Premiere am 31.5.2019
Mitreißender Saisonausklang
König Fußball lässt Berlin nicht zur Ruhe kommen, denn kaum haben sich die Wogen der Begeisterung anlässlich des Aufstiegs der Eisernen von Union 06 in die erste Bundesliga etwas geglättet, da erlebt an der Komischen Oper ausgerechnet eine Fußball-Operette einen Triumph. Nun bringt man die Glamour, Melodienseligkeit und Romantik verheißende musikalische Gattung nicht gerade in Verbindung mit schmutzigen Trikots, Männerschweiß und rauen Sitten, doch Paul Abrahams Operette Roxy und ihr Wunderteam, von ihm eigentlich als Vaudeville-Operette komponiert 1936 als 3:1 für die Liebe in Budapest uraufgeführt, mit neuem Titel 1937 nach Wien gebracht, bleibt zwar zugunsten des moderneren Foxtrott und Stepptanzes fast walzerlos, bietet mit ihren Schauplätzen weder Aristokratisches noch Künstlerisches noch sonst Glanzvolles, sondern erzählt vom Triumph der ungarischen Fußballmannschaft mit dem Sieg über die englische Mannschaft, der Gefährdung des Trainings und schließlich des Rückrundenspiels durch das Amüsement mit den Mitgliedern eines Mädchenpensionats und schließlich im fast verlorenen Spiel die Rettung der ungarischen nationalen Ehre durch die anfeuernde Mitwirkung ebendieser Mädchen.
Es sind Elf wie die Mitglieder einer Fußballmannschaft und am Ende jedwede in Liebe vereint mit einem der Spieler. Es gibt das Hohe Paar, in dem eine der erzwungenen Hochzeit entronnene Braut aus gutem Haus, Roxy genannt, und der arme, aber hochbegabte Mannschaftskapitän vereint sind, das Buffopaar aus Torwart und Schülerin und das ulkige ältere Paar, den Onkel der titelgebenden Roxy und die strenge Pensionatsdirektorin. Ob das Werk als Antwort auf die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, die Arie von den handarbeitenden Mädchen als Affront gegenüber Nazideutschland gedacht war, sei dahingestellt, ist aber schon allein dadurch denkbar, dass Paul Abraham, der gerade in Berlin bis zum unheilvollen Jahr 1933 riesige Erfolge feiern konnte, die Ächtung durch die Nazis als Kränkung und Bedrohung erfahren musste.
Matthias Grimminger und Henning Hagedorn haben „Roxy und ihr Wunderteam“ überarbeitet, und sie präsentiert sich nun in der Komischen Oper als eine rasante Mischung von, ja, auch noch Operette, Revue, Kabarett mit Bedienung vieler Klischees wie das des geizigen Schotten, des feurigen Ungarmädels, des trotteligen Österreichers, wirkt modern, ohne dass die Regie von Stefan Huber sie aus der Entstehungszeit gerissen hätte, und bietet knappe drei Stunden bester Unterhaltung.
Es darf in den Wonnen der Banalität der Texte gebadet werden; aber stets in dem Bewusstsein, dass man um diese weiß, lässt man sich „den Cocktail mixen von den kleinen Donaunixen“, und es darf über das Bühnenbild von Stephan Prattes gestaunt werden, der einen riesigen Fußball in den Mittelpunkt der Szene hängt, auf dem auch schon mal der Orientexpress die Mannschaft von London nach Budapest bringt und dessen Rückseite im letzten Bild ein Stadionsegment mit dem jubelnden Chor der Komischen Oper wird.. Ein ganz besonderer Verfremdungseffekt, der das Abgleiten ins Kitschige verhindert, ist die Besetzung von drei Hauptrollen mit den Geschwistern Pfister, die bekanntlich keine sind, sondern ein männliches Pärchen und dazu das echt weibliche Fräulein Schneider. Christoph Marti hat die Rolle der Roxy übernommen und ist in ihr so frech und rotzig, dass sich kaum Operettenseligkeit im klassischen Sinne einstellen kann, aufkommende Romantik gebrochen wird durch den unmissverständlichen Hinweis auf Zwei- und Vieldeutigkeit und man sich mit umso besserem Gewissen der mitreißenden musikalischen Gewalt eines Csardas oder des Black-Walk hingeben kann. Die elf Fußballer und die ebenso vielen Pensionatsmädel können so gut singen wie sie noch besser tanzen können und sorgen für durchgehend gute Laune. Leider von seiner schönen Stimme wenig hören lassen kann Johannes Dunz als verschmähter Verlobter mit stereotypem Plärren, Jörn-Felix Alt spielt und singt als Torwart alle anderen einschließlich seines Mannschaftskapitäns an die Wand.
Dieser wird von Tobias Bonn in schöner Verhaltenheit, dazu vokal höhensicher gegeben, Andreja Schneider bedient gekonnt das Klischee von der ach so strengen, aber doch zum Erobertwerden bereiten Lehrerin. Und noch einmal: Christoph Marti als Roxy, die sich, Rolle rückwärts, als Mann verkleidet, ist von optischem wie vokalem herbem Charme, in der Szene natürlich Kult, für manchen Zuschauer, auch was die Stimme angeht, gewöhnungsbedürftig, aber in jedem Fall mit Haut und Perückenhaar und allen Fasern hingegeben an ihre Aufgabe. Uwe Schönbeck spielt und singt tapfer und mit Erfolg den Fabrikanten Sam, Christoph Späth den Verbandspräsidenten und Mathias Schlung ist in vielen Rollen, ganz besonders aber als Reporter und Zollbeamter, urkomisch. Das Orchester unter Kai Tietje scheint nie etwas anderes als Operette gespielt zu haben, man kann sich jetzt schon auf die nächste im Haus freuen.
1.6.2019 Ingrid Wanja