Premiere am 12. September 2019
Videoeokunst und Regie bringt kühn interpretierten biblischen Opernstoff zum Leuchten
Leonard Bernstein trat vehement dafür ein, Karl Goldmarks vergessene Oper, die seit ihrer Uraufführung 1878 bis Ende 1937 mit rund 400 Vorstellungen ununterbrochen im Repertoire der Wiener Staatsoper verblieben war, wieder in den Spielplan aufzunehmen. Es reichte aber nur zu einer mit Anja Silja, Wolfgang Brendel, Siegfried Jerusalem und Kurt Rydl gut besetzten konzertanten Aufführung 1979 im Wiener Konzerthaus, die für die angestrebte Wiederentdeckung des Komponisten Karl Goldmark folgenlos bliebt. Erst in den letzten Jahren kamen einigen Neuinszenierungen an deutschen Bühnen heraus, u.a. in Magdeburg und Freiburg. Dem pianopianissimo-musiktheater münchen sowie dem Kulturjournalisten und -manager Konrad Melchers ist es zu danken, dass dieses Werk nun erstmals seit mehr als 80 Jahren in Österreich wieder szenisch zu erleben ist. In der Stiftskirche von Klosterneuburg hat man noch heute Abend die Gelegenheit, sich selbst ein Bild davon zu machen, was es mit diesem Komponisten, den die Kritik seit Hanslick irgendwo „zwischen Meyerbeer und Wagner“ einordnet, auf sich hat und wie die Chancen stehen, dass sein Opernerstling – gleichzeitig auch sein musikdramatisches Hauptwerk – wieder rehabilitiert und geschätzt wird.
Regisseur Peter P. Pachl, der künstlerische und ökonomische Leiter des pianopinissimo musiktheaters, nennt seine Neuinszenierung eine „Neuinterpretation“ und übersieht dabei, dass eigentlich eine jede ernstzunehmende Neuinszenierung immer auch eine Neuinterpretation ist. Immerhin aber bringt er einen sehr umfassenden und ausgreifenden Ansatz ins Spiel. Er inszeniert die sehr freie Adaptierung eines biblischen Stoffes – der „Staatsbesuch“ der mächtigen Königin von Saba bei jüdischen König Salomo und die in dessen Verlauf entstehende, unglückliche erotische Verstrickung von Salomos Vertrauten Assad mit der exotischen Besucherin, die zu einem Eklat führt – vor dem Hintergrund von mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte. Die handelnden Personen erweisen sich damit als sehr komplexe Gestalten. So ist etwa die Titelfigur gleichzeitig auch die Dämonin Lilith, und ihre Begleiterin Astaroth verweist schon mit ihrem Namen auf die phönizische Göttin Astarte.
Kaleidoskopartig wird mittels Videoprojektionen assoziativ in einer eindrucksvollen Bilderflut ein Bogen von der mythischen Urzeit bis zum palästinensisch-arabischen Konflikt der Gegenwart gespannt. Marc Chagalls Pegasus (aus seinem Hohe Lied Zyklus) als Kriegs- und Friedenssymbol ist ein immer wiederkehrendes Leitmotiv, es gibt aber auch antike Statuen, Bilder von Klimt bis Picasso sowie Bilder und Filmeinspielungen von wichtigen politischen Ereignissen und den federführenden Akteuren von damals bis heute. Ein paar Ärgerlichkeiten gibt es dabei freilich auch. Dazu zählt etwa der peinliche running Gag mit der Dame, die in einem Werbespot eine Dose mit dem Katzenfutter Sheba in die Höhe streckt und sich dabei genüsslich mit der Zunge über die Lippen fährt. Sheba = Saba, und außerdem eine schwarze Katze. Aha.
Besser wirken die eingestreuten Fernsehreportagen, in denen eine Journalistin (als Berichterstatterin für al jazeera natürlich mit Kopftuch) und ein Korrespondent gestenreich, wenn auch unhörbar, die Ereignisse kommentieren. Besonders wirkungsvoll sind die Videoprojektionen, wenn die handelnden Personen in Großaufnahmen darübergelegt zu sehen sind. Diese Live-Mischverfahren mit Live-Kameraeinsätzen ist eine faszinierende, äußerst anregende Arbeit des Videokünstlers Robert Pflanz, von dem auch das karge, aber ausreichende Bühnenbild stammt.
Da die zentralen Schauplätze der Handlung der Palast und der Tempel Salomos sind, ist in Klosterneuburg keine eigene Bühnenkonstruktion erforderlich. Der Altarvorraum zwischen den altehrwürdigen Gestühlen der Chorherren liefert ohnehin einen prächtigen Rahmen, und wenn es sich um die Wüste handelt, dann genügt ein faltig-locker aufgelegtes, khakifarbenes Bodentuch. Auf der Videoleinwand ist immer wieder der Verduner Altar eingeblendet, mit dem Abbild der – schwarzgesichtigen – Königin von Saba. Ein Glanzstück aus dem Schatz des Stifts Klosterneuburg, was wohl mit ein Grund war, warum man ausgerechnet diesen Aufführungsort gewählt hat. Ansonsten genügen zahlreiche Kisten, von der Königin als Gastgeschenk mitgebracht, als Mobiliar und Thron des Königs Salomo. Dass sich diese Kisten in weiterer Folge als Radiogeräte Marke Saba entpuppen, um damit die Bedeutung der modernen Massenkommunikation bei Kriegsereignissen aufzuzeigen. Naja.
