Uraufführungen neuer Opern sind immer etwas ganz Besonderes, denn in einer Spielzeit gibt es im ganzen Land nur wenige davon. Oft werden diese Auftragswerke zudem nur an wenigen Abenden gespielt, und so war es nicht verwunderlich, dass bei der Uraufführung der Septembersonate von Manfred Trojahn der eine oder andere Intendant im Publikum saß. Schließlich gehören Trojahns Opern zu den wenigen neuen Opernwerken, die gelegentlich sogar von anderen Opernhäusern in den Spielplan übernommen werden. In seinem neuesten Werk widmet sich der Komponist und Autor – auch das Libretto stammt von Manfred Trojahn frei nach der Erzählung The Jolly Corner von Henry James – der Frage: Wer wäre ich geworden, wenn ich damals anders gehandelt hätte?
Osbert Brydon hatte sich in seiner Jugend gegen die ihm zugedachte Rolle als Nachfolger in der erfolgreichen New Yorker Kaufmannsfamilie entschieden und war stattdessen nach Europa ausgewandert. Dort startete er seine Karriere als erfolgreicher Schriftsteller. Nach über 30 Jahren kehrt Osbert nun an den Ort seiner Kindheit zurück, um sein Erbe anzutreten. Hierbei trifft er auf Ellice Staverton, seine große Liebe aus Kindertagen. Ellice ist inzwischen als Schauspielerin tätig. Nachdem sie erwähnt, dass sie sich auf der Stelle in ihn verliebt hätte, wenn sie ihn doch so getroffen hätte, stellt Osbert sich die Frage, was hinter dem kleinen Wort „so“ stecken mag. Hätte er jemand anderes sein können und gäbe es vielleicht sogar ein anderes Ich? Diese Gedanken steigern sich zur Eifersucht auf den anderen Osbert, so dass er am Ende einen inneren Kampf des Gierigen gegen den Egoisten führt.
Diese kurze Zusammenfassung zeigt bereits, dass die Septembersonate als Kammerspiel für zwei Personen konzipiert ist. Hinzu kommen in kleineren Rollen die Haushälterin Mrs. Muldoon und Osberts Alter Ego, das ebenfalls mit einem Sänger besetzt ist. Auch die Musik ist mit 15 Musikern im Graben durchaus kammermusikalisch angelehnt, entfaltet aber durchaus den Klang eines vollen Orchesters. Unter dem Dirigat von Vitali Alekseenok, ab der kommenden Spielzeit neuer Chefdirigent der Deutschen Oper am Rhein, spielen die Musiker sehr harmonisch auf. Da die Streicher ohne Violinen auskommen müssen, erklingt die Oper in einer eher düsteren fast schon morbiden Tonsprache, die zudem immer wieder auf Dissonanzen setzt. Dies verleiht dem Abend seinen eigenen durchaus eindrucksvollen Klang , der allerdings fern von einer größeren Massenkompatibilität liegen dürfte. Einzelne Zuschauer verließen bereits nach 15 Minuten den Theatersaal. Gesanglich gibt es ebenfalls nichts auszusetzen. Holger Falk und Juliane Banse wissen als Osbert und Ellice durchaus zu gefallen und auch Roman Hoza (Osbert II) und Susan Maclean (Mrs. Muldoon) holen aus den beiden kleineren Rollen das Bestmögliche raus.
Problematisch ist jedoch die Handlung als solche, die leider über 90 Minuten (die Oper wird ohne Pause gespielt) zu keinem Zeitpunkt eine eigene Dramatik zu entfalten vermag. Die sechs Szenen plätschern mehr oder weniger vor sich hin. Statt eines Spannungsbogens durchzieht den Abend eher eine quälende Länge. Daran kann auch die Inszenierung von Johannes Erath nicht viel ändern. Ja, diese ist durchaus ansehnlich und Heike Scheele steuert ein imposantes Bühnenbild bei, in dem sich die Räume immer wieder geschickt öffnen und schließen. Auch die Videoeinspielungen von Bibi Abel sind als sehr hochwertig und gelungen einzustufen. Und trotzdem scheint es irgendwie einer dieser Abende zu sein, bei dem aus vielen guten Einzelteilen, dann doch irgendwie nicht dieser ganz große Opernabend wird, der er vielleicht hätte sein können. So spendet das Premierenpublikum am Ende zwar allen Akteuren höflichen Applaus, in den sich auch der eine oder andere Bravo-Ruf mischt, doch von Euphorie ist nichts zu spüren.
Markus Lamers, 4. Dezember 2023
Septembersonate
Oper von Manfred Trojahn
Deutsche Oper am Rhein, Opernhaus Düsseldorf
Uraufführung: 3. Dezember 2023
Inszenierung: Johannes Erath
Musikalische Leitung: Vitali Alekseenok
Düsseldorfer Symphoniker
Weitere Aufführungen: 9. Dezember / 14. Dezember / 29. Dezember / 3. Januar / 14. Januar / 27. Januar