„Die erste Oper, die ich hörte, war Lohengrin. An diesem Tag begann meine Liebe zu Wagner.“ Dieses Zitat Hitlers aus Mein Kampf fasst den gedanklichen Ausgangspunkt der Neuinszenierung von Lohengrin am Badischen Staatstheater Karlsruhe treffend zusammen. Wagner und Hitler – eine Verbindung, die sich nicht lösen lässt.
Richard Wagners Antisemitismus ist hinlänglich belegt, ebenso die Vereinnahmung seiner Musik durch die Nationalsozialisten. Doch auch Winifred Wagner, die Schwiegertochter des Komponisten und Leiterin der Bayreuther Festspiele von 1930-44, machte sich auf ihre Weise durch ihre hingebungsvolle Verehrung und durch direkte finanzielle Unterstützung Hitlers mitschuldig. So war es auch im Jahre 1923, als dieser das Grab des „Meisters“ in Bayreuth besuchte. Wagners Kunst wurde für ihn zur Offenbarung; Bayreuth betrachtete er gern als „geistige Heimat“, was ein weiteres Zitat aus seinem Buch bestätigt: „Was ich in Bayreuth hörte, war ein Erlebnis, das mich mein ganzes Leben nicht verlassen sollte.“

Eine Replik Wagners Grabs, wie es sich hinter der Bayreuther Villa Wahnfried befindet, steht in der Karlsruher Inszenierung beständig im Zentrum des Geschehens. Das Grab wird zum Dreh- und Angelpunkt – Erinnerungsort und Mahnmal zugleich, ja fast eine heilige Pilgerstätte, wie sie auch Hitler deutete und besuchte. Regisseur Manuel Schmitt rückt Themen wie Führerkult, die fatale Korruption einer Gesellschaft und die Vergänglichkeit politischer Systeme – insbesondere antidemokratischer und menschenverachtender Systeme – ins Zentrum seiner Produktion. Ausgangspunkt ist ein Land in Trümmern: Verbrannte Erde, wohin man blickt. In einem heruntergekommenen, fast vollkommen zerstörten Parlamentsgebäude, das ebenso gut ein Gerichtssaal sein könnte, rotten sich die Hinterbliebenen zusammen – ob Sieger oder Besiegte wird, bewusst unklar gelassen. Sie nutzen diesen politischen Limbo, die Zeit zwischen den Systemen, um die Grenzen eines rechtsfreien Raums auszuloten. Es ist ein Versuch, ein neues, besseres System zu errichten.
Das plötzliche Erscheinen Lohengrins, eines Unbekannten, ein Niemand, der aus der Menge des Publikums hervortritt, verhindert schließlich die Verurteilung und Hinrichtung Elsas. Sofort zieht dieser Fremde Aufmerksamkeit auf sich – mit seiner besonderen Art zu sprechen, seiner suggestiven Rhetorik, seinem Talent, Massen zu begeistern, anzuführen und durchzugreifen. Die Parallelen sind evident.
Der politisch-religiöse Eifer, der von ihm ausgeht, findet rasch Nachahmer, und ehe man sich versieht, wird die Gesellschaft gleichgeschaltet, unliebsamer „Elemente“ entledigt man sich ohne Zögern. Ortrud und Telramund, denen die Gunst des Königs entzogen wurde, landen mitsamt ihrem Hausrat auf der Straße. Das dunkle Paar, scharf kontrastiert zur blonden Elsa („dein goldenes Haar Margarete“), ruft unweigerlich die Bilder unzähliger jüdischer Familien wach, die ein ähnliches Schicksal ereilte. Und es dauert nicht lange, bis eine entfesselte Meute sich über ihre letzten Habseligkeiten hermacht. Man könnte dem Regisseur hier vorwerfen, gefährliche Stereotypen zu reproduzieren.
