehabt, Donizettis Werk, "LUCIA DI LAMMERMOOR" mit einer absolut neuen Sichtweise zu inszenieren. Er zeigt schonungslos die Instrumentalisierung der Frau Lucia durch ihren Bruder, ihren Arzt und auch ihren Liebhaber. Das patriarchalische Machtge-habe aller Protagonisten wird an den Pranger gestellt. Lucia wird vom ersten Bild an als Patientin im Irrenhaus gezeigt, die klaren Momente dieser Patientin erscheinen als Rückblen-den in der Erinnerung Lucias. Die Personenführung Pys ist stringent. Er vermeidet unnötige Aktionen auf seiner Bühne. Die Arbeit mit den Protagonisten und Protagonistinnen beschränkt sich nicht nur auf die Bewegung, die Art der Auftritte. Er achtet auch auf Körpersprache, Gestik und Mimik. So, und nur so wird einer Sängerin, einem Sänger auf der Bühne eine glaubhafte Darstellung ermöglicht. So wird die zu erzählende Geschichte verständlich. Dazu kommt bei diesem Meister der Regie seine Forderung an die KünstlerInnen auf der Bühne nach optimaler Diktion und sauberer Intonation. Generell ist der Franzose ein wahrer Meister in der Personenführung. Er versteht es, aus seinem künstlerischen Team das Maximum herauszuholen und in Basel war dieses Maximum überwältigend.

In einem Interview hat mir Olivier Py folgendes gesagt:

> "sans paroles il ya pas de musique"< (ohne Worte gibt es keine Musik).

All dies war in der Basler Lucia-Inszenierung bestens verwirklicht. Nur wenn ein Theater den Mut hat, aus den traditionellen Sichtweisen auszubrechen, kann sich das Theater weiter entwickeln. Tradition ist wichtig, aber ebenso wichtig ist die Sichtweise auf die heutige Gesellschaft, die heutigen Gewohnheiten, und dies den wenigen Buh-Rufern zum Trotz, oder gerade wegen den wenigen sich selbst inszenierenden Buh-Rufern. (Buh hört man besser als Bravi).

>Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche<

Py hat eindeutig Miss Lucia ins Zentrum der Handlung gesetzt. Dies im Gegensatz zu den meisten anderen Inszenierungen, in welchen wir vor allem Lord Enrico und Sir Edgardo als Protagonisten sehen. In der Basler Produktion sind die beiden nicht Protagonisten, sondern die Antagonisten der Protagonistin Lucia. So kann der Regisseur die Instrumentalisierung durch die patriarchalische Gesellschaft aufzeigen und diese an den Pranger stellen. Und dieser Pranger ist immer noch zeitgemäss und notwendig.

Miss Lucia, es ist ihr Rollendebut, wird in Basel von der italienischen Sopranistin Rosa Feola gesungen. Ihre Interpretation ist makellos. Ihre Körpersprache, ihre Gestik und Mimik überzeugen derart, dass der Eindruck entsteht sie sei Lucia, sie spiele nicht nur. Dazu kommt eine Intonation, welche ihresgleichen sucht, gepaart mit einer perfekten Verständlichkeit und dies ohne vordergründiges, Unsicherheit verbergendes Vibrato. Die Interpretation der Wahnsinnsarie ist die Beste, welche ich in den letzten 30 Jahren gehört habe. Ohne falsche Dramatik, weder in Körpersprache, Mimik und Gestik, noch im musikalischen Ausdruck. Die Musikalität von Frau Feola sucht ihresgleichen.

Lord Enrico Ashton wird vom italienischen Bariton Ernesto Petti gesungen. Er verfügt über einen kräftigen Bariton welcher über die gesamte Bandbreite überzeugt. Auch er spielt seine Rolle, geführt von Olivier Py überzeugend.

Dasselbe gilt für den Darsteller von Sir Edgardo di Ravenswood, den mexikanischen Tenor Fabian Lara. Bei ihm ist anzumerken, dass er im ersten Akt eher schwach, fast überfordert wirkte. Dieser Eindruck war im zweiten und dritten Akt verschwunden.

Überzeugend der griechische Bass Tassos Apostolou in der Rolle von Raimondo Bidement.

Im Original ist diese Rolle der Erzieher und Vertraute von Lucia, eine sehr doppelzüngige Rolle.

In der Basler Inszenierung ist er Psychiater und Arzt, auch hier eigentlich Vertrauter von Lucia. Auch er missbraucht dieses Vertrauen zur Instrumentalisierung seine Patientin.

Der südkoreanische Tenor Hyunjai Marco Lee, Mitglied des Opernstudios Operavenir, wirkt als Lord Arturo blass und scheint auch stimmlich überfordert, zu schwach. In weiteren Rollen zu sehen und zu hören: Die kroatische Mezzosopranistin Ena Pongrac als Alisa und als Norman-no der Basler Tenor Karl-Heinz Brandt.

Gut eingesetzt von Olivier Py waren die Tänzer Jonas Furrer, Giuliano Guerrini, Lukas Hofmann und die Tänzerin Mirjam Karvat. Sie waren die bösen Geister, welche den Wahnsinn Lucias versinnbildlichen.

Der Chor und Extrachor des Theater Basel wurde einstudiert vom Chorleiter Michael Clark. Seine musikalische Leistung bewegt sich auf absolut höchsten Niveau.

Das Sinfonieorchester Basel wurde dirigiert vom Italiener Giampaolo Bisanti. Wie wir in Basel nichts anderes gewohnt sind, war die Performance des SOB makellos musikalisch und unterstützte die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne hervorragend. Speziell erwähnens-wert ist die Arie: >Il Dolce Suono'<. Hier dirigierte Bisanti ohne Stab, nur mit den Händen, er trug die Solistin sozusagen auf den Händen. Diese Arie wurde vom zahlreich erschienen Premierenpublikum mit langanhaltendem Szenenapplaus belohnt.

Kostüme und das Bühnenbild wurden von Pierre-Andre Weitz entworfen und für die Lichtfüh-rung zeichnet Bertrand Killy verantwortlich. Diese Beiden sind langjährige Mitstreiter in Olivier Pys Arbeiten. Für die Arbeit des Triumvirates gibt es nur eine Bezeichnung: ÜBERRAGEND!

Mit einer langanhaltenden, hochverdienten Standing Ovation belohnte das Basler Publikum die Künstler und Künstlerinnen auf der Bühne, im Orchestergraben und hinter der Bühne.