Seit 2022 leitet Boris Charmatz das Tanztheater Pina Bausch, welches bisher ein neues Stück von Charmatz produziert hat und vor allem die Werke seiner Namenspatronin pflegt. Zwischen dem 24. Januar und dem 02. Februar war acht mal Água zu sehen. Im April wird dieses kleine Pina Bausch Festival ergänzt um „Die sieben Todsünden“ (8 x zwischen 12.-21. April 2025)). « Água » war jetzt als erste Wiederaufnahme unter seiner Ägide im Barmer Opernhaus zu sehen. Für Authentizität sorgten Barbara Kaufmann, Daphnis Kokkinos, Azusa Seyama-Prioville, Robert Sturm, die die Proben leiteten Das Stück entstand 2001. Wie so oft gab es für das nach der Brasilienreise der Companie entstandene Stück zunächst erstmal keinen Namen.
„Mein künstlerisches Mittel ist der Körper und seine Bewegung der Tanz und alles, was hilft besser ausdrücken, was mich bewegt. Täglich sind wir in aller Offenheit auf Entdeckungsreise zu uns selbst und zur Welt um uns herum“ so charakterisierte Pina Bausch ihr tänzerisches Werk. Im Fall von „Água“ ging diese Entdeckungsreise der Compagnie ursprünglich bis nach Braslien. Die heutigen jungen Tänzerinnen und Tänzer haben das Bewegungsmaterial der Congadas und Capoeras nicht selbst gesehen und erlebt, was die durchweg gelungene Integration desselben in eigene Bewegungsabläufe sicher erschwert hat.
Die leere weiße Bühne statt Felsbrocken, Wasserfall, oder umstürzende Riesenmauer früherer Stücke überrascht zu Beginn. Dann bieten grüne, im Starkwind schwankende Palmen an der See, flüchtige, sehr bewegte, schwindelerregende Bilder, die mit hoher Relativgeschwindigikeit zu den Tanzenden das Tempo auf der Bühne weiter steigern. Und zu Beginn erzählt Julie Shanahan in elegantem gelbem, leichtem Seidenkleid, Geschichten, u.a. über ihre Beinkrämpfe. Dann tanzt ein Männerpaar strikt synchron über die Bühne, die sich auf halber Baumhöhe zu befinden scheint. Eine andere Tänzerin schleudert mit ihrem Fuß einen schweren Männerschuh in die Höhe , und verfasst für Zuschauer ein Wetterorakel ihres Wohnortes. Julie Shanahan, inzwischen in grüner Seide, wollte immer schon mal ein Tischbein absägen. Ihr frustranes Wollen endet im Verzweiflungsschrei. Acht Tänzer, Miniaturen ihrer selbst vor fast bühnenhausgroßen Trommlern, tragen zu hartem Rhythmus eine zierliche Tänzerin umher. Fantasievolle, opulente Bilder wechseln ab. Man tanzt im Urwald, im blauen Himmel, trägt Sektgläser, Kuchen und Torten auf dem Kopf umher, verteilt Snacks unter das Publikum. Immer wieder sind brillante Soli eingestreut. Drei nackte Nixen schwimmen im Fluss, vom Aspekt her mit den Rheingoldnixen in Richard Wagners „Ring“ nicht zu vergleichen. Berühmt ist die Szene mit heller langer Wohnlandschaft, in flachem Halbkreis gereihte etliche Zweisitzer Sofas, auf denen man sich lümmelt. Die Maskierung mit bebilderten Handtüchern vor dem Körper, die alle in Nackte oder nur mit Slip Bekleidete zu verwandeln scheint, verfehlt auch 24 Jahre nach der Uraufführung ihre Wirkung nicht. Da zeigt sich der nächtliche Mond über Sanddünen. Später wird zwischen riesigen Flamingos getanzt, oder dann auch auf gleicher Höhe und in Konkurrenz zwischen im Urwald turnenden Affen. Wunderbar die große Raubkatze in der grünen Hölle(Tiger gibt es nicht in Brasilien !). Die Projektionstechnik beim Bühnenbild erweist sich als außerordentlich ergiebig, auch wenn später über dem Amazonas oder vor, in und über den Iguazú Wasserfällen getanzt wird. Der bei Pina Bausch früher dominante Geschlechterkampf weicht hier einem lockeren Umgang miteinander. Männer schnüffeln in der Ellenbeuge, am Hals, der schönen extrem elegant in bunte Seidenkleider gekleidete Tänzer was nicht vollständig unangenehm angenommen wird. Die Frauen wedeln mit ihren Kleidern, um die Männer zu reizen, die aber , wenn hoch geschlagene Kleider den Blick völlig völlig frei geben, desinteressiert vorbei gehen. Die Frauenkostüme sind durchweg einfach schöner als die der Männer in ihrem Alltagsanzug und harmloser Bade- oder Unterhose.
Man neckt sich, amüsiert sich, tanzt die Banalität der Spaßgesellschaft um die Jahrtausendwende bei höchst virtuosem, ideenreichem Bewegungsluxus zu den musikalischen Kollagen aus Schlager, Jazz, und Popp bis hin zu den Tiger Lillies als Ballettmusik, eher Operette als Operndrama. Aber billige Anmache (köstlich Fernando Suels-Mendoza mit „Hallöchen“ und „Mariechen“) verfing schon damals nicht. Melancholie und Ernst der Congadas (Alt brasilianische Volkstänze) und Capoeiras(Kampfsport der Sklaven) sind im Stück kaum zu finden, ihr Bewegungsmaterial und Temperament umso mehr.
Nach der Pause werden einige Szenen im Sinne einer Reprise wiederholt. Das Ganze endet in ausgelassenem Prusten, Pusten, per Mund umherspritzen von Wasser und einem ausgelassenen Sitztanz der Compagnie auf Bistrotischen. Auch mit den neuen jungen Tänzerinnen und Tänzer verführt „Água“ in der Mischung aus Tanz, Revue und Slapstick das wieder begeisterte Publikum, welches lange frenetischen Applaus stiftete.
Johannes Vesper 3. Januar 2025
Dank an unsere Freunde von den MUSENBLÄTTERn
Agua
Pina Bausch
Barmer Opernhaus
Aufführung am 31.Januar 2025