am 29.06.2017
Grossartig, aber ein strahlendes und ein weinendes Auge
Wie zu jedem Saisonschluss seit der Ära Legris gab es für das Wiener Publikum eine „Nurejew Gala“. Und auch dieses Jahr wartet Ballettdirektor Manuel Legris mit einer Fülle von hervorragenden Werken auf, die für den Zuschauer wie im Flug vergehen.
Mit dem pas de cinq aus Nurejews „Dornröschen“ wurde die Gala eröffnet – ein Markenzeichen für Nurejews Choreographien ist das hohe Schwierigkeitslevel, die Tänzerinnen durften unzählige à la seconde und rasche Schrittkombinationen absolvieren, zweifelsohne auf sehr hohem Niveau, allerdings aufgrund der choreographischen Komplexität mit Kombination der Sommerhitze fast eine Überforderung für die Zuschauer, welche die souveräne Leistung von Adele Fiocchi, Dumitru Taran, Laura Nistor, Elena Bottaro und Xi Qu mit etwas zu mässigem Applaus belohnte.
Aber spätestens beim darauffolgenden Stück – „Solo“ von Hans van Manen – war man munter, nicht zuletzt auch durch den bübischen Schalk, welchen alle drei Interpreten hervorragend transportieren vermochten, allen voran der begnadete Solist Masayu Kimoto (der im Anschluss an die Vorstellung verdient zum 1. Solisten befördert wurde), sowie die geschmeidigen Halbsolisten Richard Szabo und Géraud Wielick.
Natürlich dürfen bei einer Saisonschlussgala auch keine Gastsolisten fehlen – dieses Jahr debütierte Maria Shirinkina (1. Solistin des Bayerischen Staatsballetts) im Spartacus-Pas de deux von Juri Grigorowitsch an der Wiener Staatsoper. Ihr Partner und Ehemann, Vladimir Shklyarov -ebenfalls 1. Solist des Bayerischen Staatsballetts – gab sein Debüt an der Wiener Staatsoper bereits 2012. Ein emotionaler, geradezu artistischer Pas de deux zwischen Phrygia und Spartacus wurde hier dargeboten, mit Szenenapplaus für eine besonders schwere Hebung.
Ein „bewährtes“ Werk, „Glow-Stop“ von Jorma Elo, folgte daraufhin, mit zahlreichen Rollendebüts (bei den Damen hatte bisher nur Maria Yakovleva in „Glow-Stop“ getanzt, bei den Herren gab es hingegen nur bei Francesco Costa ein Rollendebüt). Und es ist eine pure Freude, wie geschmeidig die Damen Yakovleva, Avraam, Firenze, Horner, Mair und Kiyanenko über die Bühne wirbeln und die Herren Shishov, Costa, Forabosco, Lukacs, Tcacenco und Pavelka ein kraftvolles Pendant geben.
Erstmals an der Wiener Staatsoper war der anschliessende Pas de deux aus John Neumeiers „Magnificat“ zu sehen, in einer traumhaft-ästhetischen Interpretation von Nina Tonoli und Jakob Feyferlik. Zwei junge Solotänzer, die sich im vergangenen Jahr darstellerisch sehr gesteigert haben, Tonoli kann natürlich nach wie vor den Mädchencharakter ideal verkörpern, hat jedoch an Ruhe und Tiefgründigkeit gewonnen und man darf sehr gespannt auf ihre nächsten Partien sein. Die Altpartie wurde von Staatsopernsolistin Margaret Plummer mit einer angenehm-satten Tiefe gesungen.
Bedauerlicherweise verletzte sich 1. Solotänzer Davide Dato in seiner Variation des „Stars and Stripes“ Pas de deux. Dabei hatte dieses hochvirtuose Werk von George Balanchine so vielversprechend begonnen, mit der technisch äusserst versierten Nikisha Fogo, die alle Balancen mühelos stand und dem Publikumsliebling Davide Dato, der zu seiner hervorragenden Leistung noch eine riesige Portion Charme miteinbrachte. Eine plötzliche Verletzung zwang ihn in seiner Variation zu Boden und es musste abgebrochen werden. Wirklich schade auch für seine Partnerin Fogo, die gerade in diesem Stück besonders brilliert hätte, ebenso schade auch für seine zweite Partnerin Nina Tonoli, da der Pas de deux aus „Peer Gynt“ aufgrund der Verletzung entfallen musste.
Dies überschattete auch das danach folgende Stück „Murmurations“ von Edwaard Liang mit der wunderbar-geschmeidigen Nina Polakova, dem kongenialen Roman Lazik und dem eleganten Ensemble. Mit einem strahlenden und einem weinenden Auge ging man also in die erste Pause.
Der zweite Teil stand ganz unter dem Motto Rudolf Nurejew – ein Teil des ersten Aktes, sowie der „Schattenakt“ wurde dargeboten.
Flinke Soli gaben Sveva Gargiulo und Céline Janou Weder im Dschampe-Tanz, Gabor Oberegger mimte einen würdigen Radscha Dugmanta. Besonders edel gelang der Pas de deux von Ioanna Avraam und Robert Gabdullin als Nikia und Solor – Avraam wäre auch für die ganze Partie ein Glücksfall.
