Dortmund: „Die Jüdin“, Jacques Fromental Halévy

Diese Premiere von Halevys „La Juive“ war ein echter Stresstest für die Dortmunder Oper. Erst trennte sich das Haus drei Wochen vor der Premiere von Regisseur Lorenzo Fioroni, und Sybrand van der Werf, der eigentlich nur in der Jungen Oper inszeniert, übernahm die Produktion. Am Premierentag erkrankte dann noch Karl-Heinz Lehner, der die Partie des Kardinal Brogni singen sollte. Zweitbesetzung Denis Velev weilte aber gerade in Paris und musste mit dem PKW anreisen, so dass der Vorstellungsbeginn von 18.00 auf 19.30 Uhr verlegt wurde.

Unter diesen Bedingungen fragt man sich natürlich, welche Teile der Regie von Lorenzo Fioroni stammen, der hier immerhin vier Wochen geprobt haben dürfte. Da Sybrand van der Werf auf dem Besetzungszettel steht, muss sich aller Lob und Tadel an dieser Produktion auf ihn beziehen. Von der ursprünglichen Produktion stammt noch die Ausstattung.

(c) Jauk

Martina Segna hat einen sängerfreundlichen und beliebigen Einheitsraum entworfen, wie man ihn so oft auf deutschen Theatern sieht. Diese Bühne soll sowohl ein öffentlicher Platz als auch Wohnung der Hauptfigur Élézar sein. Im dritten Akt findet hier die Party des Fürsten Leopold statt, bei dem eine riesige Blumenkugel an Wieland Wagners „Meistersinger“ erinnert, ohne aber etwas zu bedeuten. Sinnlos und hinderlich scheinen die Treppenabgänge auf der Bühne. Erst im vierten Akt werden sie für die Kerkerszene genutzt. Diese findet aber auf der Unterbühne vor einem roten Wolf-Graffiti mit herumstehenden Sprühdosen statt. Zudem begeben sich Élézar und Ziehtochter Rachel freiwillig und ohne Bewachung in die Unterwelt.

Als Élézar gibt Mirko Roschkowski sein Rollendebüt. Der singt zwar auch Lohengrin und den „Freischütz“-Max, ist aber eigentlich ein lyrischer Tenor. Seine Partie gestaltet er klug, kommt bei den Spitzentönen aber an seine Grenzen. Ziehtochter Rachel wird von Barbara Senator mit klarem und hellem Sopran sowie viel Einfühlungsvermögen gesungen.

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Die Kostüme nach Entwürfen von Annette Braun verorten die Geschichte in unsere Gegenwart. Das bedeutet aber, dass das Regieteam Staat und Gesellschaft der BRD als antisemitisch charakterisiert. Ob das wirklich so gemeint ist?  Regisseur van der Werf führt die Figuren zwar lebendig und plausibel, trotzdem gibt es immer qualitative Einbrüche: In den großen Ensembles und Chorbildern rückt er die Hauptfiguren meist an den Bühnenrand und damit aus den Fokus des Geschehens.

Zudem gibt es immer wieder unausgegorene Szenen: Beim Pessachfest im 2. Akt, singt Élézar zwar sein Gebet auf der Bühne, die Ensembles ertönen aber aus den Lautsprechern. Wenn Leopold sich beim Eintreffen seiner Frau Eudoxie unter dem Tisch versteckt nähert sich der Abend dem Boulevardtheater. Albern ist das Auftreten eines Kardinaldoubles mit Netzstrümpfen und Lederstiefeln. Beim Fest Leopolds im 3. Akt wird eine besondere Attraktion angekündigt. Dann gibt es aber nur einen flackernden Schwarz-weiß-Kreuzzugs-Film, der von Wagners Kaisermarsch untermalt wird.

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Den Kardinal Brogni singt Denis Velev mit warmem Belcanto-Bass. Jugendfrisch und strahlend ist der Tenor von Sungho Kim, der den Leopold singt. Mit glockigem Soubretten-Sopran gefällt Enkeleda Kamani als Eudoxie. Aufhorchen lässt Mandla Mndebele, der mit geschmeidigem Bariton den Ruggiero gibt.

Dirigent Philipp Armbruster leitet die Vorstellung mit einem guten Sinn für die Dramatik der Partitur. Mit dreieinhalb Stunden ist die Aufführung aber trotzdem zu lang. Insgesamt verbaut die unausgegorene Regie den Blick auf die Qualitäten dieses selten gespielten Stückes.

Rudolf Hermes, 10. November 2022


Jacques Fromental Halévy: „La Juive“

Besuchte Premiere 6. November 2022

Inszenierung: Sybrand van der Werf

Musikalische Leitung: Philipp Armbruster

Dortmunder Philharmoniker