Wiesbaden: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2023/24“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach den Bühnen Wuppertal blicken wir heute auf das Staatstheater Wiesbaden.


Die zurückliegende Saison in Wiesbaden stand unter keinem guten Stern. Geplant als Abschiedssaison des scheidenden Intendanten Uwe Eric Laufenberg, der selbst drei „letzte Werke“ inszenieren wollte, nämlich Der Sturm, Die Zauberflöte und Falstaff, schob sich bald ein Konflikt zwischen Intendant und Geschäftsführer in den Vordergrund, der zum vorzeitigen Ausscheiden von Laufenberg führte. Geplante Produktionen wurden gestrichen, andere in der Unsicherheit über eine finanzielle Absicherung improvisiert, zum Teil mit kurzfristig ausgewechseltem Inszenierungsteam. Daß am Ende einige beachtliche Premieren standen, eine ansehnliche Besetzung für den Ring-Zyklus bei der Stange gehalten werden und insgesamt sehr erfolgreiche Mai-Festspiele veranstaltet werden konnten, spricht für ein im Hinblick auf seine Mitarbeiter gut aufgestelltes Haus.

Beste Produktion (Gesamtleistung):
Turandot: Die Produktion prunkt mit dem visuell überwältigenden Einsatz von Video-Projektionen, verfolgt in der Regie einen nachvollziehbaren Ansatz der Verknüpfung von Komponisten-Biographie und Opernhandlung und wartet mit einer guten Vokalbesetzung und tadellosem Einsatz von Orchester und Chor auf.

Größte Enttäuschung:
Henriette Hörnigks Lohengrin-Inszenierung: Unser Kritiker fühlte sich stellenweise an Otto Schenks Opernparodien erinnert.

Beste Wiederaufnahme:
Lady Macbeth von Mzensk: Unser Kritiker berichtete von einer „beeindruckenden Symbiose von Bühnengeschehen und Musik“ und war so begeistert, daß er sich die Produktion mehrmals angesehen hat.

Beste Gesangsleistung (Hauptpartie)

  • Gast:
    Mirko Roschkowski empfiehlt sich als Lohengrin für weitere Einsätze im Wagner-Fach.
    Thomas Blondelle zeigt als Max im Freischütz erneut seine Wandlungsfähigkeit. Bei Webers gebrochenem Helden setzt er seinen baritonal grundierten Tenor wirkungsvoll ein, präsentiert wenn nötig heldenhafte Kraft in der Höhe und bewahrt sich bei alledem die exzellente Textverständlichkeit eines Liedsängers.
  • Ensemble:
    Alyona Rostovskaya als Agathe im Freischütz.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle)

  • Gast:
    Heather Engebretson macht als Liù in Turandot das Regie-Konzept erst möglich, ihre Rolle in den Mittelpunkt zu stellen.
  • Ensemble:
    Romina Boscolo als Mrs. Quickly in Falstaff. Über viele Jahre war sie mit ihrem dunkel timbrierten Alt eine der markantesten Stimmen im Wiesbadener Ensemble. Schade, daß sie ab der nächsten Spielzeit nicht mehr dabei ist.

Bestes Dirigat:

  • Ensemble:
    Albert Horne ist das Schweizermesser des Staatstheaters Wiesbaden. In der Hauptfunktion Chorleiter, daneben in vielen Produktionen auch als Kapellmeister im Einsatz, bei Follies dann als Bandleader und Nebendarsteller. Die Staats- und Stadttheater leben von solchen uneitlen Könnern, die ihren Häusern über viele Jahre die Treue halten und so zu einem Anker der Stabilität werden.

Beste Regie:
Daniela Kerck für Turandot

Bestes Bühnenbild:
Astrid Steiner für ihre Videoprojektionen in Turandot

Beste Chorleistung:
Der Freischütz

Größtes Ärgernis:
Die Streichung von Produktionen durch den Geschäftsführer. Hier wurden Machtspielchen auf Kosten von Publikum und Künstlern gespielt.


Die Bilanz zog Michael Demel.