Ästhetisch jedoch balanciert Schmitt geschickt zwischen einer gewissen Verallgemeinerung – im Sinne, dass viele Systeme nach einem Schema F steigen und fallen – und einer sehr deutlichen Kritik an der NS-Ideologie. Die an die Idealstadt Germania erinnernden Bühnenbauten oder das dem Führer zugewandte Reichsparteitagsmarschieren sprechen eine klare Sprache. Lohengrin selbst wirkt hingegen – fast verharmlosend – wie in diese Ideologie hineingeworfen. Die Frage drängt sich auf: Wird man als Führer geboren, oder wird man zum Führer gemacht? Mit distanzierter Unschuld und vermeintlich guten Intentionen scheint er das neue Reich retten zu wollen. Hier driften Libretto und Regiekonzept jedoch spürbar auseinander.
Mirko Roschkowski als Lohengrin ist ein Anlass, für diese Aufführung auch eine weitere Anreise nach Karlsruhe auf sich zu nehmen. Denn Roschkowskis Gesang ist weit entfernt von manch‘ einem Wagnergebrüll, wie man es andernorts erleiden muss. Seine Stimme ist zart und einfühlsam, gesegnet mit wunderschönem Timbre. Roschkowski hat sich eine klare Diktion erarbeitet, wie man es sonst nur von einem Tamino gewohnt ist und wie es bei Wagnerpartien heutzutage zur Seltenheit geworden ist. Und obgleich seine eher lyrisch angehauchte Tenorstimme nicht das größte Klangvolumen entfaltet, baut sie dank makelloser Technik auf einem soliden Fundament. Für den Wagnergesang ist Roschkowski eine Offenbarung.
Der Generalmusikdirektor Georg Fritzsch führte seine Badische Staatskapelle mit dichtem, schlankem Klang, welcher dem Ensemble, und besonders der feinfühligen Stimme Mirko Roschkowskis den ihre notwendigen Raum zur Entfaltung gab. Das Orchester folgte ihm mit Präzision, auch wenn die großen Massenszenen etwas stärker charakterisiert werden können, so berührte Fritzschs Interpretation besonders in den ruhigeren, intimen Momenten des Musikdramas mit magisch, sehnsuchtsvollen Klängen. Der Badische Staatsopernchor, verstärkt durch den Extrachor, brillierte in gewohnter Qualität und war szenisch präsent durch sein glaubhaftes Spiel.

Mit Ausnahme der Titelpartie konnten alle weiteren Rollen aus dem Ensemble des Staatstheaters besetzt werden. Pauliina Linnosaari glänzte als Elsa mit klarer, heller Sopranstimme und stand in starkem Kontrast zur dämonisch, wie charakterstarken Ortrud von Ks. Barbara Dobrzanska, beide mit starker Bühnenpräsenz. Kihun Yoon zeichnete mit schwarzer Baritonstimme einen sehr wuchtig, überaus aggressiven, dennoch etwas unverständlichen Telramund. Konstantin Gorny als König Heinrich war bedauerlicherweise leicht erkältet. Aber so routiniert und souverän wie von ihm gewohnt, überzeugte der Bass, welcher von Hagen bis Daland nun alle bedeutenden Wagner-Basspartien in Karlsruhe verkörpert hat – auch trotz seiner Indisposition.
Manuel Schmitts Lohengrin zeigt, wie schnell und fatal eine vulnerable Gesellschaft mit einer starken Führerpersönlichkeit aufsteigen, aber auch selbstzerstörerische Kräfte entfalten kann. Der Wunsch nach einem Führer, einem Erlöser, spielt dabei eine zentrale Rolle. Dieser Lohengrin in Karlsruhe wird so zu einem exemplarischen Ausdruck kollektiver Wünsche und Ängste – mit all seinen Möglichkeiten, aber ebenso seinen verheerenden Folgen.
Alexandra und Phillip Richter, 26. November 2025
Besonderer Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom OPERNMAGAZIN
Lohengrin
Richard Wagner
Staatstheater Karlsruhe
Vorstellung am 22. November 2025
Premiere am 16. November 2025
Regie: Stefan Herheim
Dirigat: Georg Fritzsch
Badische Staatskapelle