Münster: „Tristan und Isolde“, Richard Wagner

„Eine Demonstration für unsere Oper“ titelte in den „Westfälischen Nachrichten“ vom 12. Dezember 1963 der Musikkritiker Heinz Josef Herbort (später für die ZEIT tätig) seinen Bericht über die damalige Aufführung von Richard Wagners Tristan und Isolde. Dies könnte man auch für die Premiere dieser „Handlung in drei Aufzügen“ vom letzten Sonntag, 2. November 2025, sagen, zumindest was die musikalische Darstellung betrifft. Denn bereits in der „Einleitung“ (so bezeichnet Wagner das Orchestervorspiel) spielte das Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Golo Berg höchst eindrucksvoll beginnend mit den Celli und Holzbläsern zum Erklingen des „Tristan-Akkords“, dann folgte dynamisch abgestimmt und mit langem Atem die riesige Steigerung bis zum hinreißenden fff-Akkord des gesamten Orchesters.

Leider wurde das Publikum davon teilweise abgelenkt durch die Projektion eines Kopfes, wohl von Morold, auf den Bühnenvorhang im Halbdunkel bereits vor Beginn der Aufführung, was das Auffinden der Sitzplätze erschwerte. Dahinter geisterten die Hauptpersonen und ein weißes Reh über die Bühne (Videodesign: Katarina Eckold).

© Thilo Beu

Das Bühnenbild von Dieter Richter zeigte vor einem nur zu ahnenden Wolken- und Meereshintergrund im ersten Aufzug einen viereckigen, bunkerartigen Raum mit Öffnungen für die Chorsänger und einem durchsichtigen Gazevorhang, durch den etwa König Marke und sein Gefolge zu sehen waren. Der zweite Aufzug spielte in einem Treibhaus – in Anlehnung an das von Wagner vertonte Gedicht von Mathilde Wesendonck. Beim Eindringen König Markes gefroren die Treibhausblumen zu Eiskristallen. Der dritte Aufzug zeigte einen jetzt dreieckigen Bunker – sehr sängerfreundlich – mit einer riesigen, zum Ausguck unter der Bühnendecke führenden Treppe. Verbindend für alle drei Bühnenbilder war ein großer goldener Rahmen, der zuerst als eine Art Gefängnis für Isolde und Brangäne diente und sich nach dem vermeintlichen Liebestrank nach oben bewegte. Im zweiten Aufzug umrahmte er über den gesamten Bühnenhintergrund hinweg eine Darstellung des Gemäldes „Das Floß der Medusa“ des französischen Malers Théodor Géricault. Als Parallele zur Gewaltausübung im Stück war das kaum zu erkennen. Zudem mußten Tristan und Isolde manchmal zum Singen auf den Rahmen klettern. Er war zeitweise durchsichtig, sodaß man Brangäne mit der Fackel oder die Mannen von König Marke sehen konnte, wie sie Brangäne belästigten und das erwähnte weiße Reh schlachteten. Da lag der Rahmen dann nur noch verbrannt in der Ecke.

Die alltäglichen Kostüme von Katharina Weissenborn zeigten als Besonderheit für die Liebesszenen Tristan und Isolde in fast gleicher reduzierter Bekleidung, passend auch dank ihrer für Wagner-Sänger schlanken Körper. Es sollte wohl die gegenseitige Überwindung des „Ich“ der Liebenden andeuten.

Regisseurin Clara Kalus sorgte dann in ihrer Darstellung der „Handlung“ für zusätzliche Besonderheiten. So sahen wir etwa in Tristans Krankenbett diesen zunächst als Kind umsorgt von Isolde, die doch eigentlich noch zu Schiff unterwegs nach Kareol war. Als es dann zum Singen kam „flugs tauschte er die Gestalt“ mit dem richtigen Tristan. Um Markes Ausspruch „Tot denn alles“ noch wahrer zu machen, vergifteten sich zum Schluß dieser und Brangäne mit dem Todestrank.

Für die drei Hauptpartien waren Gäste engagiert: Als Isolde verfügte Kristiane Kaiser über strahlende Stimmgewalt, auch für die Spitzentöne, etwa im ersten Aufzug bei „lacht das Abenteuer“ oder „gab er preis“ Die hätte sie gar nicht zu forcieren brauchen. Auch die tiefen leiseren Legato-Passagen der Partie gelangen ihr anrührend. Brad Cooper als Tristan wußte für die Riesen-Partie seine stimmlichen Möglichkeiten passend zu dosieren, sodaß ihm noch genügend Kraft für die Fieberphantasien des dritten Aufzuges blieb. Außerdem war er für einen Wagner-Tenor so textverständlich wie möglich. Das p bei „Urvergessen“ gelang ihm. Mit schwarzgründigem Bass wilde Verzweiflung ausdrückend sang Wilfried Staber den unglücklichen König Marke. Großes Lob verdienen die die Darsteller der beiden weiteren Hauptpartien, die aus dem Ensemble besetzt wurden. Wioletta Hebrowska war eine stimmlich souveräne Brangäne, auch weitgehend textverständlich. Ihre „Habet acht“ Rufe bleiben in Erinnerung. Großes Lob verdiente auch Johan Hyunbong Choi als stimmlich mächtiger Kurwenal. Passend tenoral sang Youn-Seong Shim den jungen Seemann, mit dessen Lied ohne Orchesterbegleitung ja das Stück beginnt. Die kurzen Chorszenen sangen Chor und Extrachor der Herren wie immer passend einstudiert von Anton Tremmel.

© Thilo Beu

Nochmals hervorzuheben ist die musikalische Leitung durch GMD Golo Berg. Die instrumental und harmonisch so vielfältige Orchestrierung und die großen Steigerungen waren bei passendem Tempo mitzuerleben. Dabei versuchte er, die Künstler nicht zu übertönen. Aus dem Orchester muß vor allem gelobt werden das Solo des Englisch-Horns im dritten Aufzug, eindringlich und melancholisch geblasen von Katharina Althen. Aber auch die Soli der Bratsche im ersten und zweiten und der Violine im dritten Aufzug wie auch die der Bass-Klarinette bei Markes Klage waren hörenswert.

Nachdem die letzten Takte des großartig gesungenen „Liebestods“ in der musikalischen Auflösung des Anfangs-Akkords verklungen waren, setzte der Wagner-Premieren-Applaus ein begleitet von Bravos, Pfiffen insbesondere für die Sänger, den Dirigenten und das Orchester als Hauptakteur des Abends, dann auch für das Leitungsteam.

Sigi Brockmann, 4. November 2025



Tristan und Isolde
Richard Wagner

Theater Münster

Premiere am 2. November 2025

Regie: Clara Kalus
Dirigat: Golo Berg
Sinfonieorchester Münster