Überinszeniert!
Die Bayerische Staatsoper München ging mit der Entscheidung im Januar 2023, die Barock-Oper „Dido and Aeneas“ von Henry Purcell aus dem Jahre 1688/89 mit dem Monodram in einem Akt „Erwartung“ von Arnold Schönberg an einem Abend zu kombinieren, sicher ein gewisses Risiko ein. Innerhalb von nicht einmal zwei Stunden bei einem pausenlos gestalteten Abend mit einem von Pawel Mykietyn komponierten Interlude zwischen beiden Werken vom britischen Barock in den Expressionismus und die Moderne von 1909 zu wechseln, ist recht ungewöhnlich.

So ungewöhnlich wie die die Inszenierung von Krzystof Warlikowski in Bühnenbild und Kostümen von Malgorzata Szcześniak und mit wieder einmal überbordenden Videos von Kamil Polak. Es wäre nicht Warlikowski, wenn er nicht selbst für „Dido und Aeneas“ eine völlig ungewöhnliche Herangehensweise wählen würde, die mit allem anderen, nur nicht mit Barock zu tun hat. Und so war es denn auch. Das Stück wurde fast bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Der Regisseur stellt einen ultramodernen Bungalow mit zwei Räumen und einem riesigen Video-Bildschirm darüber in einen von Schneetreiben durchwehten düster dräuenden Wald aus dunklen Nadelholz-Baumstämmen. Immer wieder kommen bei den vielfältigen emotionalen und surrealen Assoziationen und Gedanken Didos dunkle Männer in dem Wald hervor, die aber nur von ihr gewahrt werden und offenbar Halluzinationen sind. Ein, zwei Mal läuft auch ein Reh hindurch…
Das ganze Bild wirkt etwas surreal, durchaus zum Stück passend, und würde an sich noch einen gewissen, dem Werk entsprechenden Eindruck machen, wenn nicht die ganze Oper hindurch eine Truppe des Opernballetts der Bayerischen Staatsoper um die Sorceress herum auf schlichten Camping-Möbeln Platz nehmen und sich allerlei banalen Aktivitäten hingeben würde. Dido ist bei Warlikowski eine äußerst labile Frau, die offenbar von Beruhigungsmitteln abhängt. Aeneas ist ein abgehalfterter Hippie mit langen Haaren, der eigentlich Dido gar nicht recht liebt und eher der lebensverbundeneren Belinda zugeneigt ist. An sich scheint er in dieser Inszenierung nicht recht zu wiesen, was er eigentlich will, ganz abgesehen von seiner politischen Sendung in Rom, von der hier ebenso wenig herüberkommt wie von der Tatsache, dass Dido eigentlich die Königin von Karthago sein sollte… Mit einer solchen Regie geht jeder historische und auch ästhetische Bezug zum Stück Henry Purcells verloren. Und bei aller Bebilderung, im Prinzip zu viel auch mit manchen Videos, die einen unter anderem rasend durch einen Tunnel führen, verflacht der Abend theatralisch recht schnell. Grotesk wird es, wenn Dido ausgerechnet bei ihrer großen Arie „When I am laid in Earth“, in einen roten Schlafsack eingeschlossen wird, der natürlich an einen Leichensack erinnert… Musste das sein?

Ungewöhnlicher, um es diplomatisch auszudrücken, wird es noch, wenn statt einer Pause nach „Dido and Aeneas“ aus dem Lautsprecher ein Interlude von Pawel Mykietyn mit einigen Ansagen erklingen, zu dem das genannte Ballett sich in zeitweise wildem Break Dance ergeht (Choreographie: Claude Bardouil) und in einem LGBTQIA+ – Format schillert, mit fast allem, was dazu gehört. So wurde zumindest an diesem Abend klar, warum auf dem Dach des Nationaltheaters die erleuchtete Regenbogen-Fahne mit der Überschrift „Dreams and Dramas“ prangte. Hier verließen einige Zuschauer bereits das Parkett. Unterdessen wechselte im Graben das Orchester, insbesondere auf die Continuo-Instrumente Theorbe, Barockgitarre, Violoncello und Cembalo, die daraufhin sehr gut musizierten.
In der anschließenden „Erwartung“ von Arnold Schönberg ging es im selben Bild weiter. Die Frau, die hier über ihren Verlust nachdenkt, hält sich dabei überwiegend in dem Bungalow auf. Das war in der Neuinszenierung von Peter Sellars bei den Salzburger Festspielen Ende Juli dann viel besser und geschmackvoller zu sehen. Weniger hätte an diesem Abend wieder einmal mehr sein können. Es kam bei vielen doch der Eindruck auf, dass der riskante Spagat zwischen diesen beiden Einaktern aus ganz unterschiedlicher Zeit nicht gelungen ist.

Sängerisch und musikalisch sah es hingegen sehr viel besser aus. Sonya Yoncheva war eine Luxusbesetzung und damit in der Tat festspielgerechte Besetzung der Dido und beeindruckte mit ihrem warm strömenden und perfekt geführten Sopran. Günter Papendell gab den Aeneas mit einem kräftigen Bariton, aber nicht immer klangschön gesungen. Erika Baikoff überzeugte als Belinda mit einem ausdrucksstarken Sopran. John Holiday bestach als Sorceress (Hexer) durch einen sehr kantablen Countertenor. Rinat Shaham war eine gute Venus, und Elmira Karakhanova gab die First Witch.
In „Erwartung“ war Sara Jakubiak sowohl mit ihrer beeindruckenden Rolleninterpretation wie stimmlich eine sehr gute Frau und wurde wie Sonya Yoncheva zu Schluss begeistert gefeiert. Valentin Uryupin dirigierte das Bayerische Staatsorchester und den von Christoph Heil einstudierten Chor und Zusatzchor der Bayerischen Staatsoper mit großem Verständnis für die vielen Zwischentöne und subtilen Momente der beiden Stücke. Er konnte aber auch gute dramatische Akzente setzen. Lang anhaltender Applaus für alle Akteure.
Klaus Billand, 1. September 2025
Dido and Aeneas … Erwartung; Henry Purcell, Arnold Schönberg
Münchner Opernfestspiele
Besuchte Aufführung am 16. Juli 2025
Premiere: 29. Januar 2023
Inszenierung: Krzystof Warlikowski
Musikalische Leitung: Valentin Uryupin
Bayerisches Staatsorchester