Essen: Toronto Symphony Orchestra

Dirigent: Peter Oundjian / Solist: Jan Lisiecky

Morawetz
Carnival Overture

Schumann
Klavierkonzert a-moll

Rimski-Korsakoff
Scheherazade

Zugaben: Valse Triste (Sibelius), Enigma Variationen – Nr. 9 „Nimrod“ (Elgar)

Hand aufs Herz, verehrte Konzertgänger, wer von Ihnen kennt Oskar Morawetz?

Immerhin war er einer der führenden und am häufigsten aufgeführten kanadischen Komponisten. Er entstammte einer tschechisch-jüdischen Familie, was sein Schicksal bestimmen sollte. Immerhin wurde er vom großen George Szell, 1936 schon mit gerade einmal 19 Jahren als Kapellmeister an die Staatsoper Prag geholt. Später floh er nach diversen abenteuerlichen Fluchtversuchen von Paris aus nach Kanada.

Ein großer Komponist und ein weiteres Opfer der NS-Diktatur, dessen "verbrannte Noten" unseliger Weise bei uns immer noch höchst selten gespielt werden. Daher erst einmal großes Lob und Respekt dem großen Toronto Symphony Orchestra, daß man die Musik eines Landsmannes mitbringt auf Deutschland-Tournee. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man beobachtet, daß französische Spitzenorchester in Deutschland kaum französische Musik spielen, oder die "Big Five" – die ja alle in den letzten Jahren in der Essener Philharmonie zu erleben waren – nicht ein Stück von amerikanischen Komponisten auf dem Programm hatten.

Das Schöne an Morawetz ist, daß er als Komponist ohrengenehm hörbar ist, also auf modernistischen Zwölfton oder unangenehme bis publikumsfeindliche avantgardistische Kompositionsstile des 20. Jahrhunderts fast vollends verzichtet. Seine Musik ist farbenreich, fantasievoll und von angenehm zu rezipierender Vitalität. Von seinen 120 Werken gilt es die meisten noch immer zu entdecken. Da möchte man den Programmplanern der mit Millionen von Steuergeldern subventionierten Städtischen Sinfoniekonzerte zurufen: "Auf, auf und auf…!!" Und dass mit Pro Arte gerade ein privater Konzertveranstalter diesen Komponisten bringt, ist ein nicht hoch genug zu bewertender Verdienst um die Musik. Bravo!

Natürlich muß man auch Publikum anziehen und besondere Stars bieten. Zu denen gehört der kanadische junge sympathisch zurückhaltende Weltstar Jan Lisiecki . Der gerade einmal 32-Jährige gilt als echter Shooting Star der Klavier-Szene. Und was er kann, was letztendlich große Piano Forte Kultur bedeutet, wird gerade im Vergleich mit der in etwas gleichaltrigen Superstar-Klassik-Popikone

Yuja Wang, die eine Woche vorher sich in Essen präsentierte, hör- und erfahrbar. Dort Tastenakrobatik und Cirzensik auf der Klaviatur, heuer bei Lisiecki Tiefgang und große Kunst, auch wenn man mit Schumanns Allerweltkonzert (a-moll) sicherlich das dritt-meistgespielt Klavierkonzert offerierte (Anmerkung: Platz eins und zwei halten immer noch Grieg und Tschaikowsky ;-). Auch schön, daß Lisiecki eine Fangemeinde hat, die nicht nach dem Konzert fluchtartig die Philharmonie verlässt und sich für die weitere Musik keinen Deut mehr interessiert, sondern man blieb noch für die schönste Film-Musik aller Zeiten: Nikolai Rimski-Korsakoffs prachtvolle "Scheherazade".

Hier zeigte sich, daß eben dieses Toronter Orchester keinen Vergleich mit den absoluten Weltklasse-Orchestern zu scheuen braucht; seien es die Londoner, die schon angesprochenen Amerikaner, die Wiener oder die Berliner – die wir ja alle in den letzten zwei Jahren in Essen auf Stippvisite hatten. Goldene Bläser, betörende Streicher und fabelhafte Holzbläser ließen unter der begnadeten Leitung ihres seit 2004 agierenden Music Directors Peter Oundjian

eine orientalische Welt erblühen, wie man sie sich schöner nicht vorstellen kann. Was für ein musikalischer Märchentraum! Versteht sich, daß man einen Concertmaster (Jonathan Crow) hatte, der seiner Guaneri (oder war es eine Stradivari?) auf ätherischen Höhen geradezu himmlische Töne entlockte. Eine grandiose Interpretation.

Schade, daß um 22 h (Ende des offiziellen Konzerts nach Inhaltsangabe) nicht wenige Zuhörer zu ihren Bussen, Bahnen und Parkhäusern stürmten, denn diese verpassten eigentlich eine weitere Krönung des Abends, nämlich jenen geradezu fabulös gespielten "Valse triste" von Sibelius. Der Jubel des Restpublikums war so groß, daß man noch eine zweite Zugabe offerierte: die Enigma Variation Nr.9 Nimrod von Elgar. Eine Stück Musik, welches nicht nur zu den großen Raritäten, sondern auch zu den Schönsten gezählt werden muß.

Schöner und erfüllender konnte der Saisonabschluß der Pro Arte Konzertreihe in Essen nicht ausfallen. Ein großer Abend und eines der besten Konzerte in der Essener Philharmonie überhaupt in dieser Saison.

Peter Bilsing 30.5.2017

Bilder (c) Pro Arte / www.tso.ca / oscarmorawetz.com

P.S. Bitte hören Sie einmal in Oskar Morawetz hinein

Carnival Ouvertüre

Symphony Nr.2

Fantasy in D Minor