Köln. „L’art pour l’art“: Die Vorstellung, dass Kunst in einem gesellschaftlich-politischen Vakuum zweckfrei sich selbst genügen könne, wie es französische Theoretiker im 19. Jahrhundert postulierte, war immer eine Illusion und wird sie auch bleiben. Seit langem mischte kein politisches Ereignis die an sich eher gemächliche Klassik-Szene so heftig auf wie der Hamas-Gaza-Krieg. Beginnend mit der feigen Ausladung des jüdischen Dirigenten Lahav Shani von einem belgischen Festival, fortsetzend mit der großen Deutschland-Tournee des Israel Philharmonic Orchestras, bei der man hautnah, quasi vor der Haustür die Konflikte zu spüren bekommt. So auch bei dem Gastspiel des Orchesters unter Leitung seines in Belgien ausgeladenen Chefdirigenten Lahav Shani vor und in der nahezu ausverkauften Kölner Philharmonie.
Sich auf das mit unverdächtigen Werken von Beethoven und Tschaikowsky bestückte Konzert zu konzentrieren, fällt nicht leicht, wenn man vor dem Konzertsaal von pro-palästinensischen und pro-israelischen Demonstranten friedlich, aber lautstark empfangen wird. Garniert mit entsprechend unterschiedlichen Fahnen, begleitet von einem Mammutaufgebot an Polizeikräften. Zu verstehen waren die Reden angesichts des Lärms zwar nicht. Aber die Transparente ließen erkennen, wie dramatisch sich die eingerissenen und nur schwer zu überwindenden Gräben zwischen den Parteien verstärkt haben. Keine leichte Position für ein Orchester, das sich seit seiner Gründung 1936 als „kultureller Botschafter“ Israels versteht und sich den unterschiedlichen Bewertungen seines Landes als Opfer des Hamas-Terrors und als Kriegsverbrecher ausgesetzt sieht. Von den palästinensischen Demonstranten wurde das Orchester als „Botschafter für Israels Völkermordregime“ beschimpft, die jüdischen Demonstranten verharmlosten den Gaza-Einsatz Israels als Verteidigungsmaßnahme.
Mit dem Eintritt in die akustisch gut isolierte Philharmonie schien der Spuk vergessen, als der dem Orchester eng verbundene Pianist Yefim Bronfman Beethovens Fünftes Klavierkonzert anstimmte. Abgeklärt, gleichwohl hellwach, mit fein nuanciertem Anschlag, einer natürlich fließenden Phrasierung ohne effektvollen Showdown perlte das Werk dahin. Eine wunderbare, stimmige und ehrliche Interpretation. Dennoch konnte man sich der Realität selbst im entrückten, wie die Vision eines friedlichen Elysiums anmutenden Adagios nicht ganz entziehen. Man muss sich nur daran erinnern, dass Beethoven diesen Friedensappell komponierte, während die Kanonen Napoleons in Wien einschlugen. Und als jetzt in Köln ein Demonstrant mitten im Satz lautstark seine Parolen in den Saal schrie, zeigte sich erneut, dass Beethovens Wunsch wohl immer eine Utopie bleiben wird.
Bronfman und das Orchester spielten scheinbar ungerührt, aber wirklich nur scheinbar ungerührt weiter, wie es sich für Profis gehört. Leichte, ganz leichte Irritationen zu Beginn des Schluss-Rondos ließen aber darauf schließen, dass solche Attacken niemanden kalt lassen. Auch nicht eine weitere Brüllattacke nach Bronfmans sensibler Schumann-Zugabe. Der Kontrast zwischen Wunsch und Realität, den Beethovens Konzert ins Bewusstsein ruft: Eindringlicher als in Köln kann er einem kaum vor Augen und Ohren geführt werden.
Da das Orchester und sein Chef Bronfman äußerst einfühlsam begleiteten, startete der Abend mit einem künstlerischen Höhepunkt, den man mit Peter Tschaikowskys Fünfter Symphonie nach der Pause nicht erreichen konnte. Zu hören war eine gediegene, klangprächtige Interpretation des effektbetonten Werks mit einem merkwürdig zerdehnten Andante, was selbst den tüchtigen Solo-Hornisten in leichte Atemnot brachte. Schade, dass man sich nicht auf ein tiefgründigeres Werk verständigt ht. Wenn es schon Tschaikowsky sein muss, dann hätte sich eher die Pathétique angeboten. Noch sinnvoller wäre ein Werk eines jüdischen Komponisten gewesen. Wenige Tage zuvor präsentierte das Orchester in der Elbphilharmonie neben einem Strauß „Lieder ohne Worte“ von Mendelssohn als Hauptwerk die Zweite Symphonie von Paul Ben-Haim, der als Paul Frankenburger in München geboren wurde, die Shoah knapp überlebte und das israelische Musikleben wesentlich mitprägte.
Die politisch aufgeladenen Umstände des Konzerts zeigten, wie wichtig solche Gastspiele sind. Unabhängig vom persönlichen Standpunkt können sie ungeachtet aller scheinbar unüberbrückbaren Unterschiede doch ein wenig dazu beitragen, Brücken zwischen Völkern zu bauen. Mehr als mancher medial aufgeblähte Gipfel auf dem mitunter aalglatten und alles andere als rutschfesten politischen Parkett.
Pedro Obiera, 7. November 2025
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Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73
Peter Iljitsch Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64
Philharmonie Köln
Konzert am 5. November 2025
Yefim Bronfman, Klavier
Dirigat: Lahav Shani
Israel Philharmonic Orchester