Lübeck: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2022/23“

Nein, ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen. Nach der Region Rhein/Ruhr blicken wir auf das Theater Lübeck. Weitere Bilanzen sollen folgen.

Beste Produktion:
Die Fledermaus“ von Johann Strauß in der Inszenierung von Michael Wallner. Größter Spaß auf hohem Niveau mit bezaubernden Details – nicht nur an Silvester!

Größte Enttäuschung:
Das Theater Lübeck produziert seit vielen Jahren nichts Enttäuschendes! Allerdings vermissen einige die charmant-intelligenten Piktogramme, die jede Produktion treffsicher charakterisierten. Das neue Design könnte auch aus dem Jahr 1970 stammen.

Entdeckung des Jahres:
Der Neuzugang Jacob Scharfman. Er besticht durch seine noble Präsenz und seinen vollen Bariton.

Beste Wiederaufnahme:
L´amore dei tre re“ von Italo Montemezziv in der Inszenierung von Effi Méndez. Danke für die Aufführung dieser phantastischen, zu selten gespielten Oper!

Beste Gesangsleistung (Hauptpartie):
Evmorfia Metaxaki (Ensemblemitglied, Sopran) in „Salome“ von Richard Strauss in der Inszenierung von Christiane Lutz. Sie erfüllt Strauss´ Forderung nach einer „16-jährigen Prinzessin mit der Isoldenstimme“.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):
Laila Salome Fischer (Ensemblemitglied) als Suzuki in „Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini in der Inszenierung von Ezio Toffolutti. Mit ihrem warmen Mezzosopran verleiht sie der Nebenrolle einen vielschichtigen Charakter mit psychologischem Tiefgang.

Nachwuchssänger des Jahres:
Gustavo Mordente Eda (Tenor). Allein seine „Gralserzählung“ in der „Lohengrin“-Soirée läßt auf eine große Zukunft hoffen!

Bestes Dirigat:
Stefan Vladar (Opern- und Generalmusikdirektor) bringt seit Jahren Wiener Schwung, strahlende Klassik, spätromantische Leidenschaft und aufwühlende Moderne in die Hansestadt.

Beste Regie:
Stephen Lawless mit „Le nozze di Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Eine reizvolle Mischung aus Rokoko und Minimalismus mit intelligenter Einbettung in die Zeitgeschichte.

Bestes Bühnenbild:
Ashley Martin-Davis´ Bühnenbild in „Albert Herring“ von Benjamin Britten (Inszenierung von Stephen Lawless) paßt mit seinen witzigen, liebenswerten Ideen und den von ihm entworfenen Kostümen perfekt zum Humor der Oper.

Beste Chorleistung:
Chor und Extrachor des Theaters Lübeck in „Lohengrin“ von Richard Wagner (Inszenierung von Anthony Pilavachi) legen in kraftvollem Ausdruck und Exaktheit eine erstklassige Leistung hin.

Größtes Ärgernis:
Der erneute und endgültige (zudem undankbare) Weggang des Regisseurs Anthony Pilavachi. Enttäuschend für alle Fans seiner zauberhaften Inszenierungen und alle, die mit ihm gearbeitet haben.

Besonderes Kennzeichen des Hauses:
Das Theater Lübeck überzeugt durch Vielseitigkeit in Epochen und Musikstilen, besonderen Formaten wie den Einführungs-Soiréen und Liederabenden sowie durchgehender Qualität und damit Strahlkraft weit über Norddeutschland hinaus.


Die Bilanz zogen Regina und Andreas Ströbl.