In Bremen wurde Der feurige Engel von Sergej Prokofjew zuletzt 1994 gespielt – damals mit Katherine Stone als Renata und Ron Peo als Ruprecht; inszeniert hatte Peter Konwitschny. Nach über dreißig Jahren kehrt das sperrige und schwierige Werk nun zurück ins Thater am Goetheplatz. Diesmal sind es Nadine Lehner und Elias Gyungseok Han, die in ihren Partien restlos begeistern. Und es sind die Bremer Philharmoniker unter Stefan Klingele, die den Rang dieser Produktion prägen.

Die Oper spielt eigentlich im Jahr 1534 in Köln und Umgebung. Bühnenbildnerin Ines Nadler stellt aber eine Stahlkonstruktion mit der Leuchtschrift „Hotel“ auf die Drehbühne und gibt den Blick auf verschiedene Zimmer, Balkone, ein Treppenhaus oder eine Hotelbar frei. Es ist eine Ästhetik und Atmosphäre, die an Filme von David Lynch oder Hitchcock erinnert. Im Mittelpunkt steht Renata, der als Kind ein feuriger Engel erschienen ist. Ihr ganzes Leben wird fortan von Wahnvorstellungen bestimmt. Im Grafen Heinrich (stumme Rolle) glaubt sie, den entschwundenen Engel wiederzuerkennen. Ihr zur Seite gesellt sich Ruprecht, erst als Beschützer dann als Liebhaber. Auch er ist psychisch gestört, sodass ihre Beziehung nur toxisch sein kann. Regisseurin Barbora Horáková versucht, die Gründe für die sprunghaften, traumatisch bedingten Seelenzustände Renatas (Angst, Sehnsucht, Liebe, religiöser Wahn, Autoaggression) zu verdeutlichen, indem sie mit Kinderzimmer, etlichen Kindern als Double und bunten Bauklötzen kindlichen Missbrauch andeutet. Immer wieder sieht man Videos, in denen „dämonische“ Hände nach Renata greifen. Es gibt auch eine Vergewaltigung und eine blutige Abtreibungsszene.

Historisches Vorbild für ihre Charakterisierung der Renata ist Anneliese Michel, die 1976 (!) nach Exorzismus-Ritualen starb und die an Epilepsie litt. Auch Renata wird in dieser Inszenierung immer wieder von epileptischen Anfällen heimgesucht. Und auch sie wird ein Opfer der exorzistischen Inquisition und endet als Engel mit schwarzen Flügeln. Trotz aller Fantasie der Regisseurin ist es aber nicht immer einfach, die Geschehnisse zu verfolgen und zu entschlüsseln. Manches erscheint denn doch zu überfrachtet.
Nadine Lehner ist für die schwierige und lange Partie der Renata ein Glücksfall. Ihre wie immer bezwingende Bühnenpräsenz, gepaart mit ihrem kraftvollen und ausdrucksreichen Sopran, machen auch dieses Rollenporträt zu einem Ereignis. Daneben zu bestehen ist nicht einfach. Aber Elias Gyungseok Han gelingt es mit seinem sonoren Bariton bestens. Er verleiht dem Ruprecht die hier verlangten ambivalenten Züge überzeugend und fesselnd.

Auch die Leistungen des weiteren Ensembles in verschiedenen Rollen (darunter Nathalie Mittelbach, Ulrike Mayer, Fabian Düberg, Ian Spinetti, Wolfgang von Borries und Christoph Heinrich) lassen keine Wünsch offen. Besonders hervorzuheben ist Jasin Rammal-Rykala mit erzenem Bass als Inquisitor. Der Chor (Karl Bernewitz) sorgt für Glanz und Wucht.
Prokofjews teils filigrane, teils machtvoll auftrumpfende, mitunter von Elementen der Filmmusik durchzogene Musik wird von den Bremer Philharmoniker unter Stefan Klingele mustergültig präsentiert. Die Intensität, mit der die einzelnen Gruppen musizieren, von Streichern bis zu Bläsern, erlebt man nicht alle Tage. Von überwältigender Wirkung sind die rein instrumentalen Zwischenspiele. Flirrende Glissandi, stampfende Orchesterschläge oder mystische Klangflächen – alles wird von Klingele in düsteren oder geheimnisvollen Farben gezeichnet.
Wolfgang Denker, 30. Oktober 2025
Der feurige Engel
Oper von Sergej Prokofjew
Theater Bremen
Besuchte Aufführung am 29. Oktober 2025
Premiere am 26. Oktober 2025
Inszenierung: Barbora Horáková
Musikalische Leitung: Stefan Klingele
Bremer Philharmoniker
Weitere Vorstellungen: 8. und 21. November, 18. Dezember 2025, 14. Januar, 8. und 22. Februar 2026
20. März 2026
