Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.
Nach dem Staatstheater Wiesbaden blicken wir heute auf die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg.
Beste Produktion:
Paul Abrahams Märchen im Grand-Hotel. Ein Gute-Laune Abend, bei dem alles stimmt. Michaela Dicu liefert eine flotte Regie im tollen Drehbühnenbild von Rifail Ajdarpasic, und Kati Farkas liefert dazu schwungvolle Choreografien.
Regie-Überraschung:
Tatjana Gürbaca beweist bei Jenůfa, dass man auch in einem schwachen Bühnenbild eine einfühlsame und gute Personenführung entwickeln kann.
Regie-Enttäuschung:
Michael Thalheimer war mal ein starker Schauspielregisseur und hat an der Rheinoper auch mit Verdis Otello und Macbeth zwei packende Inszenierungen präsentiert. In dieser Saison bringt er mit Wagners Parsifal und Tschaikowskys Eugen Onegin zwei langweilige Inszenierungen heraus, in der die Sänger nur herumstehen und ihre Partien absingen. Teilweise wird das sogar als „konzentriert-reduzierte Regie“ gefeiert.
Schwächste Bühnenbilder:
Henrik Ahr liefert zu Tschaikowskys Eugen Onegin und Janaceks Jenůfa zwei austauschbare Fließbandarbeiten zum Thema „enge dörfliche Gemeinschaft, der niemand entkommen kann“ ab.
Beste Ensemble-Sänger:
- Elena Sancho Pereg als überdrehte Eurydike in Orpheus in der Unterwelt.
- Maria Kataeva als Koloraturkönigin in La Cenerentola und Romeo in einer konzertanten Aufführung von Bellinis I Capuletti E I Montecchi. Außerdem zeigt sie sich von ihrer dramatischen Seite in Tschaikowskys Die Jungfrau von Orleans.
- Bogdan Talos beeindruckt mit profundem Bass als Gremin in Eugen Onegin und Basilio in Il Barbiere Di Siviglia.
Beste Gäste:
Die Deutsche Oper am Rhein verfügt mit 49 Sängern über das größte Ensemble weit und breit, besetzt aber trotzdem in jeder Produktion diverse Hauptrollen mit Gästen.
- Daniel Frank als Parsifal.
- Joachim Goltz als Klingsor.
- Levy Sekgapane als Lindoro in L´Italiana in Algeri.
Starke Wiederaufnahmen:
- Mit Jean-Pierre Ponnelles La Cenerentola (1974) und Ottos Schenks Der Rosenkavalier (1981) gibt es zwei unübertroffene Klassiker aus dem Rheinopern-Repertoire.
- Über ein Wiedersehen freut man sich auch bei Emilio Sagis Regimentstochter, Christof Loys L‘Italiana in Algeri (2001) und Guy Jostens Dialogues Des Carmélites (2010).
Langweilige Uraufführung:
Manfred Trojahns Septembersonate ist mit vier Gesangspartien und dem kleinen Orchester für das Düsseldorfer Opernhaus viel zu groß, gleichzeitig bleibt die Umsetzung einer Novelle von Henry James zu undramatisch und rätselhaft. Trojahns Opern Was ihr wollt und Orest sind da wesentlich mitreißender. – Wieder mal ein neues Stück, bei dem es nur um die Uraufführung geht und das nicht nachgespielt werden wird.
Spannende Zukunft:
- Wird das neue Opernhaus wirklich auf dem Grundstück der alten Tonhalle am Werhan gebaut oder verhindern die Düsseldorfer Lokalpolitiker einen angemessenen Opern-Neubau für die Landeshauptstadt?
- Wer wird 2027 Nachfolgerin von Intendant Christoph Meyer? Spätestens im Sommer 2025 muss der Posten neu besetzt werden. Nach fünf männlichen Chefs könnte die Rheinoper auch mal eine Frau an der Spitze vertragen.
- Wer wird 2027 Nachfolger von Interims-GMD Vitali Alekseenok? Da jeder neuer Rheinopern-Intendant seinen eigenen GMD mitbringt, wird es 2027 auch einen neuen GMD geben.
Die Bilanz zog Rudolf Hermes.