Bonn: „Der Rosenkavalier“

Premiere: 06.10.2019

Angestaubtes aus dem Spiegelkabinett

Spricht man über Richard Strauss‘ Rosenkavalier, so gehen die Meinungen oft auseinander. Dem einen zu seicht, für den anderen ein Meisterwerk, für die einen eine Perle Strauss’scher Tonkunst, für die anderen ein deutlicher Rückschritt nach der Elektra, für die einen einfach eine walzerselige Komödie und für die anderen tiefsinniges Beziehungsportrait. Nun hat sich nach langer Zeit die Oper Bonn diesem Werk wieder angenommen (übrigens in Kooperation mit der Volksoper Wien) und einen Abend auf die Bühne gebracht, der musikalisch von vorne bis hinten überzeugt, in seiner Inszenierung aber leider wenig zu bieten hat.

Dass die Vergänglichkeit und das Sinnen des Menschen über die (eigene) Zeit ein großes Thema im Rosenkavalier ist, wird niemand in Frage stellen. Auch Regisseur Josef Ernst Köpplinger arbeitet sich emsig an diesem Thema ab. Hierzu lässt er sich von Bühnenbildner Johannes Leiacker ein Bühnenbild kreieren, das dieses Thema so erschöpfend, wie holzhammerartig über den gesamten Abend relativ langweilig visualisiert. Zur linken und rechten Seite der Bühne finden sich jeweils vier drehbare Elemente, die mit höchst vergilbten und matten Spiegeln verkleidet sind und die, werden sie gedreht, auf jeder Seite ein Gemälde mit barocker Anmutung ergeben. Sind es im Schlafgemacht der Feldmarschallin Schmetterling und Blüte, wird es auf der anderen Seite am Ende des Abends wirklich eine Vanitas samt Totenkopf, in der Kunstgeschichte das Zeichen für menschliche Vergänglichkeit. Hier sollte dann wirklich auch dem letzten klargeworden sein, was man uns sagen will – ja, der Blick in den Spiegel zeigt uns: Wir sind alle vergänglich.

Natürlich ist das eine Aussage und natürlich regt diese Aussage auch zum Nachdenken an, aber: Die Penetranz mit der der Blick auf die Bühne uns das näherbringen will, ist bereits nach kurzer Zeit erschöpft und so simpel, dass man sich fragt: Ist da nicht noch mehr? Und so will auch die gesamte Inszenierung irgendwie keine Fahrt aufnehmen. Köpplinger zeigt immer wieder, dass er gewillt ist mit der Musik zu arbeiten, setzt immer wieder die ein oder andere Pointe, aber es bleibt alles sehr verhalten, sehr unentschlossen, sehr simpel. Die Personen stehen nur allzu oft herum, schauen in den Spiegel, schauen ins Publikum… und allzu oft war es das dann auch und das ist leider nicht immer eine Freude. Das Defilee der Bittsteller am Ende des ersten Aktes setzt beispielsweise zu Turbulenzen an, aber es gelingt nicht so, dass es den ihm innewohnenden Humor transportiert, auch an anderen Stellen bleibt es spröde und platt. Kitsch wird es gar, wenn am Ende der Oper in der Szene in der Sophie und Octavian endlich zueinander gefunden haben, die Spiegel endlich ein wenig zur Seite fahren und es zu schneien beginnt und die beiden jungen Liebenden im Schnee tanzen, flankiert von einem ungeschickten Abgang des Herrn von Faninal und der Feldmarschallin, der so geschieht, dass man fast denken könnte, hier bahnt sich ein weiteres junges Glück an. Das ist unterm Strich alles recht eintönig und der zu Recht tosende Beifall am Ende für Sänger und Orchester ebbt hörbar ab, wenn sich das Produktionsteam verbeugt. Man hätte sich hier viel spannendere Personenstudien gewünscht, die die Fallhöhen, die (inneren) Konflikte mehr beleuchten, die mehr Spannung in den Abend bringen. So bleibt es arg bieder und angestaubt.

