Magdeburg: „Der fliegende Holländer“

Premiere am 21. Januar 2017

Exzellente Personenregie

Richard Wagner war von 1834 bis 1836 Kapellmeister in Magdeburg. Deshalb ist es am dortigen Theater seit Jahrzehnten gute Tradition, dessen Werke regelmäßig aufzuführen. An diese Selbstverpflichtung knüpft der zweijährige Zyklus an, der 2012/13 mit „Tristan und Isolde“ und 2014/15 mit „Lohengrin“ fortgesetzt wurde. Jetzt hatte der packend inszenierte „Fliegende Holländer“ stürmisch gefeierte Premiere.

Als die durch die Magdeburgische Philharmonie fulminant und zugleich differenziert präsentierte Ouvertüre (endlich einmal ohne szenische Bebilderung!) erklungen war, blickte man auf einen an das Innere eines Schiffes erinnernden Raum in rostbrauner Färbung und ohne Mobiliar (Ausstattung: Tom Musch). Die Regisseurin Vera Nemirova hatte den Stoff um den rastlosen Holländer aktualisiert. Er war keine menschenferne Geistererscheinung, sondern wie Daland Kapitän eines Handelsschiffes; die Matrosen und die nähenden Frauen trugen moderne Alltagskleidung; Senta starrt das Foto des Holländers natürlich auf einem Smartphone an. Nach den Worten der Regisseurin „ist das Los des Holländers und seiner Mannschaft eine Metapher für Ortlosigkeit, für Getriebensein und Herumirren, für die Suche nach Heimat in einem fremden Land oder vielleicht bei einem Menschen“. Da diese Suche nach Heimat scheitert, ist es nur konsequent, dass es den so genannten „Erlösungsschluss“ nicht gab und der erlöste (?) Holländer von Erik erschossen wird. Die Rastlosigkeit des Holländers wurde auch dadurch deutlich gemacht, dass bei seinem Monolog und am Schluss, als er seine Identität offenbart, endlos erscheinende Video-Einspielungen (Bahadir Hamdemir) von nächtlichen Fahrten auf einem Highway zu sehen waren. Weitere Videos von sturmbewegten Wolken und hauptsächlich vom Gesicht des teilweise hinter der Bühne singenden Holländers fügten sich fast durchgehend passend in den dramatischen Ablauf ein; sein erstes Gespräch mit Daland wirkte dadurch allerdings viel zu irreal.

Liine Carlsson/Vladimir Baykov als Live-Projektion

In der Gestaltung der Beziehungen der handelnden Personen zueinander erwies sich die bekannte, exzellente Personenführung der Regisseurin, die offenbar auf feiner Beobachtung menschlicher Handlungsweisen beruht. Als Beispiel sei genannt, dass der Holländer vom Verhalten Dalands peinlich berührt war, als dieser den überlassenen Schmuck und vor allem die Vorzüge Sentas anpries. Auch die wachsende Nähe vom Holländer und Senta gelang ausgesprochen glaubwürdig; ein unnötiger Ausrutscher war jedoch Eriks Versuch im 3.Akt, Senta zu vergewaltigen. Darstellerisch und musikalisch eine Wucht waren die Matrosenchöre, als die Norweger fröhlich ihre Heimkehr feierten (erfreulicherweise einmal nicht in oft krampfhaft wirkender Choreographie), wobei die Holländer in Gruppen aus dem Zuschauerraum dagegen hielten. Überhaupt erwiesen sich die von Martin Wagner einstudierten Chöre (Opernchor, Magdeburger Singakademie, Mädchenchor des Opernkinderchores des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“) als gut ausgewogene, farbmächtige Klangkörper.

Liine Carlsson

Die stimmliche Bewältigung hatte beachtlich hohes Niveau, angefangen bei Liine Carlsson als schwärmerische Senta, die mit ihrem Rollendebüt rundum überzeugte. Die Schwedin führte ihren tragfähigen Sopran intonationsrein und abgewogen durch alle Lagen und gefiel mit sicheren Höhen. Vladimir Baykov als Holländer debütierte ebenfalls; der russische Sänger aus dem Hamburger Opernensemble ließ einen relativ hellen, durchschlagskräftigen Bassbariton hören, der nur in den Höhen teilweise unnötig stark forcierte, was zu unangenehmen Nebengeräuschen führte. Dass seine Stimme in den Ensembles, in denen er aus dem Off zu singen hatte, zu laut klang, ist nicht ihm, sondern der Technik anzulasten. Johannes Stermann als jugendlicher Daland gelang es nicht durchgehend, seinen voluminösen Bass hinreichend zu fokussieren. Mit tenoralem Glanz wartete Timothy Richards als Erik auf, während Lucia Cervoni eine solide Mary ablieferte; auffallend kräftig sang Jonathan Winell den Steuermann.

Vladimir Baykov/Johannes Stermann/Liine Carlsson

GMD Kimbo Ishii hatte alles souverän im Griff und sorgte mit der gut disponierten Magdeburgischen Philharmonie und den Chören für durchweg schwungvolles Musizieren.

Das Premierenpublikum feierte alle Mitwirkenden mit begeistertem, lang anhaltendem Beifall.

Gerhard Eckels 22.01.2017

Bilder: Andreas Lander

Weitere Vorstellungen: 29.1.+19.,25.2.+19.3.+7.,22.4.+11.5.2017