Koblenz: „Salome“

Triebbefriedigung einer femme fatale – psychoanalytisch und erotisch

Dieses Jahr feiert die Musikwelt das Strauss-Jubiläum. Vor 150 Jahren erblickte der Garmischer Meister in München das Licht der Welt. Auch das kleine Theater Koblenz ließ es sich nicht nehmen, dem Jubilar seine aufrichtige Reverenz zu erweisen. Die Wahl fiel auf „Salome“, also gerade die Oper, mit der Strauss im Jahre 1905 der Durchbruch als Opernkomponist gelang und mit deren Tantiemen er sich nach eigenem Bekunden seine Garmischer Villa bauen konnte. Nun ist der Orchesterapparat dieses Werkes gewaltig, 113 Instrumente weist die Partitur aus. Dass man in Koblenz auf eine reduzierte Fassung zurückgreifen würde, verstand sich von selbst. Da sich der Graben des Koblenzer Theaters aber auch für diese beschränkte Zahl von Musikern als zu klein erwies, verfiel man auf folgende praktikable Lösung: Das Orchester wurde von seinem angestammten Platz kurzerhand in den hinteren Bereich der von Bodo Demelius eingerichteten Bühne verbannt, während der überdachte Graben in das Spiel mit einbezogen wurde.

Susanna Pütters (Salome), Michael Mrosek (Jochanaan)

Die mit einem roten Boden – eine treffliche Versinnbildlichung des später vergossenen Blutes – versehene Vorderbühne ist in der Inszenierung von Intendant Markus Dietze ganz der Titelfigur zugeordnet. Noch vor dem Einsetzen der eigentlichen Musik betritt sie zu den vom Band eingespielten Klängen eines Pseudo-Strauss’schen Orchesterstückes diesen Bereich der Spielfläche und träumt sich im Folgenden in die die Zeit der Uraufführung zurück. Durch einen transparenten Gaze-Vorhang, auf den in kargem Schwarz-Weiß zahlreiche Videoprojektionen geworfen werden, betritt sie die Welt der Reichen und Schönen der Wilhelminischen Ära. Handlungsort ist indes nicht Dresden, der Uraufführungsort des Werkes, sondern ein neoklassizistisch anmutender Wellness-Raum, der von einem Jochanaan als Gefängnis dienenden Kaltwasserbecken beherrscht wird, in Wien. Ein auf der rechten Seite stehender Flügel wirkt in diesem Ambiente etwas deplaziert. Die Verlegung des Geschehens in die österreichische Hauptstadt ist indes nicht willkürlicher Natur, sondern ganz konzeptimmanent. Denn Wien war auch der Wirkungsort von Sigmund Freud, dessen Lehre von den Triebkräften des Menschen in Dietzes Deutung zentrale Relevanz zukommt.

Ji-Soo Kim (Zweiter Nazarener), Christoph Plessers (Erster Nazarener), Susanna Pütters (Salome), Michael Hamlett (Sklave), Monica Mascus (Herodias), Dirk Eicher (Erster Jude), Hubert Delamboye (Herodes), Haruna Yamazaki (Page)

Während der Rahmenhandlung wird gekonnt das innere Terrain für Salomes spätere Handlungen vorbereitet. Zwei auf die Gardine projizierte riesige Männergesichter lösen in ihr schlagartig ein bisher anscheinend nicht gekanntes sexuelles Verlangen aus. Die überdimensionale Kraft des Eros überwältigt sie mit aller Macht und lässt ihr Verhalten im weiteren Verlauf des Geschehens, während dem sie auch die Mittelbühne betritt, lediglich als Mittel zur Triebbefriedigung erscheinen. Womit wir bei Freud wären. Dass das Ganze als Traum der judäischen Prinzessin erscheint, in dem sich alles aus ihrer Perspektive abspielt, ist in diesem Zusammenhang nur konsequent, denn der Wiener Psychoanalytiker entwickelte seine bahnbrechenden Lehren ja gerade anhand der Traumdeutung. Diese Salome würde für ihn wahrlich ein treffliches Studienobjekt darstellen. Nachhaltig zeigt Dietze das Bild einer sich mitten in der Adoleszenz befindlichen jungen Frau, deren Lechzen nach sexuellem Ausgleich die schlagartige Freisetzung enormer nervöser Energien, um es mit Freud auszudrücken, zur Folge hat. Diese für Freud sehr wichtige Phase der Persönlichkeitsentwicklung nimmt hier keinen normalen Verlauf. Salomes unerfüllter Wunsch, den Mund des Jochanaan zu küssen, löst in ihr eine Zwangsvorstellung aus, die sie letztlich die Hinrichtung des Propheten fordern lässt.

