Basel: „Pelléas und Mélisande“

Premkiere 28. September 2018

Bis kurz vor seinem Tod unterzog Claude Debussy die Partitur seiner einzigen Oper immer wieder einer Revision. Die „Fassung letzter Hand“ unterscheidet sich dadurch in der Instrumentation erheblich von der Fassung der Uraufführung vom 30. April 1902 in Paris.

Er verzichtet auf Arien und grosse Soloszenen. Dies gibt der Vertonung des Textes von Maurice

Maeterlinck eine realistische Prägung. Dazu Debussy über die Gestaltung der Gesangsrollen:

>Die Gestalter dieses Dramas wollen natürlich singen – und nicht in einer willkürlichen Aus-drucksweise, die aus überlebten Traditionen stammt. Ich wollte, dass die Handlung nie stillsteht, sondern ununterbrochen weitergeht< (J. Kapp, 1949)

Der Komponist verzichtet also auf die in der Tradition der "Grande Opera" üblichen Koloraturen, er verzichtet auf Stimmakrobatik. Im Gegensatz zur klassischen Oper begleiten die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne das Orchester und nicht umgekehrt. Das Orchester unterstützt, verstärkt die von den ProtagonistInnen ausgedrückten Emotionen musikalisch. Der Parlando ähnliche Gesangsstil erlaubt es dem Orchester das volle Melos der Partitur auszuspielen, die Handlung musikalisch vorwärts zu treiben. Dies aber verlangt vom musikalischen Leiter, hier in Basel Erik Nielsen, Musikdirektor Theater Basel, ein hohes Einfühlungsvermögen und ein hohes Mass von Zusammenarbeit mit der Regie, in Basel die junge Regisseurin Barbora Horakova Joly.

Die Regiearbeit Horakovas zeichnet sich aus durch eine unaufgeregte Personenführung, ein Verzicht auf unnötigen Aktionismus auf der Bühne, im Stil von Calixto Bieito, mit dem Frau Horakova intensiv zusammenarbeitet.

Das Sinfonieorchester Basel (SOB) unter der Stabführung von Erik Nielsen interpretiert Debussys Werk mit hohem Einfühlvermögen. Nielsen holt aus dem hervorragenden Klangkörper alle Feinheiten des Werkes heraus ohne die impressionistische Wirkung der Musik zu versüssen oder zu übertreiben. Die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne begleiten das Orchester wie es die Partitur andeutet.

In dieser Zusammenarbeit wird es die Geschichte allgemein verständlich erzählt. Wobei zu bemerken ist, dass viel von der Symbolik in Maeterlincks Text nicht inszeniert wird, werden kann. Zum tieferen Verständnis wird das Lesen des Originaltextes und des Librettos unabdingbar. Trotzdem gelingt die Darstellung der Emotionen, der Charaktere und der zwischenmenschlichen Beziehung, oder auch Nichtbeziehung auf vorbildliche Art ohne ins Triviale abzusinken, ohne die negativen Aspekte, die vorhandene Gewaltbereitschaft zu stark in den Vordergrund zu stellen.

Claude Debussys Musik ist nicht unbedingt leicht zu verstehen ist, die Handlung kommt nicht so eingängig daherkommt wie in einer klassischen Oper. Dies zeigte sich nach der Pause. Etliche Sitze wurden nicht mehr eingenommen. Als Zuschauer und Zuhörer darf/sollte man/frau sich auf Neues einlassen. Denn nur so kann sich das Theater als Gesamtes weiterentwickelt.

Der irische Bassbariton Andrew Murphy interpretiert den Grossvater Arkel souverän und kühl.

Als Pelléas, Enkel von Arkel, steht der Basler Tenor Rolf Romei auf der Bühne. Er stellt mit seiner sauberen Intonation, der ausgezeichneten Diktion den naiven, unsicheren Pelléas in seiner doch platonischen Liebe zu Mélisande glaubhaft dar. Man erkennt, dass er die Rolle verinnerlicht hat und diese mit viel Spielfreude auf die Bühne bringt.

Ein ganz gegensächlicher Charakter ist Golaud, der Bruder von Pelléas. Er ist gewalttätig und eifersüchtig auf seinen Bruder, den er schlussendlich ermordet. Andrew Foster-Williams spielt und singt seine Rolle überzeugend. Man spürt seine Gewalttätigkeit, kann seine Eifersucht nachempfinden und leidet mit ihm am Nichtwissen, hat Pelléas oder hat er nicht?

Elsa Benoit, Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper als Mélisande lässt weder sängerisch noch darstellerisch Wünsch offen. Auch ihre Diktion und Intonation gehören zum Besten was ich in letzter Zeit zu hören bekam.

Als junges Nachwuchstalent war die 15 jährige Toja Brenner in der Rolle des Yniold zu hören. Sie ist aktives Mitglied der Mädchenkantorei Basel. Ihre Gesangsleistung kann nur als hervorragend bezeichnet werden.

In weiteren Rollen waren zu hören und sehen: Domen Krizaj, Mitglied des Opernstudio Avenir,

als Arzt/Hirte und die Mezzosopranistin Jordanka Milkova in der Rolle als Geneviève, die Mutter von Golaud und Pelléas.

Die Bühne und die Kostüme, entworfen von der Belgierin Eva-Maria van Acker. Bei ihrem Entwurf des Bühnenbildes und ihren Kostümen ist ihre Nähe zu Calixto Bieito nicht zu übersehen. Dies ähnlich wie bei der Regiearbeit. Beide Künstlerinnen, Horakova und van Acker aber haben zu ihrem eigenen Stil gefunden.

Das Beleuchtungskonzept, erdacht von Michael Bauer verstärkt und unterstützt die Regiearbeit Von Barbora Horikova Joly. Die Videoarbeit von Sarah Derendinger allerdings war eher störend und hat in den Zwischenspielen das Versinken, das Reflektieren über das Gesehene/Gehörte verhindert. Die Ausnahme davon bildet die Darstellung des Ozeans im Hintergrund, obgleich auch diese Videoeinspielung für das Verständnis nicht notwendig war.

Der Schlussapplaus dagegen bewies, dass Pelléas und Mélisande durchaus gefällt. Das zahlreich erschienene Premierenpublikum belohnte die reife Leistung des gesamten Teams mit stürmischem Applaus.