Berlin, Ballett: „Wunderkammer“, Marcos Morau

Im April des vergangenen Jahres hatte der spanische Choreograf Marcos Morau, Artist in Residence der Berliner Compagnie, mit seinem Ballett Overture eine erste Uraufführung präsentiert. Nun folgte am 31. 10. 2025 mit Wunderkammer seine zweite Arbeit, gleichfalls eine Neuschöpfung. Beim Titel denkt man an die in der Renaissance entstandenen Kuriositätenkabinette, doch ließ sich der Choreograf vom Berliner Nachtleben und den Kabaretts der Weimarer Republik inspirieren. Wieder arbeitete er mit dem Bühnenbildner Max Glaenzel und der Kostümdesignerin Silvia Delagneau zusammen. Vor allem letztere bedient den Ausflug in die Halbwelt mit ihren Kreationen, die keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machen. Die Trikots sind beschriftet oder tätowiert und mit Glitzereffekten appliziert. Lederriemen mit Nieten über der Brust verweisen auf Requisiten in SM-Studios, Büstenhalter und Strapse auf Gewohnheiten von Transvestiten. Einige Tänzer tragen Röckchen aus Silberfäden, die Lametta imaginieren und damit an das kommende Weihnachtsfest denken lassen. Bizarr sind die ondulierten Frisuren mit schwarzlackierten Wellen, welche an die 20er Jahre erinnern, noch schräger einige ausgepolsterte Trikots, die in ihrer Nähe zum Fat Suit die Körper der Tänzer entstellen. Auf der meist dunklen oder in diffuses Licht (cube.bz) getauchten Bühne gibt es nur wenige Versatzstücke – ein sich drehendes Sofa, eine Pyramide, eine Ballettstange, eine Spiegelwand, ein über der Szene schwebender Kranz aus Neonröhren.

 © Yan Revazov

Die Musik von Clara Aguilar und Ben Meerwein ist ein dröhnender Sound mit schmerzhaft hämmernden, schlagenden Akkorden, gelegentlich mit Harfen- und Orgelklängen garniert sowie durch acht Songtexte erweitert. Diese Klangfolie wird vom Tonträger eingespielt, doch sind die Tänzer auch gesanglich im Einsatz. Vor allem aber müssen sie fast den ganzen Abend schreien und kreischen, beginnend mit ihrem Auftritt, wenn sie den einsamen Akkordeonspieler (Jan Casier) von allen Seiten bedrohlich umkreisen, aggressiv stampfen, hüpfen, trippeln. Fast pausenlos in dieser Choreografie zucken und schlottern die Glieder, müssen sie pathologische Verrenkungen absolvieren. Im Kontrast dazu gibt es einige wenige Figuren aus dem klassischen Vokabular wie die an Flügelschläge der Schwäne erinnernden Armbewegungen oder Reihen-Formationen wie in der Revue. Imponierend das Arrangement auf der stufenförmigen Pyramide gleich einer riesigen Skulptur aus Körpern und immer wieder bewundernswert die Synchronität des Ensembles. Immerhin sind dreißig Tänzer beschäftigt, was auf der Bühne zuweilen die Atmosphäre einer überfüllten Diskothek evoziert. Oft sind die Tänzer als wogende Menge bis an die Rampe geführt, am Ende mischen sie sich sogar singend unter das Publikum und können danach dessen Beifallsjubel entgegennehmen.

Bernd Hoppe, 4. November 2025


Wunderkammer
Clara Aguilar/Ben Meerwein

Staatsballett Berlin im Schillertheater

Premiere am 31. Oktober 2025

Choreografie: Marcos Morau
Musik vom Tonträger