Premiere am 25.1.2020 – Aufzeichnung / Livestream 3 h 15 Min
Beginn einer Renaissance?
Fast auf den Tag genau 87 Jahre nach ihrer Uraufführung im Berliner Admiralspalast wurde nun in einer rekonstruierten und neu arrangierten Fassung, denn die Orchestrierung ging in den Kriegswirren verloren, Jaromir Weinbergers Operette „Frühlingsstürme“ in der Komischen Oper aufgeführt. Am 20. Januar 1933 war das Stück erfolgreich uraufgeführt worden, das dem Tenor Richard Tauber auf die Stimmbänder komponiert worden war, der nach der Vorstellung vor dem Hotel Kempinski am Kurfürstendamm von SA-Schlägern niedergeschlagen wurde. Der Komponist und sein Star verließen Deutschland, auch Weinbergers Oper „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ (wir berichteten ausführlich über die MiR Produktion im letzten Jahr)) in der Spielzeit 29/30 die noch vor Carmen oder Zauberflöte meistgespielte Oper in Deutschland, verschwand von den Spielplänen, „Frühlingsstürme“ wurde noch einige Male in tschechischer Sprache aufgeführt, zum letzen Mal 1947 in Ostrava. Aus dem Jahr 1933 gibt es einige Aufnahmen von Arien und Duetten, allerdings hat hier Tauber nicht seine Bühnenpartnerin Jarmila Novotná zur Seite und diese an seiner Stelle den Tenor Marcel Wittrich.
Das Libretto von Gustav Beer ist der Nachwelt überliefert worden, weist allerdings die genreüblichen Schwächen mit Herz-Schmerz-Reimen auf wie „sollst mein Leben hold umschweben“ oder Holprigem wie „darf ich sie nicht begehren, wozu wär‘ solches gut“, ansonsten neigt sich das Werk eher dem Genre tragische Operette zu, denn es gibt kein happy end zwischen den Komponenten des Hohen, sondern nur des Buffo-Paars, stattdessen ein Sichfügen in die Gegebenheiten, eine aus einem Irrtum entstandene Ehe für den Tenor, für die Diva das Bündnis mit dem alternden General, dem sie einst das (falsche) Lösungswort „Frühlingsstürme“ entlockte, um ihrem Geliebten die Flucht aus dem feindlichen Lager zu ermöglichen. Die Darstellung der Handlung nimmt im Programmheft der Komischen Oper zwei volle Seiten in Anspruch, was für eine Operette bedenklich ist, auch damit zusammenhängt, dass sie auf tatsächliche historische Ereignisse, den japanisch-russischen Krieg von 1905 und die darauf folgenden Friedensverhandlungen, zurückgreift.
Trotz all dieser nicht gerade optimalen Voraussetzungen ist der Komischen Oper wieder ein zumindest in großen Teilen praller Operettenabend gelungen, der sich nur ausgerechnet zu Beginn mit einer langen Sprechszene für die Lagebesprechung im russischen Hauptquartier in der Mandschurei ungewöhnlich zäh dahinzieht. Einen Kontrast dazu bieten die frech-fetzigen, manchmal zu klamaukhaften Szenen des Buffopaars, der aufmüpfigen Generalstochter Tatjana und des deutschen Skandaljournalisten Roderich Zirbitz, der sich auch als Koch oder Zauberkünstler verkleidet, um an seine Stories zu gelangen. So richtig in die Operettengänge kommt die Geschichte, wo sie sich fein über die Gattung lustig macht mit Damenballett (Choreographie Otto Pichler ) mit riesigen Schwanenfederfächern, Revuetreppe in rosigen Farben und einem Starkregen von roten Papierherzchen. Nicht nur die Tänzerinnen bekommen in vielen ganz unterschiedlichen Funktionen, Chinapüppchen oder blasierte Hotelgäste, die allerschönsten Kostüme von Dinah Ehm verpasst. Der andere große Pluspunkt ist der Darsteller der reinen Sprechrolle des heiratslustigen, wenn auch bereits von Altmännerproblemen geplagten Generals Katschalow, Stefan Kurt , für den sich Regisseur
Barrie Kosky eine Fülle herrlicher Szenen ausgedacht hat, so das Musizieren auf dem verführerisch ausgestreckten Bein der angebeteten Lydia, den Streit zwischen hochfliegenden Liebesgedanken und viel tiefer liegenden Misshelligkeiten, den inneren Kampf zwischen Erzieherstrenge und Vaterliebe. Ihm galt dann auch, trotz eines schlimmen eingelegen „Kuda, kuda“ der herzlichste Beifall des Publikums.
Bereits beim Betreten des Saals ist auf leerer schwarzer Bühne (Klaus Grünberg) ein riesiger wandelnder Kubus zu bestaunen, der sich zu Schauplätzen wie Vorzimmer zum Ballsaal oder Hotelhalle öffnen kann und durch eine Unzahl von Türen Auftritts-, Flucht- und Versteckmöglichkeiten ohne Zahl bietet. Da bedarf es dann nur weniger Requisiten wie zweier auch als Versteck dienender Palmen, um die passende Atmosphäre zu schaffen.
Die Komische Oper kann auch eine Operette bestens mit Kräften aus dem eigenen Ensemble besetzen. So die zwielichtige Lydia mit der bildschönen, mit leichtem, aber farbigem, in der Höhe reich aufblühendem Sopran bedachten Vera- Lotte Boecker, mit Alma Sadé, die die flippige Tatjana hinreißend spielt und deren Sopran an Frische nichts einbüßt, obwohl sie häufig fürchterlich kreischen muss. Eine kurze und dazu gesangslose Rolle hat Martina Borroni als Gattin des Helden und kann trotzdem berühren. Dieser ist mit Tansel Akzeybek rollengerecht besetzt, bringt das exotische Element als Ito und dazu einen timbreschönen, mitreißend höhensicheren Tenor in die Produktion. Dominik Köninger windet sich schlangengleich durch seine Partie als newssüchtiger Roderich und singt dazu hinreißend mit markigem Bariton. Tino Lindenberg und Luca Schaub lassen als russische Offiziere in schmucker Uniform weibliche Herzen für das Militär schlagen. Ihr unrühmliches Ende zwölf Jahre später blendet man besser aus.
Besonderer, hoch verdienter Beifall galt an diesem Abend Norbert Biermann, der aus Klavierauszügen, Schlagerheftchen, wenigen originalen Orchesterstimmen und Platten-Aufnahmen und nach dem Studieren des Schwanda eine Rekonstruktion und Arrangements schuf, die in ihrer Raffiniertheit, Klangschönheit und ihrem musikalischen Reichtum vom Orchester der Komischen Oper unter Jordan de Souza voll zur Geltungsgebracht wurden und Appetit machten auf die Premiere von „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ im März, in dem ein Symposium mit den Aufführungen beider Bühnenwerke und von Konzerten stattfinden und vielleicht zu einer Renaissance von Jaromir Weinberger auf Bühnen und in Konzertsälen führen wird.
26.1.2020 Ingrid Wanja
Musikbeispiel
Du warst für mich die Frau gewesen (Richard Tauber)https://www.youtube.com/watch?