Buchkritik: „Ein Chor erobert die Welt“, Tina Breckwoldt

Geburtstagsgeschenk

Oper und die Wiener Sängerknaben- haben die überhaupt etwas miteinander zu tun? Eine Menge und seit langer Zeit, wie Tina Breckwoldt in ihrem Buch Ein Chor erobert die Welt- Die Wiener Sängerknaben 1498 bis heute belegen kann und das damit ein Geschenk zum 525. Geburtstag des berühmten und inzwischen nicht nur Knaben-Chors ist. Mit dem Grußwort des Österreichischen Bundespräsidenten werden dem Jubilar Glückwünsche von höchster Stelle übermittelt, und in der Einleitung wird betont, dass bereits bei den alten Sumerern Knabenchöre existierten, dass die Habsburger diese nicht nur in der Kirche, sondern auch bei Staatsakten und Hochzeiten einsetzten und dass sie wohl ihr Entstehen in christlicher Zeit dem Verbot von Frauenstimmen in der Kirche durch den Apostel Paulus verdankten.

Das ist weit ausgeholt und schlägt einen weiten Bogen bis ins Heute und den Besuch des nunmehr 300 Jungen und Mädchen umfassenden Chores in Jordanien, der mit vielen Fotos und einem ausführlichen Reisebericht dokumentiert wird.

Danach geht es zurück in die Geschichte mit Würdigungen verschiedener Knabenchöre wie dem der Kathedrale von Canterbury, und alle paar Seiten stößt der Leser auf QR Codes, die es ihm ermöglichen, akustisch nachzuvollziehen, was er gerade lesend zur Kenntnis genommen hat. Der Grundsatz der Habsburger, tu felix Austria nube, führt, auch da manch ein Herrscher wegen der hohen Wöchnerinnensterblichkeit mehrfach heiratete, zu vielen Reisen der Sängerknaben, die der Herrscher gern als Prestigeobjekt mit sich führte. Damals fungierten sie als Teil der Kaiserlichen Hofkapelle, deren Existenz mit der des Habsburger Vielvölkerstaates endete.

In die chronologische Gliederung eingebettet sind immer wieder Exkurse, so über die Reisen mit dem jeweiligen Souverän, das Habsburger Te Deum, die Versorgung der Sängerknaben, das Leben nach dem Stimmbruch, die Pietas Austrica, die Barockoper, die Anwerbung von Sängerknaben und zuletzt über die erste Nordamerikareise nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei ist bemerkenswert, dass zwar die Ausstattung mit Kleidung und Nahrung oft eine recht sparsame war, aber immerhin auch bereits zu Habsburgerzeiten durch Stipendien an die Zeit danach gedacht und den jungen Männern eine musikalische Weiterbildung und daran anschließende Berufstätigkeit geboten wurde.

Ein kühner Sprung führt zur Wiedergründung als privater Verein im Jahre 1924 und der Feststellung, dass man von da an auf Spenden, vor allem aber auf einträgliche Reisen ins Ausland angewiesen war und ist. Die längste Weltreise dauerte im Jahre 1935 ganze 254 Tage, es gab bisher mehr als tausend Reisen in mehr als hundert Staaten, die aber heutzutage nie länger als zwei Monate dauern.

Nach dem weiten Bogen, den die Verfasserin von der Gründung bis ins Heute schlug, kehrt sie zurück zu einer mit vielen interessanten Einzelheiten den Leser bei der Stange haltenden Beschreibung des Verhältnisses der einzelnen Herrscher zu ihrer Hofkapelle, über die Maximilians, Ferdinands, Rudolfs, Josephs bis zu Maria Theresia und so schockierenden Beobachtungen wie der Mitnahme der Hofkapelle in eine nicht nähe bezeichnete Schlacht im Jahre 1654.

Vorläufer der Oper sind, was das Wirken der Hofkapelle angeht, die Sepolcri zu Karfreitag, die ab 1706 abgelöst werden durch Opern, zu Leopolds I. Hochzeit Cestis Il Pomo d’Oro, wo wahrscheinlich ein Sängerknabe den Amor sang, so wie bei der Einweihung der Pestsäule sowie der Karlskirche Sängerknaben zum Einsatz kamen.

Berühmten Sängerknaben wie Joseph und Michael Haydn, Anton Bruckner und Franz Schubert, aber auch Felix Mottl, Clemens Krauss, Lovro von Matacic wird eine Erwähnung zuteil, Orlando di Lasso wird dreimal entführt, weil seine Stimme so schön ist, und unter dem sparsamen Joseph II. müssen die Sängerknaben in den deutschen Singspielen im Chor singen. Sie führen aber auch ganze Opern wie Singspiele von Gluck, Mozart (1925 Bastien und Bastienne) und Haydn (Der Apotheker), Weber (Abu Hassan) auf, sind natürlich die Drei Knaben in der Zauberflöte und wohnen ab Ende des 18.Jahrhunderts gemeinsam in einem Internat.

Verfolgen kann der Leser auch den Kostümwechsel im Verlauf der Jahrhunderte, ehe der Konstanz als dem Wechsel verpflichtet, noch heute treten die Wiener Sängerknaben so auf, wie sich die Kinder des Bürgertums im Tirpitz-Deutschland kleideten. Selbst die Nazis respektierten diese Wahl, versuchten aber, sich die Sängerknaben in der Form von „Spielfähnlein“ einzuverleiben.

Wie generell klassische Musik, so lieben die Japaner auch die Wiener Sängerknaben heiß und innig, was dazu führte, dass bei einer der Gastspielreisen sich Kaiserin Michiko ans Klavier setzte und mit ihnen das Heideröslein spielte. Mit unzähligen Beispielen für die Bedeutung des Chores nicht nur für das österreichische Kulturleben setzt die Autorin den Wiener Sängerknaben, inzwischen aus vier Knaben-, einem gemischten, einem Mädchen- und einem Jugendchor bestehend, ein nicht nur durch Vielseitigkeit, sondern auch persönliches Engagement den Leser bestechendes Denkmal.

Anmerkungen, Biographien, eine Literaturauswahl, der Abbildungsnachweis ergänzen den Text.

Ingrid Wanja, 3. Mai 2024


Tina Breckwoldt: Ein Chor erobert die Welt – Die Wiener Sängerknaben 1498 bis heute

Verlag Böhlau 2023
270 Seiten
ISBN 978 3 205 21722 0