Zum Schluss tritt ein Kinderchor auf, je zur Hälfte mit Kippa und israelischen Flaggen sowie Halstüchern und Fahnen palästinensischer Art ausgestattet (die guten gewählten Kostüme – mit Ausnahme des geächteten Assads im Biene Maja-Outfit und Beißkorb – stammen von Claudia Möbius). Die Kinder – als Hoffnung auf die Zukunft – reichen dann einander versöhnt die Hände. Deshalb aber Goldmarks Werk gleich eine „Friedensoper zum Nahostkonflikt“ zu nennen, wie das im Programmheft der Fall ist, scheint weit überzogen und wird von der Handlung bzw. dem Libretto Salomon Hermann von Mosenthals keineswegs gedeckt. Eine schöne Utopie, mehr nicht. Das gilt auch für die das Ende des Kurzfilms, der die Ouvertüre illustriert und dabei in Zeitraffertempo ein paar tausend Jahre Schöpfungsgeschichte bildmächtig Revue passieren lässt. Man sieht Michelangelos – hier bewegtes – Fresko in der Sixtinischen Kapelle, wo sich die Hand Gottes und die Hand Adams aufeinander zu bewegen, bis sie sich berühren. Die Neuerschaffung einer friedlichen Menschheit sollte damit wohl perfekt sein.
Um die Friedensmission zu komplettieren, wird auch der wirkungsvollen, melodisch einprägsamen und prächtig instrumentierten Musik Karl Goldmarks das Etikett „Friedensmusik“ zugesprochen. Als Begründung wird im Programmheft angegeben, dass Goldmark, Sohn eines jüdischen Kantors, in seine Oper nicht nur vom Synagogengesang beeinflusste Musik, sondern auch arabische Musik (oder was er damals darunter verstanden hat) einfließen hat lassen, und selbstverständlich auch „westliche“ Musik, wie sie damals in der Nachfolge Wagners und der Spätromantik üblich war. Weltmusik als Friedensmusik, Musik als Beitrag zum Frieden? Wenn das so einfach wäre, dann müsste das auch für Léhars Das Land des Lächelns gelten.
Die musikalische Gestaltung des Opernabends liegt in den Händen von Manfred Müssauer und der von ihm gegründeten Donau Philharmonie Wien. Das auf den Einsatz von Originalinstrumenten bzw. entsprechende Nachbauten setzende Ensemble spielt eine vor allem wegen der räumlichen Gegebenheiten der Stiftskirche Klosterneuburg reduzierten Fassung von Steven Tanoto. Es ist erstaunlich, wie mächtig und fesselnd sich die Musik Goldmarks auch in dieser Fassung entfaltet. Keine Frage, Karl Goldmark ist kein Epigone, der irgendwo „dazwischen“ steht, sondern er hat einen sehr ausgeprägten Personalstil und verdient es, auch auf großen Opernbühnen wieder vorgestellt zu werden. Und was die viel bemängelte Handlungs- und Spannungsarmut seiner Oper anbelangt: Da tut sich auch bei Verdis Aida nicht bedeutend viel mehr. Die Spannung und Dramatik pur findet sich auch hier ohnehin in der Musik. Und da gibt es auch für die Sängerinnen und Sänger lohnende Arien und wirkungsvolle Duette.
Die erotisch-samtig funkelnde Sopranistin Nadja Korovina in der Titelpartie ist eine verführerische Königin von Saba, die den König Salomo ebenso umgarnt wie den ihr verfallenden Assad. Dieser wird von Hans-Georg Priese mit starker Leidenschaftlichkeit dargestellt. Stimmlich gerät er in dieser Heldentenor-Partie hart an die Grenzen seiner stimmlichen Möglichkeiten, bleibt aber stets packend und intensiv. Man hat der Oper vorgeworfen, dass ihr eine positive Gestalt mangelt, die die Sympathien auf sich zieht und mit der man sich identifizieren kann. Priese zeigt, dass man auch als Gescheiterter und Verführter Interesse und Anteilnahme wecken kann. Axel Wolloscheck ist – wie es das Libretto so will – ein eher fader Zipf. Von Macht und Weisheit, für die er angeblich so gerühmt wird, keine Spur. Hier macht dieser Mann ausnahmsweise einmal keine Geschichte, sondern sie widerfährt ihm. Deshalb trägt er wohl die Krone andersum – mit den Zacken nach unten. Alessandra di Giorgio als Astaroth, Begleiterin der Königin, setzt ihren dunklen, Sinnlichkeit verströmenden Mezzo ein, Rebecca Broberg als enttäuschte Braut Assads hadert klagend mit ihrem Schicksal, vergibt aber ihrem untreuen Geliebten, der in ihren Armen stirbt. Als umtriebiger Hohepriester, Baal-Hanan und Tempelwächter hat Maximiliano Michailovsky markante Auftritte. Warum er ein Brett vor dem Kopf trägt, das mit Richtungspfeilen und roten Handschuhen drapiert ist, weiß man nicht so genau. Vermutlich ist er ein Fundamentalist, der immer zu wissen vermeint, wohin es gerade gehen muss und dabei auch Blut zu vergießen stets bereit ist.
Fazit: Große Oper an einem eher kleinen, aber geschichtsmächtigen Ort. Das komplexe Regiekonzept bürdet der Handlung und den Akteuren ungeheuer viel auf, aber sie stemmen es – nicht zuletzt dank genialer Videounterstützung. Viel Applaus im nicht ganz vollen Kirchenschiff.
Bilder (c) Robert Pflanz
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