Basierend auf der Filmkomödie Tootsie aus dem Jahr 1982, in der Dustin Hoffman die Hauptrolle übernahm und die 1983 immerhin zehn Oscar-Nominierungen verzeichnen durfte, schufen David Yazbek und Robert Horn erst viele Jahre später ein Musical, welches nun am 26. Oktober 2025 in Bonn eine umjubelte Premiere feierte. Die Uraufführung des Stücks fand im September 2018 in Chicago statt, 2019 folgte die Premiere am Broadway, die unter anderem mit einem Tony Award für das beste Buch ausgezeichnet wurde. Die europäische Erstaufführung von Tootsie folgte am 7. Juli 2022 am Gärtnerplatztheater in München in einer absolut sehenswürdigen Inszenierung von Gil Mehmert. Durch eine Kooperation zwischen dem Staatstheater am Gärtnerplatz und dem Theater Bonn ist diese Inszenierung nun auch in Nordrhein-Westfalen zu sehen, wenngleich das Theater Bonn hierbei von einer Neuproduktion spricht. Dies spiegelt sich wohl vor allem in den neuen Kostümen von Claudio Pohle und den Choreografien von Faye Heather Anderson wider. Glücklicherweise konnte das tolle Bühnenbild von Judith Leikauf und Karl Fehringer weitestgehend aus München übernommen werden. Auch die humorvolle und pointierte Inszenierung Mehmerts, die trotz des vorhandenen Humors auch die tragischen Momente des Stücks wunderbar trifft, ist in Bonn in weiten Teilen mit München identisch – und das ist auch gut so.

Yazbek und Horn verlegten die Geschichte des Films 2018 für die Musicalversion von der Produktion einer Fernsehserie ins Theater. Michael Dorsey ist entsprechend ein Theaterschauspieler, der aufgrund seiner rechthaberischen Art keine Anstellungen mehr bekommt. Er streitet zu gerne mit Regisseuren, um seiner jeweiligen Rolle mehr Tiefgang und Glaubwürdigkeit zu verschaffen, was von diesen nicht gerne gesehen wird. Seine Freundin Sandy, die ebenfalls eine recht erfolglose Schauspielerin ist, erzählt ihm eines Tages von einem neuen Musicalprojekt, in dem die Geschichte von Romeo und Julia neu und unkonventionell interpretiert wird. Da die Darstellerin der Amme ausgefallen ist, wird dringend eine neue Besetzung gesucht. In seiner Verzweiflung verkleidet sich Michael als Frau und nimmt unter dem Namen Dorothy Michaels an dem Casting teil. Nicht zuletzt aufgrund seiner Ideen, die Frauenrollen im Stück aufzuwerten, gewinnt er die Gunst der Produzentin Rita Marshall und erhält die Zusage für die Rolle der Amme. Sandy geht erneut leer aus. Durch seine Rolle als Frau werden Michaels ständigen Verbesserungen plötzlich als originell statt nervig angesehen. Das Musical wird sogar von Julias Wahre Flamme in Julias Wahre Amme umbenannt. Doch schon bald wird es für Michael zunehmend schwerer, sein Doppelleben aufrechtzuerhalten – vor allem, da er sich auch noch in seine Kollegin Julie verliebt, die die Rolle der Julia verkörpert.

All diese Verwicklungen bringt Tootsie auf sehr humorvolle Weise auf die Bühne. Selten erlebt man in einem Musical derart viele herrlich komische Momente. Dennoch schwingt auch stets ein tragischer Aspekt mit, wie z. B. der Umstand, dass Männer und Frauen im Theaterbetrieb nicht immer gleich behandelt werden – inklusive eines übergriffigen Regisseurs. Dass die Kombination aus durchaus tiefgründigem Theater und wunderbarem Humor bei Tootsie so gut funktioniert, liegt sicherlich auch an der gelungenen Übersetzung von Roman Hinze. Er hat sowohl die Sprech- als auch die Gesangstexte komplett ins Deutsche übertragen. Darüber hinaus strahlen alle Darsteller und Darstellerinnen auf der Bühne eine enorme Glaubwürdigkeit aus und wirken stets authentisch in ihren Rollen. Dies ist auch der hervorragenden Besetzung zu verdanken, die diesen Abend zu einem großen Musical-Highlight werden lässt. Julian Culemann gelingt der Spagat zwischen Michael Dorsey und Dorothy Michaels ganz wunderbar, ohne hierbei auch nur im Ansatz klamaukig zu wirken. Im Gegenteil: Gerade diese Rolle besitzt eine ungeheure Vielschichtigkeit, die Culemann mit seinem facettenreichen Schauspiel hervorragend auf die Bühne bringt. Zudem gelingen ihm die hohen Töne in den Gesangsrollen der Dorothy prächtig. An seiner Seite steht mit Bettina Mönch als Julie Nichols eine große Musicaldarstellerin, die in der vergangenen Spielzeit u. a. als Elisabeth auf großer Deutschlandtour zu sehen war.