Michael Mrosek (Jochanaan), Haruna Yamazaki (Page), Juraj Holly (Narraboth), Susanna Pütters (Salome)

Um ihr Ziel zu erreichen, ist ihr alles recht. Vom Regisseur von Anfang an als gewissenlose femme fatale vorgeführt – ein Typus, der sich gerade um die vorletzte Jahrhundertwende entwickelte -, steuert sie zielstrebig und berechnend auf den Schleiertanz als Höhepunkt der Oper zu, den sie weniger dem alkoholsüchtigen Herodes als vielmehr dem geliebten Propheten weiht, der offensichtlich unter einer ausgemachten Psychose leidet und demgemäß von Dietze in eine Zwangsjacke gesteckt wird, von der ihn Salome schließlich befreit. Während ihres Tanzes wirft sie ihm ein Kleidungsstück nach dem anderen in das Becken herunter, bis sie schließlich mit völlig entblößtem Busen dasteht. Zur Untermauerung ihres perversen Verlangens nach dem Haupt des Propheten, der ihren eindeutigen Avancen gegenüber zuerst durchaus aufgeschlossen ist, sie aber dann aus Pflichtgefühl von sich stößt, bleibt sie noch eine ganze Weile oben ohne stehen. Sie weiß nur zu gut, welche Wirkungen ihr nackter Oberkörper auf den bereits deutlich in die Jahre gekommenen, lüsternen Herodes auslöst. Sie ist schon ein ganz ausgekochtes Luder, das seine körperlichen Vorzüge gezielt einzusetzen weiß, um ihren Wunsch erfüllt zu bekommen. Mit äußester Radikalität wirft der Regisseur einen tiefschürfenden Blick in die tiefsten Abgründe ihrer Psyche und entlarvt ihre Libido und auch deren Träger, das von Freud propagierte Es, als gestört. Auch der Steuerungsmechanismus des Ichs vermag hier keinen Ausgleich mehr herbeizuführen. Wo aber keine Regulierung der Triebe mehr stattfinden kann, ist eine normale sexuelle Entwicklung aber nicht mehr gewährleistet und innerem Triebchaos Tür und Tor geöffnet. Die Gesellschaft erkennt, dass von Salome in diesem Zustand auch weiter eine große Gefahr ausgeht und stimmt ihrem von allen Handlungsträgern begleiteten Tod nur zu gerne zu. Auch die Absetzung und Inhaftierung von Herodes durch die Soldaten wird widerspruchslos hingenommen. Herodias hat sogar ihre Freude daran. Es ist nicht auszuschließen, dass sie da ihre Finger mit ihm Spiel hat. Jedenfalls scheint sie ihre neue Alleinherrschaft sehr zu genießen. Das alles wurde von dem regieführenden Intendanten mittels einer ausgefeilten Personenregie spannend und stringent sowie mit mächtigen visuellen Impressionen garniert umgesetzt, ohne dabei aufgesetzt oder überdreht zu wirken. Es ist eine sehr effektive, runde und geschlossene Inszenierung, die Dietze gelungen ist, die nachhaltig als Aushängeschild für das Koblenzer Theater taugt und einen mehr als gelungenen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Werkes bildet.

