Vorstellung am 30.11.2018
Unglück, das mir verblieb… – statt Erlösung Klapsmühle
“Wir haben für uns entschieden, in eine andere Richtung zu gehen“, verkündet Regisseur Robert Carsen im Programmheft zu Korngolds Oper „Die tote Stadt“ an der Komischen Oper Berlin und lässt den Protagonisten Paul nicht durch einen Traum vom Meuchelmord an Marietta genesen und mit Freund Frank ins Leben zurückkehren. Stattdessen erscheint dieser nebst Brigitta als Schwester als offensichtlicher Irrenarzt, der den tatsächlich zum Mörder Gewordenen in die Psychiatrie abholt. Da passt dann zwar nicht mehr zum Text des Werks, ist aber weniger schlimm als das, was sich Regie sonst allzu oft leistet.
Einschneidender ist der totale Verzicht auf die optische Einbeziehung der Stadt Brügge, die schließlich dem Roman von Georges Rodenbach und auch der Oper von Berg ihren Namen gab, die zwar bereits bei der Umwandlung vom Prosatext in ein Theaterstück an Bedeutung verlieren musste, die aber im Bühnenbild, wie zum Beispiel die wunderbare Götz-Friedrich-Inszenierung an der Deutschen Oper bewies, durchaus zu ihrem die Atmosphäre prägenden Recht kommen konnte, ebenso die bedrückende Form von Christentum, die dort praktiziert wird. An der Komischen Oper schleppen Schwarzgekleidete mal einen Sarg, mal zehn absolut gleiche Madonnenstatuen über die Bühne (Michael Levine), die übrigens durchweg in allen drei Akten das Schlafzimmer Pauls ist, im zweiten Akt allerdings voller Glitzer und in rosigen Dunst gehüllt. Hier spielt sich dann die Szene mit Marietta und ihrer Truppe ab nebst einigen Herren vom Ballett, und man fühlt sich, wenn die Dame vom Himmel herabschwebt, in einen amerikanischen Revuefilm versetzt. Die Tänzer unterstreichen ihre Bedeutung beim Schlussapplaus noch durch zusätzliche Purzelbäume und ähnlich Akrobatisches. Das Schlafzimmer bewegt sich ebenfalls, im ersten Akt sieht das Publikum das Bett im Hintergrund, im dritten die Rückseite desselben im Vordergrund, ehe sich der gesamte Raum zu drehen beginnt, bis er sein alte Position erreicht hat. Von einem bedrückenden, düsteren Raum kann übrigens nicht die Rede sein, nach neuester Möbelmode der Entstehungszeit der Oper eingerichtet und lichtdurchflutet, gibt er keinen Anlass zur Klage. So auch nicht die hocheleganten Kostüme für Marietta (Petra Reinhardt) oder das, was sie sich aus den Kleiderschränken Maries reißt.
Seinen Einstand als neuer musikalischer Leiter gab Ainǎrs Rubikis (Seit wann steht der Name des Regisseurs auf dem Besetzungszettel vor dem des Dirigenten?), war insgesamt sehr laut, betonte das Plakative, an Filmmusik erinnernde der Partitur d kostete die betörende Eingängigkeit der beiden Schlager „Mein Sehnen, mein Wähnen“ und „Glück das mir verblieb“ genüsslich aus und schwelgte in der spätromantischen Klangflut des frühen Meisterwerks.
Vorzüglich mit wenigen Einschränkungen ist die Sängerbesetzung, wobei letztere in keiner Weise Sara Jakubiak als Marietta betrafen. Bereits als Heliane konnte sie an der DO triumphieren, in der noch anspruchsvolleren Rolle der Marietta war sie optisch ein Traum und vokal mit auch in der Extremhöhe und im Forte stets strahlend, schimmernd, weich und füllig bleibendem Sopran einfach tadellos. Eine sichere Höhe und die Kraft für die extrem schwierige Partie des Paul konnte Aleš Briscein vorweisen, auch wenn es mal ins Falsett ging oder der Registerausgleich nicht durchweg gelingen wollte. Ein leichter Akzent durch Vokaldehnung könnte noch abgestellt werden. Marie Fiselier gab der Haushälterin Brigitta warmen Mezzoklang, Günter Papendell aus dem Ensemble Frank und Fritz gleich dunkle, sonore Töne, so extrem präsent, dass man einen Moment an Verstärkung glaubte.
Die besondere Begeisterung des Publikums galt den beiden Hauptdarstellern. Der teilweise Verlust der Vielschichtigkeit und des Atmosphärereichtums des Romans, aber auch des Librettos wurde von ihm ebenso toleriert wie die manchmal extreme Lautstärke, die aber eher der Absicht des Komponisten als der Ausführung durch den Dirigenten geschuldet ist.
1.10.2018 Ingrid Wanja