Musikalisch hat dieser Abend aber eine Menge zu bieten und hier kann man die exzellente Leistung der Bonner Oper nicht genug loben. Dirk Kaftan leitet ein brillant aufspielendes Beethoven-Orchester. Kaftan geht zügig an die Tempi und lässt kraftvoll aufspielen – in den ersten Minuten vielleicht ein bisschen zu kraftvoll, aber in summa vermag er es mit einer unglaublichen Leichtigkeit einen Strauss zu musizieren, der die Vielschichtigkeit des Werkes zwischen Walzer und klanglichen Modernismen auslotet. Akkurat im Blech, feinsinnig in den solistischen Passagen bleiben hier keine Wünsche offen. Auch das Ensemble leistet durch die Bank weg Großes: Franz Hawlata ist ein Ochs wie er im Buche steht. Voller Verve schmeißt er sich in die Rolle, dass es eine Freude ist. Mit einem von der ersten Sekunde erkennbaren Toupet ausstaffiert (und es ist natürlich nicht minder vorhersehbar, dass er im Laufe des Abends diese Haarpracht auch noch verlieren wird), gibt er den Schwerenöter mit Wiener Schmäh perfekt. Stimmlich in den Randlagen ein kleines bisschen schwächer als vor Jahren (Hawlata sang die Partie u.a. in Essen), aber immer noch sonor, mit großer Textverständlichkeit und viel Wiener Schmäh. Martina Welschenbach ist eine ausgesprochen junge Feldmarschallin. Das kann man ihr freilich überhaupt nicht zum Vorwurf machen und sie interpretiert die Partie auch herrlich mit ihrer wunderschönen Stimme, der stimmliche Kontrast zu Octavian und Sophie bleibt aber offen und das ist ein bisschen schade. Regie und Kostüm (Dagmar Morell) helfen hier auch wenig und so scheint der Anfang der Oper unter fast Gleichaltrigen zu spielen. Erst im Finale unterstütz das Kostüm die Reife der Figur, was aber dem so misslungenen Anfang auch nicht mehr hilft. Aber das ist eben eines der Probleme der Inszenierung: Auf Fallhöhen, Unterschiede und mögliche Konflikte wird nicht eingegangen, sie werden wenig oder gar nicht erzählt. Das ist bedauerlich.

Als Ocatavian ist die junge schwedische Mezzosopranistin Emma Sventelius verpflichtet und was hier zu hören ist, das ist wirklich sensationell. Sventelius überzeugt im Spiel und ist vielleicht die schlüssigste Figur das Abends mit burschikosem Gehabe, mit kleinen Machoallüren und großen emotionalen Momenten. Ihre Stimme bietet zwischen lodernden Mezzo-Farben und zartem, lyrischen Gesang alle Nuancen in höchster Perfektion – was für eine Sängerin! Als Sophie ist Louise Kemény besetzt, die mit Welschenbach und Sventelius ein wirklich perfektes Terzett abliefert. Gerade im pianissimo ist Kemenys Stimme so zart und fein und doch klar und verständlich – das ist beeindruckend.

Als Herr von Faninal überzeugt Giorgos Kanaris mit klangschöner Stimme und energischem Spiel. Yannick-Muriel Noah ist eine wahre Luxus-Besetzung für die im Verhältnis zu den sonst von Noah gesungenen Partien eher kleine Rolle der Jungfer Leitmetzerin. Noah singt diese Partie souverän und tadellos. Johannes Mertes und Anjara I. Bartz liefern ein solides und vergnügliches Rollenportrait der Intriganten ab. Die höllisch schwere Arie des Sängers interpretiert George Onani mit großer Strahlkraft in der Stimme und gönnt sich im Spiel tenorale Allüren, die beim Publikum für Schmunzeln sorgen. Die zahlreichen weiteren kleinen Partien runden ein absolut stimmiges und musikalisch homogenes Gesamtbild ab. Der Chor (Leitung Marco Medved) und der Kinderchor (Ekaterina Klewitz) absolvieren ihre kleinen Partien ebenfalls absolut einwandfrei. Am Ende des Abends bricht über die Sänger tosender Beifall einher und man kann nur zustimmen. Die Oper Bonn hat mit diesem Rosenkavalier wirklich eine musikalisch überzeugende Produktion geschaffen. Szenisch bleibt es verhalten und bieder, ja fast etwas angestaubt. Ein Rosenkavalier hat mehr zu bieten, als es uns diese Lesart glauben lassen will. So sei ein Besuch der Produktion aber dennoch empfohlen, denn unterm Strich ist das ein toller Opernabend.

Sebastian Jacobs, 09.10.2019

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