Mehrere Szenen in seiner Neuinszenierung von Tschaikowskys Pique Dame an der Oper Leipzig lässt Lorenzo Fioroni auf einem Weinberg mit abgestorbenen alten Rebstöcken spielen. Schon zum Vorspiel erscheint die verschleierte Gräfin mit zwei lebensgroßen Puppen in einem Leiterwagen, die sie offenbar an zwei ihrer Liebhaber erinnern, um Blumen an einem Weinstock niederzulegen. Der Schweizer Regisseur gibt damit das erste szenische Rätsel auf, dem noch viele folgen werden. Ungewohnt und befremdlich ist dieser Schauplatz, den Bühnenbildner Sebastian Hannak erdachte und der immer mehr einem verwüsteten Schlachtfeld mit Schützengräben und Stahlhelmen ähnelt. Damit verbannt das Team jede lichte Heiterkeit, welche dem Stück doch auch immanent ist. Schon das erste Bild mit dem sommerlichen Treiben auf der Promenade in St. Petersburg ist normalerweise eine solche Szene, doch hier wirken die Damen in bonbonfarbenen Biedermeier-Kleidern (Kostüme: Katharina Gault) und die Herren in zaristischen Militäruniformen wie Fremdkörper. Noch seltsamer, dass der Maskenball an eben diesem Ort stattfindet und die Gäste, in Fellen und mit Tierköpfen verkleidet, mühsam über die aufgeschütteten Gräben balancieren müssen. Die Zarin Katharina wird zwar als Ehrengast angekündigt, doch statt ihrer wird nur ein leerer Sarg hereingetragen. Das Fest mündet in eine beklemmende Orgie, wenn Puppen in eine Grube geworfen werden und sich dort wie zu einem Berg von Leichen türmen. Rauch steigt auf und sorgt für fatale Assoziationen, welche auch in die Höhe fliegende Luftballons nicht vertreiben können. Ein heiteres Intermezzo wäre auch das allegorische Rokoko-Schäferspiel mit Chloe, Daphnis und Pluto, das auf dem Ball die Gäste unterhalten soll. Hier wird es in den zweiten Schauplatz der Inszenierung verlegt – einen Petersburger Salon mit Konzertflügel und reichem Stuck an den Wänden, der aus der Unterbühne herauffährt. Die Kostüme mit Jeans und hässlichen kurzen Kleidchen, sogar Pussy-Riot-Masken, sind inzwischen ganz im Heute angekommen. Künftig wechseln die beiden Spielorte willkürlich miteinander. Im 2. Akt wird der Salon sogar mit einem darüber schwebenden Raum verdoppelt, in welchem Figuren sich gespenstisch bewegen und eine surreale Stimmung erzeugen. In üppiger silberner Barockrobe thront die Gräfin als Puppe auf einem Sessel, wird später in. dieser Gewandung auch vom Ball kommen und sich bis auf Korsett und Strapse entkleiden. Hermann wird sie brutal bedrängen, um das Geheimnis der drei Karten zu erfahren, und sogar erwürgen. Nicht verwunderlich, aber wiederum merkwürdig, dass die nächtliche Begegnung mit Lisa am Newa-Ufer und die finale Szene im Spielsaal auch auf dem Weinberg angesiedelt sind. Hermann erscheint hier im silbernen Kleid der Gräfin und gibt das traurige Ebenbild eines menschlichen Wracks ab.

Brenden Gunnell nähert sich der Figur bei seinem Rollendebüt achtbar, beeindruckt vor allem mit seinem darstellerischen Einsatz. Die Regie zeigt ihn als Trinker und Heroin-Süchtigen. Stimmlich überfordert ihn die Partie in der exponierten Lage, in welcher die Töne oftmals forciert und gefährdet klingen. Wie er gehört auch die französische Sopranistin Solen Mainguené zum Ensemble der Oper Leipzig. Ihre Lisa, auch sie drogenabhängigim kurzen, silbern glitzernden Kleid entbehrte der aristokratischen Noblesse, wirkte eher bäuerlich-derb. Ihre herb vibrierende Stimme vermochte die Sehnsucht, Schwermut und Leidenschaft der Figur überzeugend zu transportieren, doch störten Schärfen und grelle Spitzentöne empfindlich. Ulrike Schneider verfügt über keinen satten, süffigen Alt, ihr Mezzo ist schlank, fand aber dennoch zu einigen klangvollen Tönen in der Tiefe. Und ihre blonde Gräfin imponierte mit eleganter Aura und exaltiertem Gehabe. Als Tomskij ließ Thomas Pursio einen handfesten, mitunter grimmig zupackenden Bariton mit prächtigen Spitzentönen hören. Ihm stand Mathias Hausmann als Fürst Jeletzkij, der seine Liebe zu Lisa mit noblem Bariton glaubwürdig zu vermitteln mochte, nicht nach. Nora Steuerwald waren bei Polinas Romanze von der Regie alberne Hampeleien verordnet, doch trug sie die Nummer mit feinem Mezzo vor.
Der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Thomas Eitler de Lint) und der Kinderchor (Sophie Bauer) sorgten mit ihren Auftritten für starke Momente – vor allem der letzte Gesang nach Hermanns Suizid, „Herr, verzeih ihm“, berührte in seiner Tragik sehr. Am Pult des Gewandhausorchesters stand die russische Dirigentin Anna Skryleva, die besonders die Melancholie der Musik betonte und am Ende der Premiere (10. 5. 2025) gemeinsam mit den Sängern vom Publikum gefiert wurde. Zwiespältig wurde dagegen das Regie-Team beurteilt.
Bernd Hoppe 13. Mai 2025
Pique Dame
Peter Tschaikowsky
Oper Leipzig
Premiere: 10. Mai 2025
Inszenierung: Lorenzo Fioroni
Musikalische Leitung: Anna Skryleva
Gewandhausorchester