Susanna Pütters (Salome), Enrico Delamboye (Dirigent), Hubert Delamboye (Herodes)

Von den Sängern ist an erster Stelle Michael Mrosek zu nennen, der als Jochanaan an diesem Abend alle seine Partner weit hinter sich ließ. Ein prachtvoll sonorer, stark und frisch klingender Bariton bester italienischer Schulung, die große Kultiviertheit seines Vortrags und eine enorme Ausdrucksintensität der Tongebung ließen seine prachtvolle Leistung wieder zu einem Ereignis werden. Nachhaltig muss man sich die Frage stellen, warum dieser phänomenale junge Bariton, der vielen, auch berühmteren Vertretern des Propheten überlegen ist, nicht an den größten Häusern singt. Das Zeug dazu hätte er. Sein hohes Niveau vermochte Susanna Pütters in der Titelpartie nicht zu erreichen. Zwar war sie rein äußerlich und auch von ihrem intensiven, erotischen Spiel her durchaus eine treffliche Wahl für die Salome. Stimmlich blieben bei ihr aber Wünsche offen. Ihr Sopran ist in der Mittellage und Tiefe angenehm anzuhören. Indes neigte sie oft dazu, in der Höhe vom Körper wegzugehen, wodurch sich bei den eklatanten Spitzentönen der Partie nicht nur einmal ein nicht gerade schöner Klang einstellte. Das hochdramatische Fach ist eben nicht das ihrige. Sie sollte die natürlichen Grenzen ihrer an sich recht gefälligen Stimme etwas besser beachten. Sonst könnte sich das in einigen Jahren vielleicht rächen.

Susanna Pütters (Salome), Michael Mrosek (Jochanaan)

Darstellerisch eine Wucht war Hubert Delamboye, den man noch aus Wiesbaden in Erinnerung hat, als Herodes. Trotz seiner inzwischen 68 Jahre erwies er sich als echtes Bühnentier, das es trefflich verstand, die Aufmerksamkeit stets auf sich zu richten. Leider war seine gesangliche Leistung nicht in demselben Maße überzeugend. Der Sitz seines Tenors war etwas variabel. Mal sang er mit guter Fokussierung, oftmals rutschte ihm die Stimme aber auch in die Maske. Vokal überlegen war ihm die noch recht jugendliche, schön aussehende Herodias von Monica Mascus, die ihren insgesamt gut sitzenden Mezzosopran nur in der Höhe hier und da mal etwas zu ausladend einsetzte. Eine tiefere Stütze seines Tenors hätte dem den Narraboth recht flach singenden Juraj Holly gut getan. Da klang der Mezzosopran von Haruna Yamazakis Pagen schon erheblich tiefgründiger. Voll und rund singend präsentiere sich der erste Nazarener von Christoph Plessers, dessen tiefes g indes noch ausbaufähig ist. Er ist eben ein Bariton und kein Bass, wie ihn Strauss für die Rolle vorschreibt. Jin-Soo Kom war ein passabler zweiter Nazarener. Tadellose Bassstimmen brachten Christiaan Snyman und Evgeny Sevastyanov für die beiden Soldaten mit. Solide gab Marco Kilian den Cappadozier, während Michael Hamletts Sklave reichlich dünn klang. Mit sehr kehliger Tongebung vermochte der als indisponiert angekündigte Dirk Eicher in der Rolle des ersten Juden alles andere als zu gefallen. Das gilt auch für den maskig vokalisierenden Junho Lee als zweiter Jude. Sebastian Haake wurde dem vierten Juden nur in der Mittellage gerecht, da sein Tenor im oberen Stimmbereich nicht im Körper saß. Gut gefielen dagegen Tobias Rathgeber (Dritter Jude) und Jongmin Lim (Fünfter Jude).

Eine gute Leistung ist Enrico Delamboye – Vater des Herodes-Sängers – zu bescheinigen, der mit dem gut disponierten Staatsorchester Rheinische Philharmonie einen ansprechenden Mischklang erzeugte, bei dem weder Bläser noch Streicher eine Vorrangstellung einnahmen. In dynamischer Hinsicht ging der Musikdirektor des Koblenzer Theaters indes manchmal zu sehr in die Extreme. Da wäre etwas weniger zeitweilig mehr gewesen.

Ludwig Steinbach, 9. 4. 2014
Die Bilder stammen von Matthias Baus.