Der Schattenakt wurde von Liudmila Konovalova und dem Gastsolisten Vladimir Shklyarov getanzt, auf technisch sehr hohem Niveau. Wunderschöne Variationen gab es von den Solo-Schatten Natascha Mair (bezaubernd!), Nikisha Fogo (hier gab sie sichtlich noch einmal alles und wurde mit Sonderapplaus belohnt) und der souveränen Adele Fiocchi. Das Damen-Ensemble glänzte grösstenteils durch Harmonie, ein paar kleine Wackler nach minutenlangen Arabesque-Folgen kann man da schon eher verzeihen.
Der letzte Teil schliesslich begann mit einem Klaviersolo von Ballettkorrepetitor Igor Zapravdin, welcher in Melodien von Sergei Rachmaninow die „russische Seele“ zum Klingen brachten – „With a chance of Rain“, eine humoristische, aber auch melancholische Choreographie von Liam Scarlett wurde von Alice Firenze und Mihail Sosnovschi bzw. als „Gegenpaar“ von Nina Polakova und Eno Peci facettenreich und mit einer sympathischen Portion Sexappeal zum Besten gegeben.
Lässigkeit und Kraft stand im folgenden Stück „In the middle, somewhat elevated“ von William Forsythe im Vordergrund: Mühelos wirft die Gastsolistin Elena Vostrotina (ab nächster Spielzeit 1. Solistin beim Ballett Zürich) mehrere 200-Grad-grand battements, was bei ihrer Grösse und unendlich langen Beinen noch eindrucksvoller zur Geltung kommt, während Vladimir Shishov mit Ausdrucksstärke und Lockerheit punktet.
Da der „Peer Gynt“ Pas de deux aufgrund der Verletzung von Davide Dato leider ausfiel, gab es unmittelbar nach dem umjubelten Forsythe nochmals eine Steigerung des modernen Tanzes: Rebecca Horner, mit der Geschmeidigkeit und Kondition einer Raubkatze macht sich das finale Solo aus John Neumeiers „Le Sacre“ durch starke Persönlichkeit ganz zu eigen und schafft Gänsehautmomente! Einzig bedauerlich, dass hier die Musik vom Tonband kam – im März hatte das Orchester der Wiener Staatsoper nämlich eine Höchstleistung beim „Sacre“ dargeboten.
Nach soviel geballter Kraft war der folgende lyrisch-romantische Pas de deux „La Prisonnière“ aus Roland Petits „Proust ou les intermittences du coeur“ ideal-beruhigend – überhaupt hat Ballettdirektor Manuel Legris einen dramaturgisch spannenden Ablauf der Gala gestaltet, abwechslungsreich mit Soli und Ensembles und choreographischen Stilen – und wurde stilvoll von den ersten Solotänzern Maria Yakovleva und Roman Lazik mit wunderschöner Ausstrahlung präsentiert. Gerade bei Tänzern, die schon seit über 10 Jahren im Wiener Staatsballett in zahlreichen Hauptpartien grosse Erfolge feiern, freut man sich umso mehr, wenn sich deren Darstellungen jedes mal noch mehr entfalten können, so ist Yakovleva seit ihrem Staatsoperndebüt zu einer ausdrucksstarken, jungen Frau gereift, die nun auch dramatische Partien überzeugend gestaltet, und Lazik ist der wahrscheinlich beste Partner, den sich in diesen Jahren eine Ballerina wünschen kann und hat an Facettenreichtum gewonnen.
Ein weiterer Höhepunkt der Gala war Balanchines „Tschaikowski-Pas de deux“, getanzt von der Gastsolistin Ludmila Pagliero und Jakob Feyferlik. Pagliero ist diesjährige Preisträgerin des Prix Benois de la Danse und glänzt mit schwebender Leichtigkeit – offensichtlich ist dieser Pas de deux Standardrepertoire für diese grossartige Ballerina – während Feyferlik voll jugendlicher Energie sprüht und hoffentlich noch öfters in Balanchine-Werken zu erleben sein wird.
Zum Abschluss des knapp 4-stündigen Abends gab es noch den 4. Satz aus Georges Bizet’s „Symphonie in C“, Choreographie ebenfalls von Balanchine. Als Hauptpaare geben Alice Firenze, Robert Gabdullin, Natascha Mair, Masayu Kimoto, Liudmila Konovalova, Leonardo Basilio, Ioanna Avraam und Richard Szabo noch einmal alles – Szabo übernahm kurzfristig für den verletzten Davide Dato – und das Publikum feierte die Künstler mit lang anhaltendem Applaus. Ebenso wurde auch der souveräne Kevin Rhodes und das Orchester der Wiener Staatsoper mit zahlreichen Bravi bedacht.
Anschliessend an die Vorstellung wurden folgende Beförderungen bekannt gegeben: Neuer 1. Solist ist Masayu Kimoto, neue Halbsolistinnen sind Adele Fiocchi, Elena Bottaro, Sveva Gargiulo und Oxana Kiyanenko.
Erste Vorstellung des Wiener Staatsballetts in der Saison 2017/18: „Giselle“ von Elena Tschernischova am 22.9.2017
Katharina Gebauer 1.7.2015
Bilder (c) Staatsballett