Für große Lacher sorgt Vera Bolten in der Rolle der Sandy Lester vor allem mit ihrem Song Ich weiß doch, was passieren wird, den sie immer wieder fast schon hysterisch vorträgt, wenn ihr mal wieder nichts gelingen will. Trotz der humorvollen Darbietung tut sie einem gleichzeitig auch leid, da das Pech sie wahrlich zu verfolgen scheint. Der unsympathische Regisseur Ron Carlisle, der für die weiteren großen Humormomente des Abends sorgt, tut einem hingegen gar nicht leid. Wie Daniel Berger diese Figur in seiner extravaganten Art verkörpert, lässt bei den Zuschauern kaum ein Auge trocken. Ein großes Highlight des Abends ist seine Erläuterung der neuen Choreografie für das Musical Julias Wahre Amme. Mathias Schlung ist als Michaels Freund Jeff Slater zu sehen. Im ersten Akt hat diese Rolle fast nur Sprechtexte, sodass sich das großartige Schauspiel Schlungs voll entfalten kann. Nach der Pause darf er dann auch gesanglich glänzen. Jan Nicolas Bastel lässt den Realitystar Max van Horn ganz wunderbar dümmlich agieren, ohne die Rolle zu sehr ins Lächerliche zu ziehen. Stattdessen bleibt auch diese Rolle authentisch und sympathisch. Abgerundet werden die Solobesetzungen durch Susanna Panzner als Produzentin Rita Marshall und Michael Ophelders in der Doppelrolle von Michaels Agent Stan Fields und dem Inspizienten Carl, die beide ihre Rollen ebenfalls hervorragend verkörpern. Zehn weitere Darstellerinnen und Darsteller im Ensemble sorgen für große Gruppenchoreografien und viel Bewegung auf der Bühne. Jürgen Grimm schafft als musikalischer Leiter einer 18-köpfigen Band den passenden Sound des Abends. Insgesamt sind Yazeks Kompositionen vielleicht keine großen Ohrwürmer, dafür sorgt die Musik in den knappen drei Stunden Aufführungsdauer für eine stimmige Gesamtatmosphäre, bei der in bester Broadway-Manier sowohl herausstechende Solostücke als auch große Ensemblenummern vorhanden sind.

Mit dem Musical Tootsie gelingt dem Theater Bonn einmal mehr ein großer Hit, der durch Spaß und Tiefgang gleichermaßen überzeugt. Das Publikum am Premierenabend war nahezu euphorisch begeistert. Die Karten für die folgenden Vorstellungen dürften sich nach dieser rundum gelungenen Premiere schnell verkaufen. Auch allen Opernfreunden sei das Stück ans Herz gelegt, welches einmal mehr beweist, dass man wirklich gute Musicals inzwischen an vielen gut aufgestellten Theatern im Land sehen kann. Bonn ist hierbei seit Jahren mit einer jährlichen Musicalproduktion auf höchstem Niveau mehr als ein Geheimtipp, denn die Produktionen dort müssen sich vor keinen großen Ensuite-Inszenierungen verstecken. Das beweist auch Tootsie einmal mehr.
Markus Lamers, 27. Oktober 2025
Tootsie
Musical von David Yazbek (Musik und Gesangtexte) und Robert Horn (Libretto)
Deutsche Übersetzung von Roman Hinze
Theater Bonn
Premiere: 26. Oktober 2025
Inszenierung: Gil Mehmert
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm
Tootsie-Band
Weitere Aufführungen: 8. November, 15. November, 6. Dezember, 13. Dezember, 22. Dezember, 1. Januar, 27. Januar, 14. Februar, 28. Februar, 20. März, 24. März, 28. März, 6. April, 11. April, 16. April, 24. April und 14. Mai