Ein bis auf den letzten Platz ausverkauftes Opernhaus in Düsseldorf – das ist selbst bei der allgemein recht guten Auslastung des Theaters eine Seltenheit. Was wurde also am 31. Oktober 2025 aufgeführt? Die Antwort mag verblüffen. Auf dem Spielplan stand der expressionistische Stummfilm-Klassiker Das Cabinet des Dr. Caligari des Regisseurs Robert Wiene aus dem Jahr 1920. Auch wenn dieser Film als Meilenstein der deutschen Filmgeschichte gilt und hervorragend zu einem nasskalten Halloween-Abend passt, lag die Besonderheit des Abends zweifelsfrei in der Neuvertonung des Films durch Karl Bartos, der von 1975 bis 1990 Mitglied der Band Kraftwerk war. Zudem war er von 1978 bis zu seinem Ausscheiden Co-Komponist vieler großer Kraftwerk-Hits. Bei der Aufführung in Düsseldorf schloss sich für ihn nun ein Kreis. Vor der Vorstellung berichtete der sympathische Musiker in einem ebenso kurzweiligen wie informativen Gespräch mit Philipp Hollstein, stellvertretender Bereichsleiter Kultur der Rheinischen Post, unter anderem darüber. Von 1970 bis 1976 studierte Bartos Klavier, Vibraphon und Schlagzeug an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf und kam durch seinen Lehrer auch mit der Deutschen Oper am Rhein in Kontakt, wo er auch am Schlagzeug zu hören war.

Eben dort fand am gestrigen Halloween-Abend die NRW-Premiere seiner Neukomposition zum Caligari-Film statt. Das Werk wurde bereits bei seiner Uraufführung an der Alten Oper in Frankfurt im vergangenen Jahr begeistert gefeiert. Nach weiteren Stationen in Berlin, München, Wien und beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg war das Werk nun erstmals im Westen der Republik zu erleben. Grundlage ist die digital restaurierte Fassung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die den Film in einer hochauflösenden 4K-Version erstellt hat. Da die deutsche Verleihkopie des Originals nicht mehr erhalten ist, wurden für den im Kameranegativ fehlenden ersten Akt zahlreiche Einstellungen, Bilder und Bildsprünge aus verschiedenen internationalen Filmarchiven verarbeitet, um den Film in seiner ursprünglichen Fassung für die Zukunft zu erhalten. Dank dieser gelungenen Arbeit vermag der Film mit seinem historischen Charme, insbesondere hinsichtlich der Filmkulissen aus dieser Zeit, auch heute noch über rund 80 Minuten hinweg zu fesseln. Darüber hinaus ist die Botschaft des Filmes heute vielleicht sogar wichtiger denn je. Man könnte fast sagen, dass hier bereits vor über 100 Jahren ein Blick in unsere heutige Gegenwart geworfen wurde, mit der Frage, in welch verrückter Welt wir eigentlich leben.

Da für Das Cabinet des Dr. Caligari keine überlieferte Originalmusik mehr vorliegt – anders als beispielsweise beim Film Metropolis – sind in den vergangenen Jahren immer wieder komplett neue Vertonungen des Films entstanden. Eine davon ist die Version von Karl Bartos, dem dieser Film schon sehr lange am Herzen liegt. Zusammen mit dem Tondesigner Mathias Black schuf er eine elektroakustische Neuvertonung, die live gespielt wird und neben großartiger Filmmusik auch großen Wert auf Geräusche legt. Die verwendeten Geräusche sind oftmals daran angelehnt, welche Töne wohl am Set bei den Dreharbeiten zu hören waren. Neben den üblichen Schritten und Türgeräuschen sind dies auch immer wieder Sprachfetzen, die mal als einzelne Worte klar herauszuhören sind, oft aber in einem großen, unverständlichen Gemurmel verbleiben. Dies verleiht dem Stummfilm eine gelungene Transformation in die Gegenwart, ohne den eigentlichen Charakter des Films zu verändern. Die vielseitige Musik unterstreicht stets passend die jeweiligen Szenen, sorgt stellenweise für eigene Spannung und stellt sich dabei stets in den Dienst des Films. So werden die Zuschauer nicht von der Musik vom eigentlichen Film abgelenkt, sondern Film und Musik gehen eine harmonische Verbindung ein. Karl Baros hat sich hierbei von der deutschen Musikgeschichte über mehrere Jahrhunderte inspirieren lassen, von Johann Sebastian Bach bis ins laufende 21. Jahrhundert. Altertümliche Jahrmarktmusik untermalt beispielsweise den zweiten Akt ganz wunderbar. Dennoch werden Schrecken und Entsetzen immer wieder in passende Töne übertragen, während an anderen Stellen ausschweifende Orchestermelodien zum Träumen einladen.

Bartos wollte mit seiner Musik laut eigener Aussage diesen Film auch vielen Menschen der heutigen Generation zugänglich machen. Mit seiner fesselnden musikalischen Umsetzung ist ihm das zweifellos gelungen. So spendete das Publikum am Ende lang anhaltenden Applaus, weit über den Abspann des Films hinaus. – ENDE –
Markus Lamers, 1. November 2025
Das Cabinet des Dr. Caligari
Erzählende Filmmusik, Elektronik und Sound Design von Karl Baros (Ex-Kraftwerk)
Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf – Gastspiel
Uraufführung: 17. Februar 2024 in der Alten Oper, Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 31. Oktober 2025
Klangregie: Mathias Black
Weitere Aufführung: 14. März 2026 im Konzerthaus, Dortmund