Krefeld, Ballett: „Seite – Band – Bandoneon“ von Robert North

Am 1. Oktober 1373 bekam Krefeld die Stadtrechte verliehen, so dass das Jahr 2023 ganz im Zeichen des großen 650. Stadtjubiläums steht. Dabei geht man unter anderem auch mit dem „Festivalsommer“ bewusst den Weg, die Feierlichkeiten in die breite Öffentlichkeit zu tragen, statt einige wenige ausgewählte große Events oder hochoffizielle Empfänge zu organisieren. Auch das Theater der Stadt Krefeld hat für dieses Jubiläum eine ganz besondere Produktion auf den Spielplan gestellt. Unter dem Titel Seide – Band – Bandoneon schuf Ballettdirektor Robert North eine Uraufführung, die sich im speziellen auf die Stadt Krefeld bezieht, aber auch losgelöst hiervon einen unterhaltsamen Theaterabend bietet. Wenn man an die Krefelder Geschichte denkt, fallen einem relativ schnell die goldenen Zeiten der Seidenweber ein. Das aber der Krefelder Musikhändler Heinrich Band mit dem Bandoneon ein Musikinstrument erfand, welches später u. a. im Tango maßgeblichen Einfluss erlangte, ist gar nicht so bekannt. In seinem gut einstündigen Ballett zieht North nun einen Bogen von der Seidenweberei über die Weiterentwicklung des Bandoneons bis hin zum Verkaufserfolg in Südamerika und dem Einsatz des Instrumentes im Tango. Immerhin ein Zeitraum von rund 200 Jahren.

© Matthias Stutte

Beachtlich ist es, wie es Robert North immer wieder gelingt, mit seinem recht eigenen Ballettstil ganze Geschichten zu erzählen und diese verständlich in Tanz und Bilder umzusetzen. So beginnt der Abend mit fünf Webern, die sich an ihre Arbeit begeben. Recht schnell sind große Seidentücher fertiggestellt, dargestellt von fünf Damen des Ballettensembles, mit denen sich die Weber nun einen fast liebevollen Tanz liefern. Offenbar war die Seidenweberei zwar harte Arbeit, in der man aber durchaus auch seine Erfüllung finden konnte. Mit vielen Hebefiguren und schnellen Wechseln weiß die Choreografie hier besonders zu gefallen. Auch der Aufruhr der angestellten Weber vom November 1828 wird kurz thematisiert, zu dieser Zeit war Heinrich Band gerade mal sieben Jahre alt und sein Vater Peter arbeitete ebenfalls als Weber. Rund 10 Jahre später machte sich Peter Band allerdings mit einem Musikalienhandel selbstständig. Heinrich arbeitete zunächst als Musiker und Musiklehrer bevor er 1843 den Handel seines Vaters übernahm. Die liebevolle Beziehung zwischen Heinrich und seiner Frau wird von Marco A. Carlucci und Teresa Levrini im Übrigenganz zauberhaft auf die Bühne gebracht. In diesem Musikgeschäft lernte Band auch ein Tasteninstrument kennen, welches von Carl Friedrich Uhlig um 1834 in Chemnitz erfunden wurde. Heinrich Band erkannte schnell das Potential dieses Harmonikainstrumentes und erweiterte den Tonumfang nach und nach von zunächst 40 Tönen auf bis zu 144 Töne. Auch in der Kirche wurde das Instrument gerne als Orgelersatz eingesetzt. Zudem fand es großen Anklang bei Feierlichkeiten, denen North einige weitere große Gruppentänze widmet, samt einer großen Hochzeit bei denen Amelia Seth und Illya Gorobets als Brautpaar zu sehen sind.

© Matthias Stutte

Den Übergang zum Tango findet dieses Werk dann erst zum Ende hin, in dem ein Schiffsreisender (Andrii Gavryshkiv) das Instrument mit nach Buenos Aires nimmt, von wo die Geschichte dann seinen Lauf nimmt. Die jeweils passenden Bühnenhintergründe stammen von Udo Hesse, der in diesem Fall als Ausstattungsleiter am Gemeinschaftstheater auch für die wunderbar zeitgenössischen Kostüme verantwortlich zeichnet.

Dass die Uraufführung von Seide – Band – Bandoneon auch musikalisch ein Genuss ist, ist vor allem André Parfenov zu verdanken, der für diesen Abend eine eigene Komposition schuf, die sehr abwechslungsreich daherkommt. Am Flügel überzeugt Parfenov mit kraftvollen Klaviereinlagen, im Duett mit Juliana Münch an der Violine erklingt das Piano dagegen stellenweise recht liebevoll. Mit Stephan Langenberg konnte zudem einer der wenigen professionellen Bandoneonisten für diese Produktion gewonnen werden, der zudem als „Fachmann der Ziehharmonika-Töne“ gilt. Auch hier ist es ganz erstaunlich, was Parfenov für dieses selten derart in den Mittelpunkt gestellte Instrument für wunderbare Musik schuf. Schon die Komposition ist einen Besuch des Abends wert.

© Matthias Stutte

Am Ende erklingt langer Applaus für alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler, und das Publikum im gut gefüllten Krefelder Theater ist sichtbar angetan von einem kurzen aber dafür umso kurzweiligeren Ballettabend. So schön und berührend kann ein kleiner Streifzug durch ein Stück Stadtgeschichte sein.

Markus Lamers, 2. Juni 2023


Seite – Band – Bandoneon (Uraufführung)

Ballettabend zum 650. Jubiläum der Stadt Krefeld

Theater Krefeld

Premiere: 27. Mai 2023, besuchte Vorstellung: 30. Mai 2023

Choreografie: Robert North

Musik: André Parfenov

Bühne und Kostüme: Udo Hesse

Weitere Termine: 10. Juni / 16. Juni / 18. Juni / 21. Juni / 23. Juni / 25. Juni

Trailer: https://youtu.be/YGppkbVeqfs