Kontrapunkt: „Bedenkliche Entwicklung“, Anmerkung zur Causa Demis Volpi

Man muss kein Freund von Demis Volpi sein, um das zu verurteilen, was gerade in Hamburg passiert ist. Der Nachfolger von John Neumeier beim Hamburg-Ballett hat der „einvernehmlichen Trennung“ und der sofortigen Freistellung zugestimmt. Wie es dazu kam, ist ein Musterbeispiel für Mobbing und eine Blaupause für den zukünftigen Umgang mit Leitungspersonal.

Demis Volpi – Foto © Michael Zerban

Als die Nachricht vom Wechsel des Ballettdirektors Demis Volpi von Düsseldorf nach Hamburg erschien, war Kennern der Szene sofort klar, dass hier jemand weggelobt wurde, auch wenn man sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht recht erklären konnte, wie so etwas funktioniert. Volpi gelang es in Düsseldorf nicht zu glänzen. Der Förderverein der Ballettfreunde, sonst immer wortgewaltig, wenn es um die Leitung des Balletts in Düsseldorf geht, blieb verdächtig still. Inzwischen weiß man, wie das passieren konnte: Die Findungskommission in Hamburg befand nicht einmal einen Anruf in Düsseldorf für nötig. Man konnte sich schon damals vorstellen, wie sich in Düsseldorf der eine oder andere den Schweiß von der Stirn wischte.

Fairerweise muss man feststellen, dass ein Nachfolger der Legende John Neumeier von Anfang an keine Chance hatte. Dementsprechend war wohl die Devise in Hamburg, einen „Dummen“ zu finden, der ins Haifischbecken springt. Volpi, Typ Schwiegermuttersohn, war naiv genug, sich darauf einzulassen und kassiert nun die Rechnung – der goldene Handschlag, mit dem man ihn vermutlich verabschiedet haben wird, dürfte ihm als Schmerzensgeld dienen. Im September vergangenen Jahres trat er seinen Dienst in Hamburg an, aber die Empörung ließ auf sich warten. Dafür ging es in den vergangenen Wochen Schlag auf Schlag. Wie bei jedem Intendanten-, Chefchoreografen- oder Ballettdirektorenwechsel kündigten einige altgediente Solisten. Sie können das nur, wenn der neue Chef ihnen nicht zuvorkommt. Ein an sich normaler Vorgang, der in der Presse hochgejubelt wurde. Fortan lief das Mobbing-Karussell wie geschmiert.

Ein „Brandbrief“ von Tänzern des Hamburg-Balletts wurde lanciert, anschließend folgte ein „Brandbrief“ aus Düsseldorf – eine höchst ungewöhnliche Maßnahme, dass man dem ehemaligen Chef nachtritt, im Ballett erst recht. Man kann sich das lebhaft vorstellen: Da ruft ein Tänzer aus Hamburg seinen Kollegen in Düsseldorf an und klagt ihm sein „Leid“. Der Freund aus Düsseldorf verspricht Solidarität, und schon ist der Brief auf dem Weg. Man habe ja erst geschwiegen, weil man angesichts des Führungsstils Volpis so viel Angst gehabt habe. Man kann dran fühlen. Kultursenator Carsten Brosda in Hamburg ist der Situation nicht gewachsen. Anstatt durchzugreifen und ein Machtwort zu sprechen, veranlasst er eine „Gefährdungsbeurteilung“, spätestens jetzt wirkt das Schmierentheater lächerlich, denn das ist eine Befragung derjenigen, die den Schmähbrief verfasst haben. Die Ergebnisse werden erst gar nicht abgewartet, geschweige denn veröffentlicht. Stattdessen wird die erste eigene Arbeit Volpis in Hamburg – er wollte eine Choreografie von Hermann Hesses Demian zeigen – abgesetzt.

Damit ist Volpi in Hamburg Geschichte. Man muss sich um ihn keine Sorgen machen. Er wird im Zweifelsfall in der Schweiz oder in einem deutschen Stadttheater eine neue Stelle finden. Und vielleicht ist das für ihn sogar der bessere Weg. Und auch um den Nachfolger Volpis braucht sich niemand zu sorgen. Denn die Strippenzieher haben ihr Pulver frühzeitig verschossen. Sie haben mit ihren Anschuldigungen, die nicht belegt wurden und jetzt auch nicht mehr be- oder widerlegt werden, ihre Chance auf einen gelungenen Neustart vertan. Egal, wer jetzt nach Hamburg geht, in das Ballett, das seinem Choreografen keine Chance gibt, sich zu beweisen, kann gelassen bleiben. Sollten die Tänzer den zweiten Aufstand wagen, ist klar, dass es an ihnen und nicht an ihrer Führung liegt. Man nennt so etwas, glaube ich, einen Pyrrhus-Sieg.

Besorgniserregend ist der Ablauf der Ereignisse. Der Norddeutsche Rundfunk als öffentlich-rechtliches Medium hinterfragte nicht, sondern „berichtete“ von dem Skandal, der nicht in der gescheiterten Führung Volpis, aber in der Unfähigkeit des Kultursenators zu sehen ist, aus einer „Krise“, oder vielleicht doch eher aus unruhigen Fahrwassern, gestärkt hervorzugehen. Das Hamburg-Ballett hat eine Blaupause für den künftigen Umgang mit Führungspersonen geschaffen. Euch gefällt der neue Chef nicht? Öffentlich beschimpfen und verunglimpfen, dann bleibt er nicht lange. Dass bloße Behauptungen ausreichen, haben die Hamburger Tänzer im völlig luftleeren Raum ja gezeigt. Brosda hat bewiesen, dass es immer funktioniert, denn auch in anderen Städten sind die Führungskräfte in der Kultur nicht unbedingt durch Klugheit und eine starke Hand hervorgetreten.

Wie entsetzt waren wir vor einigen Jahren, wenn neue Intendanten als erstes dem Ensemble in ihrer Oper oder ihrem Theater gekündigt haben. Jetzt dürfen wir lernen, dass es die beste Waffe im Kampf um die Führungsposition ist. Nicht die Freude auf erfahrene Kollegen einer einstig legendären Compagnie, sondern tabula rasa wäre rückblickend die richtige Maßnahme des neuen Ballettdirektors Volpi gewesen, um einen Neuanfang zu gewährleisten. Damit haben die Hamburger Tänzer ihrer Compagnie und deutschen Kulturinstitutionen einen Bärendienst erwiesen. Egal, wie schlampig die Arbeit der Findungskommission gewesen sein mag, die Volpi ausgewählt hat. Fakt ist, dass Deutschland längst nicht mehr über ein Potenzial an herausragenden Choreografen verfügt. Auch hier ist Mittelmaß angesagt. Die Zukunft ihrer Truppe haben die Tänzer in Hamburg also nun selbst besiegelt. Und wir haben viel über die Verfassung der deutschen Kulturlandschaft gelernt.

Michael S. Zerban 16. Juni 2025

Hrg. O-TON