Premiere: 25. September 2019
Theater interessiere ihn am meisten, sagt der ungarische Komponist Peter Eötvös (Jahrgang 1944), und wenn er Opern schreibt, tut er es am liebsten auf der Basis hochkarätiger Theatertexte. Man weiß es, seine „Tri Sestri“ nach Tschechows „Drei Schwestern“, hat man 2016 an der Wiener Staatsoper gesehen. Die Neue Oper Wien unter ihrem Leiter Peter Kobera hat eine eigene Eötvös-Tradition aufgebaut, mit „Le Balcon“ (nach Genet) 2005 und „Paradise Reloaded“ 2013. Mit den „Angels of America“ steht nun eines der Eötvös-Hauptwerke auf dem Programm.
Die Oper wurde nach dem gleichnamigen (wenn auch für das Libretto sehr konzentrierten) Drama des Amerikaners Tony Kushner geschrieben und 2004 in Paris uraufgeführt. Vom Inhalt her ist das Werk historisch. Als Kushner sein Thema Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aufnahm und als große Tragödie Amerikas gestaltete, die realistische Grundhandlung überhöht zu einer Parabel, da lag Aids wie eine schwere schwarze Wolke über dem Land, zumal über den Intellektuellen von New York, und niemand wusste, ob man dieser „Seuche“ würde Herr werden können. Nun, heute redet niemand mehr von Aids, die Katastrophe ist medizinisch gebannt – aber weder Kushners Stück noch die Oper von Eötvös haben ihre Wirkung verloren. Denn es geht um Krankheit und die daraus resultierende Verurteilung zum Tode – und das gilt, so lange es Menschen gibt.
Erinnert man sich daran, wie unendlich schwer man sich bei den „Tri Sestri“ mit der gnadenlosen Musiksprache des Komponisten getan hat, so sind die „Angels of America“ vergleichsweise – „wie ein Musical“, sagte Kollege Dominik Troger , als wir uns beim Hinausgehen begegneten. Das ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber tatsächlich hat Peter Eötvös selbst erklärt, dass er sich stark von amerikanischer Unterhaltungsmusik beeinflussen ließ und verwendete seinerseits den „Musical“-Begriff. Tatsache ist, dass er dem Zuhörer diesmal weit leichter, lockerer entgegenkommt, dass er offenbar viele Inspirationen von der Minimal Music absorbierte und den Sängern (mit wenigen Ausnahmen) nicht mehr so gnadenlose, stimmzerstörende Akrobatik abfordert, wie man sie in Erinnerung hat. Das Werk basiert großteils auf einem Parlando-Ton, der das Englisch ziemlich verständlich machte (gut so, weil im ersten Teil des Abends die Übersetzungsanlage ausgefallen war) – und im übrigen passt Musik natürlich hervorragend zu einer Geschichte, die sich immer wieder vom Boden der Realität loslöst. Da sagen Töne bekanntlich mehr als tausend Worte…
Die Neue Oper Wien hat sich im MuseumsQuartier eingemietet (das man wirklich auch außerhalb der Festwochen öfter benutzen sollte). Und die Inszenierung von Matthias Oldag lebt von der lobenswerten Entscheidung, die Handlung – mit all ihren esoterischen Ausrutschern – so klar zu erzählen wie möglich; und von der fabelhaften Ausstattung von Nikolaus Webern. Die drei Wände, die die Szene umschließen, können nach Bedarf für Projektionen benützt werden, besonders der Hintergrund eignet sich stimmungsfördernd für alles, für die Silhouette von New York, die amerikanische Flagge oder den Central Park. All das in kalter New Yorker Schneelandschaft. Davor die wenigen Versatzstücke für die tragische Handlung rund um eine Handvoll Menschen, ihr Aids-Schicksal und was es an Schattierungen der Tragik mit sich bringt: zu Beginn gleich ein Begräbnis, Sofa, Schminktisch, Parkbank, Krankenbett. Und die Engel in vielerlei Gestalt, ob sie riesig von der Videowand herunter lächeln oder vom Himmel schweben… Nicht alle Details erschließen sich immer, dazu ist das Stück zu komplex und die Oper hat noch einiges von der philosophisch-moralisierenden Vielschichtigkeit in sich, und gelegentlich zieht es sich auch ein bisschen: Aber der starke Gesamteindruck bleibt.
Auch durch die Interpreten, denen Walter Kobera und das amadeus ensemble-wien einen wahrhaft schillernden Musikteppich unterbreiten. Drei Damen und fünf Herren sind für die Hauptrollen aufgeboten, alle müssen sie nicht nur Menschen, sondern gelegentlich auch jene Engel sein, deren Macht bezweifelt wird – und die vielleicht doch siegen?
Caroline Melzer, die man aus der Volksoper in Erinnerung hat, schwebt als weißer und schwarzer Engel teils in den Lüften und bekommt am ehesten das zu singen, was man „Eötvös pur“ nennen mag, extrem herausfordernd und extrem klingend. Unter den vielen Rollen von Sophie Rennert ist die Gattin von Joseph Pitt am stärksten, die begreifen muss, dass ihr Mann homosexuell ist. Inna Savchenko, die zuerst als Rabbi antritt, muss als Mutter dieses Joseph Pitt, den Wolfgang Resch überaus zurückhaltend und gerade dadurch eindrucksvoll gestaltet, mit dieser Tatsache, die sie anfangs ablehnt, leben lernen. Und da ist noch das Paar Prior (faszinierend leidend: David Adam Moore) und Louis (Franz Gürtelschmied), wobei letzterer der Todeskrankheit des Freundes nicht gewachsen ist und das Weite sucht. Roy Cohn, der mächtige Anwalt (wahrhaft kraftvoll: Karl Huml) wehrt sich mit aller Gewalt gegen die Aids Diagnose – und Belize (Countertenor Tim Severloh in einer Rolle, die auch mit einer Frau besetzt werden könnte) ist Krankenpfleger und weiß mit seinen unglückseligen, rebellischen Patienten umzugehen. Sehr angenehm empfindet man, dass in einem Werk, das Nuditäten und sexuelle Deutlichkeiten herausfordern könnte, zwar deutlich, aber nie spekulativ agiert wird. Die Geschichte erzählt sich auch so.
Großer Beifall, den neben den ausübenden Künstlern auch der Komponist entgegen nehmen konnte.
Renate Wagner 27.9.2019
Weitere Vorstellungen: 28. , 29. September und 1. Oktober 2019, 19,30 Uhr
Fotos: Neue Oper Wien